aus: Gerhard Richter Painting

BILDER AUF BILDERN AUF BILDERN

Die Kunst und das Kino, das ist, rundheraus gesprochen, eine der schönsten und der furchtbarsten intermedialen Liebesgeschichten der letzten hundert Jahre. Die küssten und die schlugen sich, dass es eine wahre Pracht ist. Als im Jahr 1970 der Künstler John Baldessari seinen Studentinnen und Studenten am CalArts in Los Angeles zum Eingang seiner Lecture den Satz entgegen schleuderte: „Nicht Andy Warhol ist der wichtigste Künstler des Jahrzehnts, sondern Jean Luc Godard“, gab’s noch kräftig Widerspruch, innerhalb und außerhalb des Seminarraums.  Vierzig Jahre später begegnen sich in dem Film „Atelier“ der Künstler Michael Dreyer und der Filmemacher Peter Ott zu einem Spiel, in dem sie gegenseitig die Grenzen ihrer Ausdrucksformen, von Fiktion und Non-Fiction, dem Fotografischen und dem Malerischen ausloten und nebenbei eine prächtige Parodie auf filmische Künstlerbiographien abliefern. Ein ziemlich angesagtes Genre, derzeit. Und was am Ende dieses großartigen kleinen Filmes herauskommt ist, dass das Spiel gescheitert ist. Die beiden Spieler, der Filmemacher und der Künstler, haben nach unterschiedlichen Regeln gespielt, so haben sie sich nicht einmal gegenseitig hereinlegen oder umarmen können. Kino und Kunst verhalten sich zueinander wie Männer und Frauen (wenigstens nach einem berühmten Loriot-Satz): Sie passen einfach nicht zueinander.

Das radikale Negativ und zugleich ein wichtiges Seitenstück des Kunst-Films über die Unmöglichkeit des Kunst-Filmes wie „Atelier“ ist die Verweigerung. In „Jeremy Y. Call Bobby O. – Morgenthau without Tears“  steht ein Künstler im Mittelpunkt, dessen Werke nie zu sehen sind. Regisseur und Kameramann René Frölke besucht den deutschen Künstler Bernd Naber in New York. Der Mann hat, scheint’s, viel zu tun, ist ständig unterwegs und ständig connected, aber was er eigentlich macht, bleibt eher vage. Er ist mit sich selbst und mit der Welt beschäftigt, die Schnittstellen, eben die Kunstwerke, werden aber nicht sichtbar, und auch der Filmemacher selbst hat nie ein Bild des Künstlers zu Gesicht bekommen. Für den frustrierten Zuschauer hat er einen Rat. Das kann man ja googlen.

Die besten Kunst-Filme sind jene, in denen Kunst und Film

sich gegenseitig aus der Fassung zu bringen versuchen.

Machen wir: Neben einem besonderen Interesse für Schamanismus können wir Ausstellungslisten studieren und sehen ein paar hübsche, einfache Dinge, die allerdings ihrerseits nach einem größeren Zusammenhang zu gieren scheinen. Und: „There is currently no Blog entry available.“

Und schon haben wir die erste These: Die besten Kunst-Filme sind jene, in denen Kunst und Film sich gegenseitig aus der Fassung zu bringen versuchen. Sie handeln vom Verschwinden. Die kreative Reaktion auf die Einsicht, aneinander gescheitert zu sein. Lücken aufreißen, you know. Keine Vereinfachungen, keine Mythen. Aber natürlich lassen wir uns von so etwas nicht den Spaß daran verderben, immer mehr Kino in die Black Cube des Museums zu bugsieren, und immer mehr Kunst in die schließlich Arthouse benannten Kinos. Wir doch nicht.

Wenn am Ende der Avantgarde Joseph Beuys sein Motto ausgab: „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und dann die „soziale Plastik“ zu erzeugen versuchte, während er als Sänger mit „Sonne statt Reagan“ dilettierte, dann öffnete der Mann mit dem Hut eine Tür zwischen Kunst und Pop, die vordem durch die Pop Art (Verkunstung des Populären) und durch die Verwandlung von Kunst in Dekoration und die Verpopung von Kunst (bei Dalí, Hundertwasser, Keith Haring, Damien Hirst usw.) meistens ziemlich einträgliche Formen von kollektivem schlechten Geschmack gefunden hatte. Beuys wollte eine Kunst für alle, aber nicht für jeden Deppen. Für den Rest sorgte der Mythos des Künstlers unter anderem im Kino. Und der wurde in einer Variante des Genie-Kults im deutschen Nazi-Kino ebenso wie in einer Hollywood-Version gepflegt. Kirk Douglas als Vincent van Gogh in Vincente Minnellis Film mit dem schönen Titel „Lust for Life“ war schon ziemlich beeindruckend, oder José Ferrer als Toulouse Lautrec in „Moulin Rouge“. Das Künstler -Biopic sagt in erster Linie das Gegenstück zum Beuys-Satz: Jeder Künstler ist ein Mensch. Einer der eine Menge erlebt, dem es nicht immer gut geht, in dessen Leben immer was los ist. Der Künstler hat das eine oder andere Recht. Das Recht, ein Langweiler zu sein, hat er nicht. (Und wenn der Künstler eine Frau ist, schon erst recht nicht, bei Frida Kahlo und ihren Schwestern!)

aus: Le Mystère Picasso (Frankreich, 1956)

Künstler drehen Filme (mal hinein in Außenbezirke des Kino-Mainstreams wie Peter Greenaway, mal konsequent für den White Cube wie Dietmar Brehm, mal in grandiosen Überschreitungen wie Christoph Schlingensief); die Kunst transformiert sich ins Filmische hinein wie bei Peter Fischli & David Weiss, John Baldessari, Sylvie Fleury oder Bill Viola; Filmleute werden Maler oder sind es schon vorher, James Franco macht gerade die spektakulärste Crossover-Karriere; Regisseure arbeiten mit Künstlern zusammen (wie Hitchcock mit Dalí); Filme führen in malerische Parallelwelten wie Robin Williams in die Jenseits-Welt der Bilder in „What Dreams May Come“; aus Andy Warhols Factory kommen Morrisseys Trash-Movies über sexualpolitisch aufgepimpte Horror-Monster, Edward Munchs „Der Schrei“ taucht als Maske des Mörders in Slasher Movies auf. Es gibt sogar Filme, wie „Le Mystère Picasso“ von Henri-Georges Clouzot, die den Ehrgeiz haben, den künstlerischen Prozess selber cineastisch aufzulösen (Picasso, der auf einer Glasscheibe für die Kamera malt: Näher sind sich Kunstmachen und Filmemachen, sieht man einmal von den direkt auf den Film gewuchteten Zeichnungen, zum Beispiel bei Norman McLaren ab, wohl nie gekommen). In den sechziger Jahren war das Fernsehen, tja damals, maßgeblich beteiligt an der Entdeckung von „temporärer Kunst“ wie Happening und Land Art. Und dann gibt es natürlich einen ziemlich endlosen Strom von Dokumentarfilmen, die sich der Kunst und den Künstlern mal mehr von den Werken her, mal mehr von den Personen zu nähern versuchen. Die Künstlerbiographie als populäres Genre zur Zeit ist also, bei all diesen vielen und vielfältigen Beziehungen der beiden Welten, eher konservativ, um es noch höflich auszudrücken. Es ist ein Genre für Leute, die im Museum gleich auf das schwarze Kämmerchen zusteuern, in dem ein Arte-Film einem die Kunst und den Künstler erklärt, oder die sich bei einem imaginären Atelier-Besuch wohlfühlen. Ist der Künstler schon tot, dann werden ihm malerisch-schwelgende Bio-Pics gewidmet, die so heftig sein können wie Derek Jarmans „Caravaggio“, so farbintensiv wie „Die Mühle und das Kreuz“ von Lech Majewski oder so abendmild wie „Renoir“ von Gilles Bourdos. Nicht weniger angenehm und folgenlos sind die filmischen Liebeserklärungen, wie sie zum Beispiel Peter Schamoni (1934 – 2011) in seinen Arbeiten über Max Ernst, Niki de Saint Phalle oder Fernando Botero als sehr eigene Form pflegte. Der Film verbeugt sich vor der Kunst, und das ist ja ganz okay.

Die Künstlerbiographien der neueren Zeit indes versuchen etwas anderes, nämlich den einen oder anderen Künstler tatsächlich zugänglich machen, ihn in ihre und unsere Zeit stellen, das Dreieck Kunstwerk, Künstlerleben und Zeitgeschichte zu einer sozialen Plastik in Filmform zu machen. Wenn man, bei aller Demut, dem Künstler so nahe kommt wie in den neueren Filmen über Kippenberger, Baselitz, Martina Abramovic oder Richard Deacon, dann werden sie oder er eben doch Teile unserer schönen Medienwelt, und der Künstlerfilm zum gepflegten, gebildeten und „leisen“ Abbild eines Star- und Promirummels nach Medienart. Das klappt indes nur um den Preis der einen oder anderen Reduktion. Klar, dass man solche Filme nur über Künstler machen kann, die auch möglichst intensiv und möglichst öffentlich gelebt haben und deren Arbeiten Aufmerksamkeit bekommen, auch jenseits des engen Kunst-Zirkels. Denn diese neueren Künstlerbiographien scheinen weder klassische Biopics noch klassische Dokumentationen, sondern am ehesten so etwas wie eine Hybridform, eine Dokufiktion über Kunst-Heroen und Kunst-Dämonen, ein Reenactment von Kunst als, vor allem, Kunst der Selbstdarstellung. So feiern alle diese Filme eine Künstlerpersönlichkeit, die eigentlich eher der Vergangenheit zugehören. Die Biographie, nicht die Methode; die Erzählung, nicht das Zeichen.

Kippenberger ist natürlich so ein Fall; die Drogen, die Feste, die nomadische Lebensweise, die Albernheiten und, schon beinahe zu nahe am Klischee: der frühe Tod. Aber Kippenberger inszenierte sich auch in gewisser Weise schon kinematographisch (die Signatur der „Kippenberge“!).  „Kippenberger – Der Film“ von Jörg Kobel war 2005 einer der ersten einigermaßen erfolgreichen Künstlerfilme. Er versprach „alle Facetten des Künstlers zu beleuchten“, ließ Diedrich Diederichsen und Christoph Schlingensief und viele andere „Weggefährten, Bewunderer und Kritiker zu Worten kommen“ und versuchte, selber ein klein wenig schmutzig und trashig zu sein. In einem Film wie diesem wird der Künstler nicht mehr als kompakter Mythos angeboten; etwas anderes soll geschehen: Der Künstler nämlich muss und soll in diesen Filmen „symptomatisch“ sein; und auch da ist Kippenberger ausgesprochen nützlich, als Figur der Westberliner Postpunk-Szene, als Heroe des Zerfalls. Das Dritte ist eine Art „Diskurs“, das, was aus der Rolle des Künstlers als „Bürgerschreck“ geworden ist. So muss sich Kippenberger als „Macho“ oder „Rassist“ gerieren, nur damit der „Political Correctness“ der Kampf angesagt wird.

Interessant ist, wie wenig sich die Filme für den „handwerklichen“ Aspekt der Kunst interessieren. In „Baselitz“ zum Beispiel weist der Künstler darauf hin, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, wenn man mit einer sehr flüssigen Farbe arbeitet. Jetzt könnten wir sehen, was das heißt, und wir könnten, wenn uns daran gelegen wäre, mit dem dafür begabtesten Medium den „Künstler bei der Arbeit“ sehen, und diese Arbeit besteht, nach dem schönen Brecht-Wort „aus der Überwindung von Schwierigkeiten“. Der Film aber bleibt bei der Künstler-„Persönlichkeit“, und das ist ein Statement, so wie man ja auch einen Konzertfilm als Film über Stars oder als Film übers Musik-Machen verstehen kann. Da ist es natürlich wiederum ein Glücksfall, wenn eine faszinierende und biographisch reichlich gefüllte Persönlichkeit die Schwierigkeit ganz körperlich zur Kunst macht (oder umgekehrt). Das ist der Moment des Heroischen, oder der heroische Moment. Das gilt natürlich im besonderen Maße für Martina Abramovic, die sich dem Extrem der direkten Kommunikation aussetzt und die mit dem Donnersatz beginnt: „Artists have to be warriors“, in dem Film von Matthew Akers „The Artist is Present“. Was die Künstlerin macht: Die gesamte Dauer der Ausstellung im Museum of Modern Art, 600 Stunden lang, still auf einem Stuhl sitzend, eben präsent zu sein, auch dem nähesten Blick des Zuschauers ausgesetzt oder ihn dem ihren aussetzend. Was der Film macht: Die Vorbereitungen zeigen, Beziehungen zu anderen Performances (und ihre Wiederholungen) zu zeigen, die Motive und Methoden der Kunst von Martina Abramovic abfragen. Der Film löst, mit anderen Worten, den magischen Augenblick einer absurd gespreizten Gegenwart, wieder in „stories“ auf. Wenn man den Film gesehen hat, ist alles nur noch halb so schlimm (und leider auch nur noch halb so schön).

Will der Film über die Kunst selber Kunst werden,

muss er die Kunst verraten, will er es nicht,

muss er den Film verraten.

So werden Kunst-Filme audiovisuelle guides für Leute, die nichts unerklärt und nichts unbequatscht sein lassen können (aber zugegeben: so ein Film ist immer noch sympathischer als der Besserwisser in Galerie und Museum, der dir ungefragt sein Kunst- und Künstlerwissen vor die Füße kippt). Im besten Fall haben sie etwas von einer Dekonstruktion an sich, im schlimmsten Fall sind es Versuche, edutainmentmäßig Kunst zu vermitteln. Zum Genre gehört es übrigens seit „Kippenberger – Der Film“, auch als Tie-In zu einer großen Ausstellung zu funktionieren.

Mittlerweile sind Kunst- und Künstlerfilme nicht bloß ein moderat erfolgreiches Genre des Arthouse-Dokumentarfilms und des Arte-Programms; es gibt bereits eine Reihe von Institutionen, die sich dem Schnittpunkt Film und Kunst widmen, nur zum Beispiel die Kunstfilmbiennale, die der Regisseur und Kunstkritiker Heinz Peter Schwerfel ins Leben gerufen hat, der mit Künstler wie Jannis Kounellis oder Georg Baselitz für Arte zusammengearbeitet hat: Das ist eine Idee, die ich schon seit über 20 Jahren hatte. Ich wollte Kunst und Film zusammenbringen. Der Gedanke entstand auch wegen einer Tendenz in der zeitgenössischen Kunst: Immer mehr Künstler machen selber Filme. In Köln zeigen wir deshalb nicht nur Dokumentarfilme über Künstler, sondern vor allem Filme von Künstlern.“

Das also sind die drei Voraussetzungen für eine populäre Künstlerbiographie für Kino, Fernsehen und DVD: Ein so oder so interessantes, symptomatisches, metaphorisches Künstlerleben; die heroische Geste, also das „Warrior“-hafte und nicht das Handwerklich-methodische der Kunst; und schließlich als drittes: die kinetische Energie, die Bewegung (oder eben deren dramatische Negation), die Auflösbarkeit einer Szene. Erst wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt sind, kann eine Kunst- zu einer Film-Persönlichkeit werden.

aus: Martina Abramovic – The Artist is Present

Um es mal sehr akademisch auszudrücken: Es handelt sich bei Kunst und Kino um zwei verschiedene Strategien der Verbildlichung, die einander sehr verwandt, aber auch sehr widersprüchlich sind. Ein Kunst- oder Künstlerfilm löst also nicht nur Augenblicke reiner Gegenwärtigkeit in Bild-Erzählungen und Text-Ketten auf, sondern versucht überdies eine Visualisierung zu visualisieren. Man muss sich also irgendwo treffen. „Malen ist eine andere Form des Denkens,“ hat Gerhard Richter einmal gesagt. Der Film „Gerhard Richter Painting“ von Corinna Belz nimmt diesen Satz ernst. Er zeigt wie einer malt indem er denkt indem er malt. Die Regisseurin hat Richter mehrere Monate bei seiner Arbeit beobachtet. Und für einmal ist die Kamera nicht dazu da, was zu erklären, sondern, eben, genau: präsent zu sein. Dann muss, glücklicherweise, auch nicht mehr viel geredet werden. „Man muss ja nicht sprechen“, so Belz „In allen Filmen und selbst in der Literatur, die ich liebe, ist das nicht Gesagte genauso wichtig wie das Gesagte. Dazwischen passiert etwas, zwischen dem Gesagten und dem nicht Gesagten.“

Das ist es wohl auch, was neben der epischen Länge, den Kino-Künstlerfilm von der üblichen Fernsehfeature oder dem Ausstellungsbegleitfilm unterscheidet. Eine Fähigkeit zu Konzentration und Schweigen, Zeit geben, statt eine Story zum Besten geben. Sich, der Kunst und dem Zuschauer Zeit schenken, das kommt immer wieder vor; für „Richard Deacon – In Between“, nur zum Beispiel, hat die Filmemacherin Claudia Schmid den Bildhauer zwei Jahre lang begleitet. Das Presseheft findet dafür einen Satz, der so oder so ähnlich für jede der neuen cineastischen Künstlerbiographien gelten dürfte: „Eine intensive Zeit, in der gegenseitiges Verstehen und Vertrauen gewachsen ist und die es ermöglicht hat, diesen scheuen Künstler auch in stillen Momenten zu porträtieren“.

Und natürlich haben die Filme nur eine Chance, wenn sie sich der Kunst und den Künstlern „demütig“ gegenüber geben. Das kann man wohl auch von „Martina Abramovic: The Artist is Present“ (zum Trailer) sagen, von „Gerhard Richter: Painting“, von „Georg Baselitz“ und eben „Richard Deacon – In Between“. Die Filme bewegen sich den scheuen Kunst-Göttern gegenüber mit beharrlicher Demut, so dass es in aller Regel die Künstler selber sind, die darüber bestimmen, ob man mehr von der Person oder mehr von der Arbeit erfährt. Was dann einen Film wie „Richard Deacon – In Between“, zum Beispiel, „handwerklicher“ macht als andere, weil wir eben erfahren können, wie man diese in sich gedrehten Holzelemente herstellt, aus denen Deacon seine Skulpturen zusammen setzt.

Was alle diese Filme, ausgesprochen oder nicht, vermitteln, das ist, das weder der Biopic-Mythos der künstlerischen Passionsgeschichte noch die geschmeidige Angleichung von Bild- und Kamerabewegungen des „Mystére Picasso“ noch wirklich funktionieren. (Es gibt „die Moderne“, der sich beide, der Künstler und der Filmemacher verpflichtet sahen, nicht mehr.) Der Künstler, die Kunst, seine Zeit und die Aufnahme- und Schnitt-Mechanik eines Films, das kommt einfach nicht mehr zu einem echten Einen zusammen. Wir benötigen daher visuelle und begriffliche Bezugspunkt, weil sich Kunst und Film ganz gewiss selbstverständlich nicht mehr verstehen und die Glasscheibe zwischen Maler und Kamera keine gültige Metapher mehr scheint. Ein dritter Erzählraum, die Biographie, die Gesellschaft, die Zeit und die Reise müssen dazukommen.

Dazu gibt es mehrere Strategien. Etwa das bewusste Überborden und Fragmentieren. Oder aber auch die nicht minder betonte Demut gegenüber der künstlerischen Energie: epische und dramatische Filmkonstruktionen. „Die Künstlerin inszeniert sich selbst als Mensch“ heißt es zu „The Artist is Present“, und das ist mehrdeutig genug, nämlich in der Kunst wie für den Film. Die Kunst des Künstlerbio-Dokufilms besteht darin, die Einstellungen auf die Person und die Einstellungen auf die Arbeiten in einen dramaturgischen Zusammenhang zu stellen. Das gelingt, zum Beispiel, wenn die Arbeiten so dynamisch in den Raum wachsen wie bei Richard Deacon (als wären sie ohnehin für einen 3-D-Film im Imax-Kino gedacht), es gelingt bei den Künstlern, die ihren Körper als Medium einsetzen wie Martina Abramovic, und es gelingt bei solchen, die Leben und Kunst mehr oder weniger eindrucksvoll miteinander verbinden. Man kann sogar hinaus gehen in den schieren Alltag, wie es Kerstin Stutterheims und Niels Bolbrinkers „Fliegen und Engel“  über die Traumräume des Konzeptkünstlers Ilja Kabakov macht. Wo kommen die Bilder her, und wo gehen sie hin? Genau das ist eine eminent filmische Frage. Natürlich vor allem durch eine Person.

Dieter Roth ist so ein Fall. Der hat ein paar Leben nebeneinander gelebt, und wie bei dem Kippenberger-Film, so nimmt auch Edith Jud in „Dieter Roth (1930 – 1998)“ die Geste einer Spurensuche zwischen Arbeit und Mensch auf, und das visuelle Leitmotiv wird dabei die Landschaft. Eine dritte Visualisierung tritt da hinzu. Bilder auf Bildern auf Bildern. Das Südportal des Kölner Doms bekommt eine solche Rolle in „Gerhard Richter Painting“, das Riviera-Städtchen Imperia in Evelyn Schels’ „Georg Baselitz“, und daraus entwickelt sich immer wieder auch das Motiv der Reise. In den Künstlerfilmen stecken dann oft Road Movies. Und in nahezu allen Filmen bekommt das Atelier den Rang eines magischen Raums (Corinna Belz bleibt, im Gegensatz zu den meisten ihrer Kollegen, bei ihrem Richter-Portrait nahezu ausschließlich im Atelier, Evelyn Schels benutzt es als Erzähl- und Lebensraum der biographischen Selbstauskunft). Das Ich und die Welt. Wir verstehen, warum Künstlerfilme nicht bloß Filme über Künstler sind, sondern Filme darüber, wie man sich das Ideal des „kreativen Menschen“ vorstellt. So wird, im schlechtesten Fall, der Künstler zum Rollenmodell für das versprengte Bildungsbürgertum im Arthouse-Kino.

aus: Dieter Roth (1930 – 1998)

Die Beziehung zwischen Filmemachern und Künstlern hat immer eine sehr persönliche Dimension; wir wollen nicht selber allzu persönlich werden, aber wahrscheinlich funktionieren Künstlerbiographie-Dokufilme gar nicht, wenn sie nicht auch eine Liebesgeschichte abbilden. (Nur die Liebe kann, nebenbei bemerkt, die Eitelkeit in Zaum halten.) Man kann es ja auch Freundschaft nennen. Es ist jedenfalls immer ein Akt des cineastischen Hineingehens in einen „geheiligten“ Raum, eine großzügige Geste der Öffnung, für die auch Dankbarkeit erwartet werden darf. Viele Filme halten sich zugute, dass sie „zum ersten Mal“ in die intimen Ateliers und die backstages des Kunstbetriebs mitgenommen werden. Diese magische Liebesgeschichte zwischen Film und Kunst ist manchmal nicht wenig faszinierend. Und manchmal, wie es mit Genres und ihren Formeln eben so geht, kann sie einem auch erheblich auf den Geist gehen.

So wird die Künstlerdoku auch zu so einer Art Hoffnung für den Film, nicht allein, was den verlorenen ästhetischen Reichtum anbelangt, sondern auch auf solche Fähigkeiten, den Erklärungszwang und den „psychologischen Realismus“ zu überwinden. Die doppelte oder eben schon dreifache Bildlichkeit des Genres bekommt etwas Bizarres; will der Film über die Kunst selber Kunst werden, muss er die Kunst verraten, will er es nicht, muss er den Film verraten. Also gibt es genug Schwierigkeiten zu überwinden, um eine neue Form der Schönheit zu finden. Denn wenn der Künstlerbiodokufilm einen Anspruch darauf hat, mehr als ein Kunstbuch in Bewegungsbildern zu sein, und die disziplinierte und disziplinierende Begegnung von Bild und Text zu durchbrechen, die unsere gewöhnlich langweilige „Kunstvermittlung“ ausmacht, dann muss er sich was einfallen lassen. Demut, Liebe, Magie, Dramaturgie, Konzentration und Zeit – schön & gut. Es geht darum, das Zirkulieren „innerer“ Bilder nach außen und „äußerer“ Bilder nach innen. Es geht um die soziale Maschine Phantasie, die ein Künstler bedient. Kaum einer der Filme der Künstlerdoku-Welle, so unterschiedlich sie auch sein mögen, reflektiert, dass das auch ein eminent politischer Vorgang ist. Monsieur Godard, übernehmen Sie.

Einige Filme dieses Genres, gewiss die spannenderen, treiben sich in der Tat im Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik herum und handeln, zum Beispiel, von Künstlern im Widerstand, hierzulande konsensuell wie „Ai Weiwei – never sorry“ von Alison Klayman, der nicht zu unrecht auf dem Sundance-Festival prämiert wurde, und, schon etwas spezieller, „Mark Lombardi – Kunst und Konspiration“ von Mareike Wegener, der seinen Weg durch die Arthouse-Kinos machte. Lombardi setzte sich in seiner Arbeit so konkret mit Terrorismus und seinen Folgen auseinander, dass bei der Ausstellung seiner Werke das FBI auf der Suche nach seinen Quellen auftauchte. Lombardi machte Ernst mit der Funktion der Künstler als, wie er es sah, „soziale Wächter“. Der Film ist daher eine andere Spurensuche als im Genre gewohnt, er versucht in diesem Künstlerleben, bis zu Lombardis Tod unter den „ungeklärten Umständen“ die Macht von Staat und Konzernen zu zeigen, die eben keineswegs vor den magischen Kunsträumen der Ateliers und der Galerien haltmacht, wenn sie durch die Kunst gereizt wird. Das wäre eine Aufgabe für das Genre, nach der sozialen Gewalt in der Kunst, gegen die Kunst und durch die Kunst suchen. Dann freilich wären die Filme auch nicht mehr so schrecklich gemütlich, wie die meisten von ihnen derzeit sind.

Natürlich hängt der Boom der Künstlerfilme derzeit auch mit dem Hype zu tun, immer neue Rekordsummen bei Auktionen, Blockbuster-Ausstellung, die Idee von einer Verkunstung der Welt, und Meese sowieso. Der Künstlerbiofilm ist da eine Art Moderation. Das Kino ist ein viel ungefährlicherer Ort als ein Museum, und die Schwellenangst, die Leute wie du und ich gegenüber einer Kunstgalerie empfinden, gibt es hier auch nicht. Das Kino muss daher die Kunst gleich auf zwei Arten retten, nämlich indem es mit ihr „niederschwellig“ umgeht; mit einer Kinokarte dabei sein oder eine DVD erwerben, das geht; und indem es der Kunst die „menschliche Dimension“ zurückgibt. So nahe kommen wir normal Sterblichen, die wir nicht mit Schecks wedeln und Cocktails bei Vernissagen schlürfen, der Kunst und den Künstlern sonst nie. Und für die Künstler sind Filme natürlich ideale Medien, sich der Geschlossenheit ihrer Welt zu entziehen, zu einer sozialen Wirkung zurückzukehren, die der geschlossene Kunstmarkt der Supersammler und Spekulanten ihnen gerade nehmen will.

Georg Seeßlen, SPEX April 2013 Nr. 344

Ai Weiwei: Never Sorry

 

Bilder:

Gerhard Richter Painting von Corinna Belz (D, 2011) © zero one film / Corinna Belz

Le Mystère Picasso von Henri-Georges Clouzot (Frankreich, 1955) © Alive

Martina Abramovic: The Artist is Present von Matthew Akers (USA, 2012) © NFP

Dieter Roth (1930 – 1998) von Edith Jud (D, 2003) © Kool Filmdistribution

Ai Weiwei: Never Sorry von Alison Klayman (USA, 2012) © DCM

 

______________________________________________________