Darf man sich über Bin Ladens Tod freuen? Das Internet hat längst entschieden: Der Mann ist für jede »»Spezialbehandlung« gut. Visuell jedenfalls. Über die Politik und Moral der modernen Bildkultur.

Es gibt eine paradoxe, wenngleich verbreitete Konstruktion im System der öffentlichen Bilder, die, wenn ich mich nicht irre, gerade in solchen Kulturen verbreitet ist, die sich als etwas Besseres vorkommen. Wir können dieses Paradoxon die mediale und konsensuelle Herstellung des »Hassen-Dürfens« nennen. Die Macht oder die » Sitte«, die ansonsten strenge Vorschriften setzen, wie man miteinander und mit dem Rest der Welt umzugehen hat, und der moralische wie ikonographische Code, der sich ansonsten zugutehält, eben gerade nicht barbarisch zu sein, erlauben nicht nur den Hass – und in jedem Hassen-Dürfen steckt das Töten-Wollen -, sondern auch Bilder und Codes, die in jedem anderen Zusammenhang als unerlaubt und zumindest öffentlich unerwünscht erscheinen würden. Oder noch dramatischer gesagt: Dieses paradoxe, sich verbreitende Hassen-Dürfen gibt es nur in Gesellschaften, in denen das Hassen und Töten-Wollen »eigentlich« verboten ist – aus Gründen der Religion, aus Gründen der zivilen Verfassung und aus Gründen der positiv gedachten Vernunft. So wie das Heulen-Dürfen – beim Tod von Eisbären etwa – als kollektives und mediales Ereignis zelebriert wird in einer Gesellschaft, die sich aus ökonomischen Gründen ansonsten Mitleid, Trauer und Solidarität abgewöhnt, wird das Hassen-Dürfen als kollektives und mediales Ereignis inszeniert, das die widerstrebenden Impulse einer Gesellschaft um ein »Opfer« versammelt. In aller Regel folgt auf solchen emotionalen Rausch ein Katzenjammer, und ein bisschen schneller als sonst folgt auf das Kanzlerinnen-Wort von ihrer Freude über den Tod Bin Ladens – war es ein »Ausrutscher« oder war es etwa ein inszeniertes kleines Meisterstück im Populismus des ewigen Wahlkampfs? – das Erschrecken: Was ist denn mit uns los?

Das Hassen-Dürfen wird in den modernen und postmodernen Kulturen weitgehend ins Fiktionale und Rituelle, in die Popkultur und in den Sport etwa, ausgelagert. Im Kino gibt es ja für den besonders eindrucksvollen Schurken die Ehrenbezeichnung: »The Man You Love to Hate« (und wir vermuten: um die Rolle des Osama bin Laden werden sich in der nächsten Fiktionalisierungswelle die Schauspieler reißen! Schließlich hat man ihn nicht umsonst schon als Oscar-Anwärter für den »besten ausländischen Schauspieler« vorgeschlagen). Aber auch dort war es nie nur ein ungefährliches und folgenloses Dampfablassen von Wesen, die offensichtlich von Zivilisation und Kultur allein am Hassen nicht gehindert werden können. So reauthentisieren sich Hass und Gewalt gelegentlich wieder dem Bereich des Fiktiven und Rituellen mitten in unserer Wirklichkeit: Es gibt offensichtlich Filme, die wie »Hasspredigten« wirken, Fernsehen und Radio, das mörderische Impulse freisetzt, Amokläufe, zu denen in Bilderspielen Anlauf genommen wird, und Hooligans, die genau damit nicht zufrieden sind, dass ihr Hass auf dem Fußballplatz kanalisiert und sublimiert werden soll. Osama bin Laden war und ist eine Figur, die unscharf getrennt ist in eine reale Bedrohung und eine fiktive Figur, mit der man im Fernsehen, in den Karikaturen und in den Internetforen seinen Spaß machte, halb, weil man ja tatsächlich irgendwohin muss mit Angst und Zorn gegenüber den Untaten dieses Mannes und seiner Organisation, halb aber auch, weil die Gelegenheit prächtig ist, die Zonen und die Sprachen des Hassen-Dürfens auszudehnen.Vielleicht offenbart sich in diesen Geschmacklosigkeiten – Bin Laden in Trashmovies, als Zielscheibe für Schießspiele, im Porno, im Cartoon etc. – eine doppelte Wahrheit: Dass unser Hassmanagement lausig ist, und dass wir in Wahrheit den Symbolcharakter des Feindbildes längst durchschaut haben.

Die Freude der Kanzlerin ist, zum Beispiel, abwärtskompatibel mit der Freude von Spielern des »Free2Play«-Shooter Spiels »Kuma/War«, das sich jeder aus dem Internet herunterladen kann. Seit Samstag, 7. Mai 2011, ist eine neue Episode im Angebot: Nun dürfen Spielerinnen oder Spieler Osama bin Laden jagen, stellen – und erschießen. Dieses Spiel setzt übrigens schon seit 2006 reales Kriegsgeschehen in aller Welt in die Ästhetik des Ego-Shooters um, und seine Entwickler erklären die Tötung Bin Ladens als endgültiges Spielfinale. Man war spielend und tötend schon in Irak, Iran, Afghanistan und in Südkorea dabei; in »Mission 107« nun geht es um »The Death of Osama Bin Laden«. Dabei sind die Spieler Agenten der Navy SEALs, die im exakt abgebildeten Versteck die tödlichen Schüsse auf den (auch hier: unbewaffneten) »Topterroristen« abgeben dürfen. Danach, so wird uns versprochen, gibt es ein neues Spiel.

Vermutlich macht in der Tat nichts die sonderbare Doppelmoral in unserer Kultur so deutlich, als wenn die gleichen Leute, die ansonsten gern einmal gegen die verrohende Wirkung der Ego-Shooter im Allgemeinen und der mit einem Wirklichkeitsbezug im Besonderen wettern, sich nun öffentlich über den realen Vollzug einer Ego-Shooter-Mission »freuen«. Nicht dass kritische Gegenbilder fehlen – und nicht, dass sie, was den »guten Geschmack« anbelangt, dezenter wären. So ist eine lakonische Ein-Minuten-Darstellung auf YouTube zu sehen, in der niemand Geringerer als der Schauspieler Birol Ünel (den wir nicht zuletzt aus den Filmen von Fatih Akin kennen) in der Rolle eines nichtsahnenden Bin Laden zu sehen ist, der sich im Fernsehen die Übertragung der Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton antut, während »Frau Bin Laden« (gespielt von Esther Zimmering) daneben die Wäsche des Topterroristen bügelt; dieser Bin Laden hat kein schrecklicheres Instrument als eine Fernbedienung in der Hand, als der US-Agent sich anschleicht und ihn und seine Frau erschießt. Der Abspann zitiert den Satz: »Justice has been done«.

Mittendrin bewegen sich viele der (inflationären) »Osama bin Laden is dead«-Songs im Internet, denen es ohne weiteres gelingt, zugleich von der lustvollen Genugtuung an der Tötung des Mannes, den man so gern hasst, zu erzählen und von den erheblichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit und der humanen Kultur dieser Aktion. Ton und Gestus der meisten dieser Songs sagen vor allem eins: Wir freuen uns, dass wir hassen durften, und dass wir »barbarisch« sein durften, und beinahe sind wir noch dankbar diesem Man-We-Loved-to-Hate, dass er seine Rolle bis zum Ende so gut gespielt hat. Die Popkultur, in der Osama bin Laden, in »South Park« wie in »Family Guy«, eingeschrieben wurde, und die ihn in jeder Comedy-Serie für abstruse Vergleiche heranzieht, die Bilderschleuder des Internet, die letztlich keine Verantwortung für ihr ikonographisches Chaos kennt, und die postdemokratische Politik, die nicht einmal mehr den Anschein von Menschen- und Völkerrecht erwecken, sondern den Rachetriumph auf der Ebene eines Ego-Shooters genießen will, gehen eine unheilvolle Beziehung ein. Wir sind gefühllos, weil wir gegenüber dem Objekt unseres erlaubten Hasses zwischen Realität und Fiktion keinen wirklichen Unterschied mehr machen. Vielleicht halten wir es sogar für angemessen, dass einer wie dieser, von dem wir eben unsererseits nicht genau wissen, ob es sich um eine Verkörperung oder vielleicht doch nur eine Darstellung des Bösen handelt, nicht vor einem Tribunal, sondern in einer schmutzigen, blutigen und irrealen Rachefantasie endet und man sogar den Leichnam, wie in einem Trash-Videogame, einfach verschwinden lässt.

Es ist ein ziemlich schlechtes Zeugnis, das wir uns da selbst ausgestellt haben. Für unsere Politik und für unsere Bilderkultur.

Georg Seeßlen

Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film 6/2011