Donald Duck wird sechzig und, unter anderem, durch eine Ausstellung und eine Gesamtausgabe geehrt

Entenhausen ist eine Stadt, die einerseits mitten in den Vereinigten Staaten von Amerika liegt, andrerseits in Disneyland und wieder andrerseits in einem Paralleluniversum mit eigenen Gesetzen, eigenen Konventionen von Zeit, Raum, Familie und Sexualität. Sie wurde von dem Texter und Zeichner Carl Barks um eine Ente im Matrosenanzug herum entwickelt, die ihren ersten Auftritt im Zeichentrickfilm erlebt hatte, zu eigentlich wahrem Leben aber erst in den 1942 begonnenen Comic Books kam, welche von Barks bis in die sechziger Jahre hinein gestaltet wurden. 1954 erreichten die Barksschen Donald-Geschichten in der „Micky Maus“ auch die deutsche Nachkriegsgesellschaft und wurden für mindestens zwei Generationen zu so etwas wie einer Schule der Wahrnehmung, eine lustvolle und realistische Gegenwelt, die Farbe im Grau und das Gelächter im Wiederaufbau-Ernst der Familien; nirgendwo auf der Welt hat Donald Duck eine so treue Gemeinde, ist er der Erlöser mit dem ausdrucksstarken Bürzel geworden wie in Deutschland. Das hat, gewiß, mit der kongenialen Übertragung, nein: Neuschöpfung der Texte durch Dr. Erika Fuchs zu tun, es hat aber auch mit der deutschen Kulturgeschichte, mit der Geschichte der Kindheit hierzulande zu tun. Entenhausen war, was uns in den Trümmerlandschaften, in Fleiß und Industrie des Wiederaufbaus, in den Verdrängungs- und Verdeckungsritualen, in den Schrecken des Kalten Krieges, in den allfälligen Restaurationen und in den Verlusten der Modernisierungen, in die Kindheit nicht scheinen konnte: Heimat.

Dino Buzatti hat einmal geschrieben, die menschlichen Enten des Carl Barks böten für die Weltkunst ein so bedeutendes Figuren-Repertoire wie die von Moliere, Goldoni, Balzac oder Dickens. Und Gottfried Helnwein, der soeben eine Ausstellung für Donald und seine Welt zusammengestellt hat, ist Barks der einzige bedeutende Künstler unseres Jahrhunderts neben Picasso. Aber der ästhetische und soziale Reichtum, den Donald Duck-Leserinnen und -Leser in aller Welt schätzen und lieben, jenes hohe Vergnügen an den absurden Details im Hintergrund, die die Notwendigkeit des Erzählens und des Darstellens im Medium weit überschreiten, das ebenso perfekte wie ambivalente Beziehungsgeflecht der Bewohner dieser Stadt, die Verflechtung von Familiendrama und Welt-Erfahrung, von provinzieller Enge und universaler Weite, jener traumhaft sichere Strich, der durch eine winzige Verbreiterung der Linie ungeheure Expressivität erzielt, und der seinen Figuren eine Bandbreite „menschlicher“ Empfindungen überträgt, die es in keinem anderen Comic Strip gibt, die satirische Darstellung von Machtritualen, von Mechaniken der Freien Marktwirtschaft und neokolonialer Politik, weder ideologisch noch kritisch, vielmehr auf lakonische Weise aufrichtig, die Befreiung des Knubbelig-Kindlichen schließlich vom Kindischen, die Befreiung des Funny Animal Strip aus der Zwickmühle von Niedlichkeit und Brutalität, all das macht Donald zum Zentrum einer universalen, dynamischen Kunst-Welt. Aber in Deutschland ist er mehr; in der Bundesrepublik und in Österreich gibt es nur wenige Biographien, in denen er nicht eine fundamentale Bedeutung hat, eine Überlebensbedeutung, eine Fluchtbedeutung, eine Wahrheitsbedeutung. Da drüben, im Osten, gab es ein Land, in dem es keinen Rock’n’Roll und keine Audie Murphy-Western gab; schlimmer: es war eine Welt ohne Donald Duck.

Wenn  Entenhausen ein „geschlossenes“ System ist, ein in sich funktionierender Kosmos, so ist es doch auch eine Projektionsfläche, ein Modell, an dem sowohl politische und soziale als auch ganz individuelle Schicksale und Strukturen abgearbeitet werden können. Die Barksschen Donald Duck-Geschichten leben gerade in ihrer Offenheit; alle ihre Systeme sind ambivalent, mehrfach deutbar; legt eine Geschichte eine „rechte“ Interpretation nahe, so die nächste eine „linke“, und dies ohne die grundlegenden Konstanten des Duck-Kosmos zu verändern. Aber Barks hat seine Hauptfigur schon selbst in solcher Ambivalenz angelegt: „Bei ihm“, sagt er, „kann man nicht sagen, ob er ein Held oder ein Schurke ist. Er hat die Möglichkeiten zu beidem in sich“.

Dass Donald ein „Verlierer“ ist, ist ein Allgemeinplatz; alle amerikanischen Helden sind Verlierer, sogar Superman, jedenfalls in seiner menschlichen Identität als Clark Kent. Was Donald von all den anderen Losern unterscheidet, ist, dass sein Verlierertum normal ist, weil es auf einer funktionierenden sozialen Struktur als sinnvoll und notwendig, als Teil dessen erscheint, was die Welt, was das System antreibt. Deshalb ist er ein Verlierer, der das Verlieren in gewisser Weise angenommen hat.

Wer also ist Donald Duck? Er ist zunächst der universale Kleinbürger, eher am unteren Ende seiner Klasse, aber immerhin besitzt er, was ein Kleinbürger besitzen kann, ein Häuschen mit Garten, ein Auto, einen Fernsehapparat, und dieser Besitzstand scheint auch in den heftigsten Krisen nicht wirklich in Gefahr. Sein Wesen ist eine Trägheit, die von der Einsicht stammt, da· sich seine Anstrengung niemals wirklich für ihn selbst auszahlen werden; seine eigentliche Aufgabe, der er mit Hingabe fröhnt, ist das „Privatleben“, eine mikrokosmische Ordnung in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Beziehung zur ewig platonisch geliebten Daisy. Das „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ würde er gern wörtlich nehmen. Aber man lässt ihn nicht.

Denn die Dynamik des Familienlebens, zum Beispiel die Unzufriedenheit seiner drei Neffen Tick, Trick und Track (Huey, Dewey and Louie), der soziale Ehrgeiz von Daisy, die Grenzen, die die Demütigungen auch für einen wie ihn haben, treibt ihn immer wieder hinaus. So neigt er auch immer wieder zu Ausbrüchen von Talent und Phantasie, macht traumhafte Karrieren; zum Beispiel als Glaser, als Musiker, als Friseur, als Meister des Häuser-Abbruchs offenbart er etwas davon, dass auch ein unterdrücktes Genie in ihm steckt. Ein dummer Zufall, gepaart mit der Eitelkeit, die die öffentliche Anerkennung stets in gefährliche Höhen treibt, führt dann freilich immer wieder in die Katastrophe, die weit über das persönliche Scheitern hinausgeht: da wird die Stadt von Rührei überschwemmt, ein Stier zertrümmert die Porzellanläden, Frau Kommerzienrat wird das Haus unter der Badewanne zertrümmert.

Donald ist ein arger Haustyrann oder ein Erzieher, der gewaltige Intrigenspiele aufbauen kann, wenn es darum geht, seinen Neffen eine Lektion zu erteilen, die dann sowieso immer wieder auf ihn selbst zurückfällt. Aber den Zehnseiten-Geschichten um das Privatleben der Ducks stehen im Barks-Kosmos die längeren Abenteuergeschichten gegenüber, in denen die Ducks in die Welt hinausmüssen. Dort zeigen sie sich von familialer Solidarität bestärkt, und demonstrieren, dass die in den internen Auseinandersetzungen erworbenen Fähigkeiten utopisch gegen die Gefahren der Außenwelt gerichtet werden können.

Was immer er tut, Donald übertreibt. Er übertreibt das Nichtstun, er übertreibt die Aktion; er übertreibt die soziale Mimikry, und er übertreibt die Individualität; er übertreibt den alltäglichen Kampf (vor allem den mit dem Nachbarn Zorngibel), und er übertreibt die Friedfertigkeit. Er, der Ungebildete, übertreibt immer einmal wieder gar die Bildung, übertreibt den Forscherdrang, übertreibt die Verweigerung. Er übertreibt Erziehung, wie er zugleich Nichterziehung übertreibt. Er ist ein Chaot, der hoffnungslos in die Ordnung verliebt ist, ein Autoritärer, der hoffnungslos der Anarchie verfallen ist. Er ist der gestörte Normale, die normale Störung des Kleinbürgerlebens. Seine Anstrengungen verbergen nicht, dass sie etwas Sinnloses in sich haben; so will er einmal mit einer Pampelmuse auf einer Spaghetti-Nudel auf dem Schnabel balancierend Über den Ärmelkanal schwimmen, um berühmt zu werden. Als Lohnabhängiger hält er nie lange durch – es scheint allerdings, dass er eine Art Stamm-Job hat, zu dem er immer wieder zurückkehrt, nämlich den als „Laufbursche in der Entenhausener Margarine-Fabrik“ (wir haben ihn allerdings, soviel ich weiss, dort nie bei der Arbeit gesehen). Als Selbständiger erleidet er stets Schiffbruch. Und doch gibt es immer wieder einen erneuten Aufbruch, nichts hält Donald davon ab, immer wieder von vorn zu beginnen. Man hat das fälschlicherweise als „Optimismus“ bezeichnet; es ist indes nichts als das Fehlen einer Alternative.

Donald ist das bürgerliche Individuum, das beständig zwischen narzisstischer Selbstüberschätzung und brütender Melancholie, zwischen Aufbruch und Rückzug wechselt. So bekommen die anderen Figuren in Entenhausen ihre Identität erst durch ihn, der die ganze Bandbreite bürgerlicher Möglichkeiten durchspielt, und der immer wieder die Begrenzung des Bürgerlichen erlebt; es sind Gegenentwürfe zum Verlierer, weniger leidend, aber auch enger: Der Trillionär Dagobert Duck ($crooge McDuck), Erzkapitalist und Selfmademan; das „Schoßkind des Glücks“ Gustav Gans (Gladstone Gander), dem alles zufliegt, ohne dass er auch nur einen Augenblick in seinem Leben gearbeitet hätte (halt! der gebildete Donaldist weiß, dass es einmal doch geschehen ist!); Franz Gans (Gus Goose), Träumer, Fresser und Arbeitsverweigerer, der Knecht von Oma Duck (Grandma Duck), der Verkörperung der alten Pioniertugenden; der geniale Erfinder Daniel Düsentrieb (Gyro Gearloose) mit seinem „Helferlein“ (Little Helper), einem Winz-Roboter mit einer Glühbirne als Kopf. Es sind auch die Prinzipien der Freien Marktwirtschaft, die sich hier verkörpern, der Hedonismus von Gustav, der puritanisch-manische Geiz Dagoberts (ein sinnloser, toter Reichtum neben einer ebenso sinnlosen Verschwendung), die technische Kreativität Daniels (die immer auch wieder ihre Grenzen findet) gegenüber einem Donald, der von allen Möglichkeiten der Gesellschaft, in der er lebt, gleichermaßen abgestoßen und fasziniert ist und deshalb zum Taumelnden wird im Irrgarten der kapitalistischen Verlockungen und Schrecken.

Diese Konstellation vermittelt das beglückende und verstörende Gefühl, es gebe nichts, einschließlich nachkolonialer Kriegstreiberei, einschließlich der Macht des militärisch-wirtschaftlich-politischen Komplexes, einschließlich spätpuritanischer Kleinstadtordnungen, einschließlich der Umweltzerstörungen und des Verkehrsinfarktes, einschließlich aller zyklischen ökonomischen Zusammenbrüche und der Arbeitslosigkeit, kurz, alles, was die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft in diesem Jahrhundert bestimmte, das nicht in der einen oder anderen Donald Duck-Geschichte treffend dargestellt worden wäre.

Donald und seine Neffen reagieren pragmatisch auf diese Herausforderungen; sie sind weder reaktionär noch rebellisch, sondern sie leben die Widersprüche des Systems nur auf besonders heftige Weise aus. Sie sind amerikanisch insofern, als sie stets nach oben orientiert sind, sich nie mit einem bestimmten Platz in der Gesellschaft als schicksalhaft zufrieden geben. Reichtum und Armut liegen nur einen Glücksfall oder eine Katastrophe voneinander entfernt.

Mit seinem Onkel Dagobert und seinem Vetter Gustav ringt Donald um den Wert der Arbeit und um den amerikanischen Traum; einmal muss doch die Arbeit, die er für Dagobert leistet, fair entlohnt werden, einmal müssen doch Leidenschaft und Fleiß über das schiere Glück, den blöden Zufall triumphieren. Wir wissen es besser. Und mit Gustav ringt Donald auch um die Gunst der Vorstadt-Schönen Daisy, die ihren Lebensinhalt vorzugsweise im Damenkränzchen, in der Verehrung von Film- und Schlagerstars und im Abhalten von Wohltätigkeitsbasaren findet. Weiß der Himmel, welche ökonomische Basis ihre bescheidene persönliche Emanzipation haben mag. Die Beziehungen sind erheblich formalisiert; dass dabei auch Erotik eine Rolle spielt, erfahren wir gemeinhin nur indirekt, zum Beispiel in den schwärmerischen Liebesbriefen, oder in Donalds romantischen Gesängen. Aber möglicherweise ist zu befürchten, dass dem Schoßkind des Glücks auch der sexuelle Erfolg schon zugefallen ist, oder dass, andersherum, Daisy sich ihre beiden Liebhaber hält, damit sie sich gegenseitig neutralisieren, um sich selbst die Unabhängigkeit zu bewahren. Die nicht vollzogene Sexualität in Entenhausen hat die Phantasie immer wieder enorm beflügelt; die interessanteste Theorie dazu (neben den langweiligen Rekursen auf die Sexualfeindlichkeit der Entstehungszeit im allgemeinen und Walt Disneys insbesondere) ist die der Veronkelung. Denn tatsächlich gibt es in Entenhausen echte Familien nur unterhalb des Kleinbürgertums, im Slum-Stadteil  Kummersdorf (Shacktown) etwa. Dort antwortet man auf die Bitte nach einer Kinderspende: „Gern, wie viel Kinder hätten Sie denn gern?“ Die Kummersdorfer gehen vielleicht an ihrer eigenen Sexualität zugrunde. Wer etwas auf sich hält hat dagegen die Beziehung von Onkel und Tante; so ist auch Daisy nicht nur das Love Interest von Donald, sondern ganz offensichtlich auch seine Verwandte. Die Beziehungen in Entenhausen oszillieren also zwischen Eros und Verwandtschaft, und aus der Veronkelung entsteht eine ganz eigene Mythologie, ein ganz eigenes emotionales Klima, eine eigene Romantik. Und die Familie wird zu einer offenen, imaginativen Form des Zusammenlebens.

Das Repertoire der Figuren ist auch ein Panoptikum all der Versuche, „erwachsen“ zu werden. „Oh selig, oh selig, ein Kind noch zu sein“ seufzt Donald, und gleich darauf sehen wir, dass in dem Normalbürger und Amokläufer, dem Loser und dem Overreacher auch noch ein weiterer Wesenszug steckt, nämlich die Fähigkeit, rückhaltlos wieder Kind zu sein. Ja, Donald kann vielleicht kindlicher als die Kinder werden – und ein wenig entlarvt er dabei gelegentlich Tick, Trick und Track als werdende Kleinbürger, als besserwissende Spießer im Rohzustand, die vielleicht clever, aber auch reichlich langweilig zu werden drohen.

Es gibt natürlich auch Schurken in Entenhausen. Dabei ist wohl zu unterscheiden zwischen den klassischen, melodramatischen Schurken, vorweg die Panzerknacker-AG (Beagle Boys), denen wir auch unseren klammheimlichen Respekt nicht versagen wollen, und den sozialen Schurken, die wir, wie Donald, einfach nicht ausstehen können. Die Feindbilder in Barks Entenhausen sind etwa Juristen, „Experten“, Polizisten, Snobs, vor allem aber auch Militärs und resolute Frauen (in der Führerin der Pfadfindergruppe „Kohlmeisen“, einer „ehemaligen Wehrmachthelferin“, trifft sich gleich beides).

Doch am liebsten waren uns stets die Nebenfiguren, in denen Barks oft wahrhaft böse und genial werden konnte. Wir können sie in Gruppen wie „Autoritäten“ (Schweine als Politiker, Hunde als Polizisten, Eulen als Richter), Freaks, bedrohliche Frauen, Hasardeure und Tragiker einteilen. Oder auch ganz anders. Jedenfalls fließen durch sie jene unbestimmten Diskurse von Macht und Zerfall, denen wir ausgesetzt sind und die wir nicht steuern können; in ihnen zeigt sich, dass Entenhausen genauso kompliziert ist wie die Wirklichkeit.

Carl Barks ist ein amerikanisches Originalgenie; aufgewachsen als Farmersohn in der Provinz von Oregon, ausgebildet in der einklassigen Schule, arbeitete er als Cowboy, Holzfäller, Drucker, Stahlarbeiter und so weiter (und Entenhausen ist zweifelsfrei auch durchsetzt von Autobiographischem, von Abbildungen von Erfahrungen und Träumen des Carl Barks). Zeichnen lernte er in einem Fernkurs und sammelte dann erste Erfahrungen mit Cartoons für „Herrenmagazine“. Schließlich kam er zu den Disney-Studios, wo er zunächst als „In-betweener“, als Zwischenphasenzeichner arbeitete, später ins Story Department wechselte, bis ihn eine Allergie zwang, das Studio zu verlassen, es war vielleicht aber auch die Unzufriedenheit mit der Lakaienarbeit im Studio und nicht zuletzt Barks Widerwillen gegen die propagandistische Färbung der Donald Duck-Filme. Nachdem der Versuch mit einer Hühnerfarm gescheitert war (wir kennen die entsprechende Donald-Geschichte!), bekam er das Angebot, für WESTERN PUBLISHING, Lizenznehmer von Disney auf dem Gebiet der Comic Strips, zu zeichnen. Mit „Donald Duck Finds Pirate Gold“ (1942) begann die langewährende Arbeit am Kosmos von Entenhausen. Die Erfahrung beim Film prägen am Anfang noch seine sehr dynamischen, aktionsbetonten Strips, und während Barks sich später immer mehr von den Reduktionen des Animated Cartoon befreite, blieb doch sein Gespür für Timing und Montage auch in der graphischen Erzählung bestimmend.

Donald est diviso in partes tres. Da ist zunächst der „Urdonaldismus“ (1942 bis 1948), in dem der Held noch stark von seiner Präsenz im Zeichentrickfilm geprägt ist. Der Schnabel ist noch lang, die Bewegungen ungelenk, noch entfernt von der späteren Kugelharmonie der Körper. Der Witz kommt vor allem aus der Aktion. Darauf folgt der „ältere Klassizismus“ (1949 bis 1956), der Barks auf der Höhe seiner Kunst zeigt. Donald und die seinen haben ihre, pardon, entgülige Form gefunden, die Bilder bersten von Details und Verweisen, der Witz entstammt sehr harmonisch der Beziehung von Aktion und Dialog, jede Geschichte lotet weiter die Psyche der Figuren aus und ist zugleich Arbeit am Meta-Mythos von Entenhausen. Die entfesselten Details im Hintergrund, die laokoonhaft verschlängelten Entenleiber, die einen Lampenfuß bilden, die klaustrophobisch überfüllten Gemälde mit dutzenden von Entenköpfen, die krausen Gefühle und die existentiellen Ängste urbanen Lebens, tragen viel zur Unsterblichkeit dieser Zeichenwelt bei. Der „Jüngere Klassizismus“ (1957 bis 1966) gilt als eine Periode eher routinierter Arbeiten, die Detailliebe tritt zurück, der Strich ist vereinfacht, Routine erhebt ihr schnödes Haupt. Aber gewiss gibt es auch zu dieser Phase so gut wie niemanden, der Barks das Wasser hätte reichen können.

Barks war nicht nur ein unermüdlicher Erfinder grotesker Details, ein Satiriker von Swiftschen Maßen, ein Alltagspsychologe und Kopfreisender, hinter seinen Katastrophenphantasien verbirgt sich immer auch eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Harmonie, ein wahres Americana der Barbecues, der Naturerlebnisse, der Nachbarschaft und der Solidarität. Die immer rundlicher werdenden Gestalten von Entenhausen tragen diese Sehnsucht nach dem Glück sozusagen bereits in ihren Körpern: Die Ducks sind, wie wir aus den populären Zeichenanleitungen der MICKY MAUS aus den sechziger Jahren wissen, ausschließlich aus Kreisen und Kugeln zusammengesetzt; der Kreis ist ihre Seele, ihr Leben; das Viereck, der Quader ist ihre Herausforderung, das Erschreckende – man denke nur an Dagoberts gewaltigen, die Stadt und das Denkmal für ihren Gründer Erwin Erpel überragenden Geldspeicher oder an die Aufgabe, in einem Land, wo alles Runde verboten ist, würfelförmige Kaugummiblasen zu erzeugen). Diese Rundlichkeit ist nicht nur die Sehnsucht nach Kindheit und Harmonie, sondern macht auch eine ungeheure Offenheit für die Welt aus, die in den großen runden Augen fortgesetzt ist. Und: Kein Mensch kann so leer und verzweifelt philosophisch drein sehen wie Donald Duck, wenn er ins Grübeln kommt. Das macht ihn nämlich stutzig.

Die Ducks leben den Widerspruch zwischen der utopischen Harmonie und der historischen Katastrophe so körperlich aus, dass sich die Barkssche Kosmologie, pessimistisch und immer ein wenig reaktionär, wie sich das für bürgerliche Kunst gehört, ganz direkt vom Panel (dem Einzelbild der graphischen Erzählung, vulgo Comic) auf den lesenden und sehenden Menschen überträgt. Mag, wie Adorno gemeint hat, im Zeichentrickfilm Donald seine Prügel beziehen, damit wir uns an die gewöhnen, die unseren Alltag ausmachen, so ist der Donald der Barks-Geschichten einer, der auch den Bedingungen solchen Leides in den Diskursen von Macht und Begehren nachspüren lässt.

Exemplarisch, vielleicht, ist auch das Leben von Erika Fuchs in Deutschland. Sie hat auf einem humanistischen Knabengymnasium das Abitur gemacht, studierte Kunstgeschichte, interessierte sich daneben vor allem für englische Literatur des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts und sah sich nach dem Krieg mit nicht allzu rosigen Aussichten für ihren angestammten Beruf konfrontiert. Sie nahm den Job der Comic-Übersetzungen zunächst einmal an, um auf schnelle und möglichst nicht allzu langweilige Art Geld zu verdienen. Aber schnell hatte sie sich in den Barksschen Enten-Kosmos verliebt, und schuf dazu eine weitere, sprachliche Dimension. Der enorme ästhetische Reiz der deutschen Donald Duck-Comics entstammt somit auch der Spannung zwischen der Selbstdarstellung der amerikanischen Provinz und der humanistischen deutschen Reflexion; die „Zusammenarbeit“ zwischen Carl Barks und Erika Fuchs schuf erst den perfekten Mythos für die Nachkriegszeit, ein offenbar funktionierendes Amalgam von amerikanischer Naivität und deutscher Bildung. Erika Fuchs sah die Welt und ihre Komik durch die Sprache wie Barks sie durch die Bilder erklärte, sie rettete in ihren altertümelnden Floskeln, in ihrem genauen Gespür für die Einheit von „Person“ und Sprache (die ENTITÄT, wenn mir der Kalauer gestattet ist) und in ihrem Sinn für die Gleichzeitigkeit von Schönheit und Groteske in der Sprache das literarische Erbe unserer Kultur in ihrer Parodie.

Dabei tat sie zugleich auch ein wenig für die Entrückung, die Autonomie von Entenhausen. (Allein die Währung von Entenhausen, Taler und Kreutzer, verweist auf den Parallelcharakter der Entenwelt, und einer der wirklich bösen Fehlgriffe im deutschen Verlag war es, sie zwischenzeitlich auf Dollar und Cent, wie im Original, umzustellen.)

Barks nahm sein „Wissen“insbesondere für die abenteuerlichen Reisen der Ducks, ganz naiv und direkt aus „National Geographics“ und aus der „Encyclopaedia Britannica“, pragmatisch; Erika Fuchs dagegen ging spielerisch mit einem Wissen um, das sich unter anderem dadurch entwertet hatte, dass es die Barbarei des Faschismus nicht verhindern konnte. Dieser Faschismus spukte in ihren Texten, nicht nur in Gesängen der Panzerknacker wie diesem: „Heute gehört uns die Kohldampfinsel und morgen die ganze Welt“. Seine anmaßende Sprache prägte die Autoritäten in Entenhausen wie die Gespräche unserer Eltern noch von ihm durchsetzt waren.

Unser Sprach-Blick in den von Erika Fuchs verdeutschten Donald Duck-Geschichten ist von unten nach oben gerichtet. Wir erkennen in der Sprache den Anspruch der Macht oder die Kraft der Subversion. Dagobert, zum Beispiel, spricht vor allem in Sentenzen, Sinnsprüchen und kategorischen Imperativen, Donald Duck wechselt zwischen pragmatischer Einsicht und verbaler Prätention. „Donald“, so Erika Fuchs, „redet meist geschwollen. Das braucht er, um sein Ego zu stärken“. Exakt dies Bild der leeren Anmaßung brauchten wir damals, um die Unsprache unserer Eltern und Erzieher (die in jeder Micky Maus-Nummer ein „Wort“ als Appeasement zu lesen bekamen) zu durchschauen, ohne sie vollständig zu hassen. In Donald Duck machten wir uns die allernächsten Unmenschen liebenswert und probten umgekehrt, ein wenig, Aufstand und Distanz.

Eine ganze Reihe von sprachlichen Idees fixes stammt, ohne dass es der Mainstream-Kultur stets bewußt wäre, aus der Poetologie, die Erika Fuchs für Entenhausen entwickelt hat. „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör“, auch wenn er nie ein Micky Maus-Heft gelesen hat, und was mit einem Denken geschieht, das von einem „Schwurbel“ erfasst ist, weiß jeder, auch wenn er keine Ahnung davon hat, wo Entenhausen liegt. „Wir pfeifen auf Pomade, auf Seife, Kamm und Schwamm/Wir bleiben lieber dreckig, und wälzen uns im Schlamm“ skandierten Tick, Trick und Track, und solch ein Satz ist ein Poem, das einen das ganze Leben nicht verlässt: „Plötzlich versteh‘ ich den Lehrsatz von der kurzfristigen Bilanzschwebe und der kreditabwürdigenden Unsicherheitstheorie!“.

Auch die Fuchsschen Omöp… die Omnöpath…, Onomatopöie, also die lautmalerischen Worte zur Unterstreichung der Aktionen oder Verdeutlichung von Gemütsbewegungen im Comics, von „schnurch!“ bis „grübel, grübel“, sind in den Gebrauch der Sprache eingegangen. Im englischen Original fand Frau Fuchs dabei vorwiegend den Gebrauch des Infinitivs, der bei einer deutschen Übertragung indes allzu sehr einer Art Befehl geähnelt hätte. Sie verwendete stattdessen allein den Stamm eines Verbes und schuf damit im Grunde eine neue Zeit, die nur einerseits an das Lautmalerische gebunden blieb, sich andrerseits aber auch zu einer inneren Verlaufsform entwickeln konnte. Dass der Gebrauch des Wortstammes eine eigene, noch glücklicherweise unformulierte Poetik entwickelt, ist nur der wahren Liebhaberin und dem wahren Liebhaber des theoretischen als auch des praktischen Fuchsismus/Barksismus zugänglich. Dass es zwar durchaus „grübel, grübel“, keineswegs aber „stöhn, stöhn“ heißen kann (wie in einem nicht auszumerzenden falschen Zitieren), sondern durchaus „Ächz, stöhn“, weil einsilbige Wortstämme in dieser inneren Verlaufsform falsch klingen, und weil Wiederholungen umso poetischer erscheinen, je mehr sich das Wort von der Lautmalerei entfernt – aber was rede ich da!

Der Kampf um die moralischen und politischen Werte in Entenhausen ist immer sehr heftig geführt worden, von innen wie von außen. Die CSU-Postille BAYERNKURIER (was, nebenbei klingt, als hätte man sich diesen Titel in Entenhausen ausgedacht) hatte sich 1969 darüber beschwert, dass sich die rebellischen Geister von Tick, Trick und Track als Jungsozialisten gebärdeten und die Panzerknacker als maoistische Revolutionskader, die sich einen eigenen „“Ideologen“ halten. „Gefahr für unsere Kinder“, sah die Zeitung darin und übergab damit einen weiteren Diskurs über die „Bilderdrogen“ der Nachwelt, die ohnehin jedem aufrechten Konservativen als erheblich suspekt erscheinen mußten. Ein gewisser Grobian Gans dämpfte dann freilich die nun auch von linker Seite gehegten Vermutungen über das politische Entenhausen in seinem Buch „Die Ducks – Psychogramm einer Sippe“ (1970); nach seiner Theorie handelt es sich bei den Panzerknackern keineswegs um eine revolutionäre Zelle, und die häusliche Revolte von Tick, Trick und Track ist nicht emanzipatorisch, sondern pragmatisch-individuell zu sehen. Immerhin müssen wir in Gustav Gans einen homosexuellen CIA-Agenten erkennen.

Das geschlossene und doch widerspruchsreiche System von Entenhausen bietet sich einer wissenschaftlichen oder meta-wissenschaftlichen Analyse geradezu an. Die Beschäftigung mit den Ducks spiegelt unter anderem die wissenschaftlichen Moden und Methoden von den sechziger Jahren bis heute wieder. In den siebziger Jahren wurde mit eher zweifelhaften Ergebnissen versucht, „Micky Maus“, so etwa durch Dietrich Kittner, in den Rang „“ulturrevolutionärer Schriften“ zu erheben. Umgekehrt lehrten uns Ariel Dorfman und Armand Mattelart „How To Read Donald Duck“ (1971), nämlich als propagandistische Anleitung insbesondere für Leser in der Dritten Welt, sich den Interessen von United Fruit und dem Coca Cola-Kapitalismus zu unterwerfen. Ihre Analyse bezog sich indes zum Teil auf Übersetzungen, die mit dem Original so gut wie nichts mehr zu tun haben und in der Tat in manchen Ländern gezielt als Steuerungsmittel analphabetisierter Kulturen verwendet wurde, so wie Donald, er kann sich ja nicht wehren, auf der ersten Briefmarke zu sehen war, die in Grenada nach der amerikanischen Invasion herausgebracht wurde. Dabei scheint der naive Humanismus der Barksschen Donald Duck-Geschichten stets auch zumindest gegen die kriminelle Fraktion des Kapitalismus gerichtet, etwa in Daniel Düsentriebs stetem Kampf gegen den üblen Erfinder Hugo Habicht, der immer wieder in den Ländern der Dritten Welt auftaucht, um mit neuem Gerät die dortigen Resourcen zu rauben und Hungersnöte auszulösen. Von Entenhausen gelangt man in die Welt, in den Weltraum, nach „Gibsgarnich“, nach „Brutopia“, „Trala La“ oder auch einfach nach „ganz weit weg“, begegnet den unterschiedlichsten Kulturen, Diktatoren und Utopien; Entenhausen, weiß man am Ende immer, ist nicht die beste aller Welten, aber die einzig „wirkliche“. Die Ducks sind frei von der chauvinistischen Beschränktheit eines Asterix, und doch ist ihr schierer Pragmatismus, ihre perfekte Rollenteilung, eine Gefahr für die Welt. So müssen wir stets erleichtert sein, wenn sie wieder in Entenhausen sind, da gehören sie hin.

Der Erforschung des Kosmos von Entenhausen hat sich mittlerweile der Verein D.O.N.A.L.D. verschrieben, die „Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus“; in einigen Zeitschriften, die berühmteste ist wohl „Der Hamburger Donaldist“, werden Fragen erörtert wie das Wirken von Psi-Kräften in Entenhausen, das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft im Barks-Universum, die Frage, ob Daniel Düsentrieb ein Toupet trägt usw. Zu einer länger anhaltenden Diskussion in den Fachkreisen gab das Problem Anlass, dass die Enten Zähne haben. So muss eine neue Evolutionsgeschichte geschrieben werden. In einem Sonderheft der Zeitschrift wird Entenhausen unter dem Motto „Das Micky Maus-Heft als Neufassung und Fortschreibung der Bibel“ als „neues Jerusalem“ gedeutet.

Der mehr oder minder ernsthafte und lautere Donaldismus (dessen Feinde sich nicht nur unter den Kommerzialisten befinden, sondern auch unter uns „Vulgärdonaldisten“) ist gleichsam Endstadium einer kulturgeschichtlich ziemlich einzigartigen Identifikation mit einer künstlichen Welt, einer künstlichen Sprache, einer künstlichen Gestalt. Der klassische Held der Volkskultur, als Marionette, Legende, Illustration, in der Comedia Dell’Arte, zeichnet sich durch seine Unberührtheit aus, und unberührt scheinen auch die meisten Helden der populären Kultur. Unberührt bleibt der Roadrunner von den Nachstellungen des Coyoten, und der bleibt unberührt von seinen tausend Niederlagen. Das gilt für Daffy Duck, Bugs Bunny, Woody Woodpecker, Little Lulu und so weiter. Aber nicht für Donald. Bei ihm sehen wir sogar dabei zu, wie sich die Geschehnisse tief in seine Seele graben. Er ist schließlich, in seiner Hochphase, nichts als reiner Ausdruck, reine Emotion. Mein Freund Donald tritt ins Leben.

Autor: Georg Seesslen

Text geschrieben: 1994