Paul Klee: Angelus novus

Bewahren und verändern

Eine Frage der Etikette: Die Melodie der Revolution klingt anders: Ein „Kulturabend“ der Grünen anlässlich des Berliner Theatertreffens.


Sage mir, wie du feierst, und ich sage dir, wer du bist. An diese kulturwissenschaftliche Faustregel fühlte sich erinnert, wer den „Kulturabend“ besuchte, den die Bundestagsfraktion der Grünen vergangenen Dienstag zum Berliner Theatertreffen ausgerichtet hatte. Nicht im Kunsthaus Tacheles, nicht in Kreuzbergs postmigrantischem Ballhaus, nicht im Salzstock Gorleben – im Restaurant Auster, dem gläsernen Souterrain der Kongresshalle im friedlichen Tiergarten, sorgten sie sich um Kunst und Kultur: Eingedeckte Tische, gebügelte Stoffservietten, Sitzordnung, gediegenes Geplauder; zwischen den Gängen eines vegetarischen Menüs gab es kleine, feine Live-Einlagen.

Deutlicher hätten die einstigen Underdogs der parlamentarischen Demokratie nicht offenbaren können, in welcher geistigen Verfassung sie sich derzeit befinden. Um es gleich vorwegzunehmen: Das Klagelied von den opportunistischen Grünen, die ihre Herkunft verraten, klingt ungefähr so abgestanden wie einst die Erwartung, Joschka Fischer hätte Zeit seines Lebens in einer abgeschabten Lederjacke und einem Pflasterstein unter dem Arm herumzulaufen.

Ein Hauch von Kurkonzert

Doch dass an diesem Abend gar nichts an die Alternativ- und Widerstandskultur erinnerte, aus der sie auch hervorgingen, war symptomatisch. Parteichefin Claudia Roth war zwar gerade von einer Reise nach Tunesien zurückgekehrt. Und schwärmte vom Rap als „Melodie der Revolution“. In der Auster lauschte sie dann ihrer Abgeordnetenkollegin Agnes Krumwiede. Die gelernte Konzertpianistin aus Ingolstadt, Jahrgang 1977, trat im schulterfreien Abendkleid aus dunkelvioletter Seide an den Flügel. Und intonierte hingebungsvoll Puccini und Ravel. Ein Hauch von Kurkonzert lag in der Luft.

Dass eine Partei eine veritable Künstlerin zur kulturpolitischen Sprecherin kürt, ist im Bundestag etwas Besonderes. Die kulturpolitischen Floskeln, die Krumwiede zum Besten gab, unterschieden sich aber wenig von denen der „etablierten“ Parteien: Kunst als Haupt- und nicht als Nebensache, Kreativität als Inspiration, mit den Künstlern reden, nicht über sie – was man an solchen Abenden halt so sagt.

Dass hinter dem offenkundigen Formwandel auch ein Lernprozess stecken könnte, demonstrierte Hermann Wündrich. Von seiner alten Freundin und Theaterkollegin Claudia in einem „Bühnengespräch“ befragt, was denn von dem politischen Theater geblieben sei, um das sie in den bleiernen siebziger Jahren gerungen hätten, meinte der Dramaturg des Berliner Ensembles nachdenklich, dass es vielleicht politischer sei, die Wahrnehmung zu verändern, als politische Stücke aufzuführen. Politisch, so Claus Peymanns Mann fürs Konzeptuelle, sei Ästhetik eher „auf eine indirekte Art“. Das soll wohl jetzt auch für die Politik gelten.

Der Wechsel von der direkten zur reflexiven Aktion macht die Partei gewiss attraktiver für die bürgerliche Klientel, die ihnen derzeit wie von selbst zuströmt. Was ihnen die heroische Aufgabe erleichtern dürfte, die Johan Simons ihnen zuschob. Angesichts des Siegeszug des politischen Populismus in seiner niederländischen Heimat beschwor der Intendant der Münchner Kammerspiele die Grünen, „das Bildungsbürgertum zu bewahren“. Die nötige Etikette dafür übten sie jedenfalls schon mal.

Vor diesem Hintergrund wurde das Kulturprogramm des Abends plausibel. Die von Paul Klees Bild “Angelus Novus“ und der fortschrittskritischen Deutung Walter Benjamins als dem Engel der Geschichte inspirierte Performance der brasilianischen Tänzerin Yahsmine Macaira und Mayako Kubos Welturaufführung des Klavierstücks „Nachbeben“, geschrieben unter dem Eindruck des Erdbebens in Fukushima, ergaben zusammen so etwas wie Katastrophenkitsch für die concerned bourgeosie.

Ob die Avantgardehäppchen sie zu der anderen Lebensweise animieren, die unausweichlich ist, wenn die Welt aus dem Wachstumsdilemma herauskommen will, konnte zumindest an diesem Abend noch nicht nachgewiesen werden.

Unbedingt eine Brücke

Wie den Grünen der Brückenschlag zwischen Bewahren und Verändern, zwischen Bourgeoisie und Antibourgeosie gelingen könnte, wurde im Keller der Schwangeren Auster nicht klar. Höchstens, dass sie dazu eine Brücke unbedingt überqueren wollen. Immer wieder blinzelten die grünen Kulturfreaks auf das magisch illuminierte Gebäude vis-à-vis, das aus seiner theatralischen Bestimmung keinen Hehl macht. Angela Merkels Kanzlerinnenamt wäre der ideale Resonanzboden für die rollenstarke Claudia Roth, die nach eigenem Bekenntnis „die Bühne nie verlassen“ hat.

Text: Ingo Arend

Text erschienen in taz, 12.05.2011

Bild: Paul Klee: Angelus novus (gemeinfrei)