Vielleicht doch Kunst

Die Spannung auf die 13. Documenta wächst. Ihre Macher werben auf der Tourismusbörse mit vagem Mantra und klarem „Maybe“ für das wichtigste Kunstereignis der Welt.

Eine Frau mit blonder Löwenmähne, die an einem tropischen Baumstamm lehnt, im Hintergrund lockt dunkel schimmerndes Grün. Das Bild, das die Kasseler Marketinggesellschaft am Freitag in der „Culture-Lounge“ der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) werbewirksam auf eine Leinwand projizierte, passte perfekt zur Location.

Denn für eine Touristenattraktion wirbt Carolyn Christov-Bakargiev, italienisch-bulgarisch-amerikanische Chefin der 13. Documenta, ja auch. Alle fünf Jahre pilgern eine knappe Million Besucher aus aller Welt in die nordhessische „Metropole“. Und bei aller Kunstliebe: Auf eine bestimmte Art ist das wichtigste Kunstereignis der Welt ja auch eine Mischung aus Dschungelcamp und Erlebnisurlaub.

Sehr viel mehr über das, was die Besucher am 9. Juni inhaltlich erwartet, war auch auf diesem Promotermin für das unerbittlich näher rückende Kasseler Ritual nicht zu erfahren. Terry Harding, der australische Kommunikationschef der Documenta, wiederholte das vage Mantra seiner leider nur virtuell anwesenden Chefin von der „ökologischen und feministischen Perspektive“, dem „experimentellen Ansatz“ und der „Universität der Ideen“. Und pries ihre sozialen Tugenden: „She is a very collaborative person, you know.“ Was soll man auch sonst sagen, wenn man nichts Genaues sagen darf? So bleibt der Kritiker auf Mutmaßungen angewiesen.

Bakargievs programmatischer Leitsatz: „documenta (13) wird angetrieben von einer ganzheitlichen und nicht-logozentrischen Vision, die dem Wissen der belebten und unbelebten Weltenschöpfer (darunter Menschen) innewohnt und von diesen erkannt wird“, klingt aufregend. Demnach wären auch Tiere, Planzen und Steine so etwas wie Künstler.

„Tourismuskonzept mit Wirkung“

Es hat aber auch einen Touch von Esoterik. Dazu kommt die wabernde Rhetorik von den „weltgewandten Begleitern“ (für das Führungsprogramm der Documenta) und dem „Vielleicht Vermittlung“ (für das Bildungsprogramm). Andererseits: Wer derzeit sieht, wie eine bekannte Zigarettenfirma mit einem durchgestrichenen „Maybe“ genau die Chiffre für das Prinzip des Zweifels verwirft, die im Mittelpunkt von Bakargievs Denken steht, empfindet plötzlich wieder heftige Zuneigung für die soft skills der Kuratorin.

Dass die 160 Künstler und 350 weiteren „Teilnehmer“ Arnold Bodes 1955 gegründete „Olympiade der Kunst“ zu einem „astonishing event“ (Harding) machen werden, glauben wir erst, wenn wir die 8 Haupt- und die 20 Nebenausstellungsorte im Sommer abgeklappert haben. Richtig schlimm wird es aber nicht, wenn Bakargievs Konzept schiefgeht und die (Kunst-)Welt nicht von einem ästhetischen Paradigmenwechsel erschüttert werden sollte.

Kassel, das zeigt das freigiebig verteilte Werbematerial über die „Documenta-Stadt“, ist keinesfalls die „hässlichste Stadt westlich von Sibirien“, als die sie einst der US-Kunstpapst Benjamin Buchloh verspottete. Es hat eine reiche Museumslandschaft und sein schönes „hinterland“ (Harding) lädt zu Ausflügen ein. Womit dann wenigstens erwiesen wäre, dass selbst schlechte Kunst ein „Tourismuskonzept mit Wirkung“ ist – um es mit einem aktuellen Slogan der ITB zu sagen.

Ingo Arend (taz 09.03.2012)

Bild Teaser: Carolyn Christov-Bakargiev, Photo: Ben Symons