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Mit Beginn der 8. Berlin-Biennale sind auch die „Kunst-Werke“ wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Seit 2013 leitet Ellen Blumenstein die „KW“ als zweite Direktorin. Ins Zentrum der Berliner Kunstszene gelangte sie auf Umwegen.

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Ellen Blumenstein (Courtesy: Die Klau Mich Show)

 

KUNST-WERKE

Eine fast schon mythische Berlin-Geschichte
Von Ingo Arend

„Als ich sehr jung war, mit zwanzig, hab‘ ich gedacht: ich wollte Kulturjournalistin werden … Und hab dann dafür ’n Praktikum in der im Pressebüro der Documenta gemacht in Kassel. Das war 1997. Und das war die Documenta von Catherine David. Und in der Zeit hab ich dann herausgefunden, dass das mit dem Journalismus irgendwie doch nichts für mich ist. Aber dass ich die Kunst ganz toll finde.“

Was Ellen Blumenstein wie nebenbei erzählt, ist eine fast schon mythische Berlin-Geschichte. Ein junger Mensch will raus aus der Provinz. Und landet dann plötzlich in der großen weiten Welt der Kunst. Wir sitzen im ersten Stock der Kunst-Werke in der Auguststraße in Berlin-Mitte. Seit einem Jahr ist Blumenstein Chefkuratorin der legendären Kunsthalle im Zentrum der Stadt. Dass die 1976 im nordhessischen Witzenhausen Geborene einmal in die Kunst gehen würde, war ihr nicht an der Wiege gesungen… (Deutschlandradio Kultur) weiterlesen

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Deutschlandradio Kultur vom 29.05.2014
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„Ich komme eher so aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Meine Eltern waren diejenigen, die erste Generation, die studiert hat. Und die hatten schon ein großes Interesse an Literatur und Musik. Deswegen habe ich wahrscheinlich auch erst mal  Literatur und Musik studiert. Aber Kunst war eigentlich noch mal so ein Schritt weiter, etwas Eigenes zu machen.“

Ohne Kunsthintergrund zu einer der einflussreichsten Kuratorinnen

Das kleine Büro unterm Dach, in dem sie seit einem Jahr residiert, will mir die 38-jährige mit den modisch kurz geschnittenen, blonden Haaren nicht zeigen. „Da herrscht zu viel Chaos“ sagt sie, als ob das in einer Kunsthalle eine Schande wäre. Kurz, aber bestimmt, lotst sie mich in ein kleines, aber leeres Café einen Stock tiefer. Blumenstein ist höflich, aber reserviert und kühl. Sie wirkt angespannt, wenn sie von ihrem Werdegang und ihren Ideen erzählt.

„Also ich hab‘ eigentlich gar keinen Kunsthintergrund. Und hab auch keine Kunstgeschichte studiert. Und in der Zeit konnte man Kuratorsein noch nicht lernen. Und da bin ich dann mit learning-by-doing über dieses Erlebnis über diese Erfahrung zur Kunst gekommen.“

Das Praktikum war wichtig. Ihr eigentliches Initiationserlebnis aber hatte Blumenstein schon fünf Jahre früher – bei einem Schulausflug auf die Documenta 9, 1992. Zwei Werke hatten es ihr damals besonders angetan:

„Das eine war ‚Help me‘ von Bruce Nauman. Das ist dieser Kopf, der sich immer dreht auf dem Monitor. Und das hat mich total mitgenommen. Und dann gab’s ne Installation aus Zollstöcken von Cildo Mereiles, und die hingen so von der Decke. Es gab so ’ne Möglichkeit oder die Offenheit, sich berühren zu lassen.“

Erste Station war ein Documenta-Praktikum

Blumenstein beginnt ihr Documenta-Praktikum in Kassel. Bei einem zweiten in New York begegnet sie dem damaligen Kunst-Werke-Chef Klaus Biesenbach, der sie 1998 als Assistentin verpflichtete. Ihren Karrieresprung vor einem Jahr verdankt sie der Tatsache, wie publicityträchtig und hartnäckig sie später für die Interessen der unabhängigen Kunsträume kämpfte. Da war sie freie Kuratorin, wanderte jahrelang durch ganz Europa. Nun arbeitet sie wieder fest in Berlin Mitte. Doch der einstige Abenteuerspielplatz, von dem ihr Ausflug in die Kunst begann, ist ihr fremd geworden. Zwischen Luxusboutiquen, Nobelrestaurants und Millionärslofts vermisst sie das Mitte-Gefühl der Nachwendezeit.

„Man hat immer das Gefühl gehabt, ich kann Dinge tun, die mir wichtig sind. Und das betrifft glaub ich eben nicht nur die Künstler und nicht nur die, die mit Kunst ganz konkret arbeiten, Kuratoren, Kritiker. Sondern es hat eine ganze Stadt betroffen. Man muss sich hier nicht nur mit dem Geldverdienen beschäftigen. Und das hat sich jetzt, die letzten zwei Jahre radikal … Also das ist jetzt vorbei.“

Auch sonst hat sich einiges verändert, wenn man statt am Laptop im Homeoffice eigene Projekte voranzutreiben, eine Institution leiten muss:

„Ich kann nicht mehr entscheiden, wann ich aufstehe. Also. Kann ich schon, aber ich hab‘ ein Team. Die brauchen mich, einfach, um halt selber arbeiten zu können. Ich kann halt nicht mehr allein entscheiden, was ich wann tue. Ich bin auch gern alleine. Mir gefällt es, immer wieder alleine  zu arbeiten, alleine Entscheidungen zu treffen und so weiter. Und da merke ich immer wieder, dass ich zwischen dem Individuellen und dem Gemeinschaftlichen verhandeln muss.“

Freizeit hat Seltenheitswert

Trotzdem kommen normale Bedürfnisse zu kurz. Freizeit ist ein Wort mit Seltenheitswert im Kunstbetrieb. Als freie Kuratorin kam ihr deswegen einmal das ganze Privatleben abhanden. Es kam zur Trennung von ihrem damaligen Lebensgefährten. Jetzt lebt sie wieder in einer festen Beziehung, achtet auf einen Freundeskreis außerhalb des Kunstbetriebs. Zum Glück arbeitet ihr jetziger Freund nicht dort, sondern an der Universität. Kann sie sich ein Leben außerhalb des Kunstbetriebs vorstellen?

„Frag ich mich ständig, ja, genau, ich geh‘ nach Afrika. Und mach‘ AIDS-Aufklärung oder so. Ich glaub‘, am Ende nicht. Ich kenne ja auch andere Kontexte. Ich glaub‘, mit der Universität das hat sich erledigt. Spätestens mit Bologna sind da Freiräume verschwunden. Das ist keine Phantasie, ins Akademische hinüberzuwechseln – und ich glaube, die Kunst ist nach wie vor der Ort, wo das Nachdenken – im kreativen Sinne – wo es da überhaupt noch Platz gibt. Ich glaube nicht, dass ich das Feld an sich verlassen würde. Ich wüsste nicht, wohin.

Ingo Arend, Deutschlandradio Kultur 29.05.2014

 

MEHR INFORMATIONEN:

Website der Kunst-Werke Berlin

Website der Berlin Biennale