Piraten sind Piraten und keine Politiker. Das ist das Verlockende an ihnen und vielleicht auch schon ihr Erfolgsgeheimnis. Politiker sind langweilige Phrasendrescher; Piraten aber segeln über die Weltmeere, sind frei und gesetzlos, tragen schwarze Augenklappen und rote Bärte und nehmen sich, was ihnen nicht gehört. Piraten sind Gestalten der Phantasie und der Romantik; Johnny Depp ist ihr Spitzenkandidat. Und wenn sie nicht gerade Asterix und Obelix begegnen, um von denen mal wieder verdroschen und versenkt zu werden, haben sie womöglich ein ganz komfortables Leben. Bisher.

Doch jetzt haben die Piraten die Politik geentert, und da möchte man fast schon Mitleid mit ihnen haben. Denn Politik ist ein verdammt großes Schiff, auf dem sich ein paar unerschrockene Gestalten mit gebogenen Säbeln in der Hand leicht verlaufen können. Jetzt müssen die Piraten im Abgeordnetenhaus sitzen, zu jedem politischen Problem eine ordentliche Meinung produzieren und dann irgendwann einmal auch erklären, warum sie eigentlich gewählt wurden. Das wird nicht leicht.

Die Grünen sind gealtert, das ist kein Geheimnis. Einst als Protestbewegung angetreten, sind sie heute von denen, die sie damals als „Etablierte“ bezeichneten, nicht mehr zu unterscheiden. Grün zu wählen, ist vielleicht immer noch richtig, aber auch spießig, mainstreamig, normal. Da versprechen die Piraten den höheren Distinktionsgewinn. Sie sind jung und unverbraucht, das reicht fürs erste. Es mag zwar ungerecht und dumm sein, dass das Junge stets höher im Kurs steht als Alter und Erfahrung, aber so ist es nun mal unter Verbrauchern, die immer was Neues brauchen.

Die Piraten folgen als Lebensgefühl und als nächste Generation den Grünen nach. Dennoch sind sie nicht mit ihnen zu vergleichen. Die Grünen, die vor allem aus der Friedens-, Frauen- und Anti-AKW-Bewegung hervorgingen, waren eine Reaktion auf drängende gesellschaftliche Probleme. Die Piraten dokumentieren dagegen vor allem den Überdruss an der parteienförmigen Politik. Sie sind eine Art Flashmob des Wahlvolks, eine Wildcard fürs Parlament, die ein paar Überraschungen und weniger Langeweile verspricht. Sie bieten nichts Bestimmtes, aber absolute Transparenz. Sie haben kein Programm, lassen aber auf ihren Foren alle mitdiskutieren. Sie stehen für Freiheit im Internet und im Berliner Verkehrsnetz; ob sie das schon mal durchgerechnet haben, ist weniger klar. Doch gerade dass sie kein dezidiertes Programm und keine Sprechblasen vor sich hertragen, macht ihre Attraktivität aus. Die Politikdarsteller-Lehrlinge der FDP sind weggefegt worden. Die Politiklaien der Piraten wurden gewählt, weil sie eben etwas anderes darstellen als Politiker. Vielleicht besetzen sie mit ihrem diffusen Freiheitsbegehren genau den Raum, den früher einmal, als es noch Liberale gab, die FDP für sich reklamierte. Die sogenannte Politikverdrossenheit gilt ja nicht der Politik, sondern den Politikern und ihren öden Ritualen. Wenn dazwischen ein paar freiheitliche Piraten segeln, bringt das wenigstens Bewegung ins Geschehen.

Jörg Magenau

rbb kultur, 20.09.2011

Bild: Logo der Piratenpartei Deutschland

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