Meldung Hitlers „Mein Kampf“ soll an Zeitungskiosken verkauft werden
Der britische Verleger Peter McGee will ab Ende Januar Auszüge aus dem Buch „Mein Kampf“ von Adolf Hitler in deutschen Zeitschriftenläden verkaufen. „Es ist längst überfällig, dass eine breite Öffentlichkeit die Möglichkeit bekommt, sich mit dem Originaltext auseinanderzusetzen“, sagte McGee dem „Spiegel“.
McGees Verlag sorgte bereits 2009 für Debatten in Deutschland, als er Nachdrucke von Nazi-Postillen wie „Der Angriff“ oder der „Völkische Beobachter“ an die Kioske brachte. Bei „Mein Kampf“ soll Hitlers Prosa kritisch kommentiert werden, wie das Magazin weiter berichtet. Veröffentlicht würden zunächst drei Ausgaben einer jeweils rund 15-seitigen Broschüre. Insgesamt 100.000 Exemplare sollen gedruckt werden. dapd  15.01.2012

Die Vergangenheit lässt sich nicht in gut gemeinten Dokumentationen bewältigen, wenn die Konfrontation mit der Quelle aus Furcht unterbleibt. Ein Kommentar von Jörg Magenau

Hitler ist allgegenwärtig. Kaum ein Abend, an dem er nicht irgendwo im Fernsehen erscheint, ob auf dem Obersalzberg mit Hund und Eva Braun und neuerdings auch in Farbe, oder als fuchtelnder, brüllender Redner auf dem Nürnberger Reichsparteitag. Wir kennen nicht nur seine Generalstabschefs und Propagandisten, sondern auch seine Sekretärinnen und seine Friseure. Wir sehen mit Hakenkreuzfahnen geschmückte deutsche Städte und dann die zerbombten Straßenzüge und ausgemergelte Häftlinge in von Alliierten befreiten KZs. Wir wissen um den nationalsozialistischen Irrsinn, der in einer allabendlichen Doku-Wiederholungsschleife volkspädagogisch wertvoll aufgehoben ist. Nur eines kennen wir nicht: Hitlers programmatische Schrift „Mein Kampf“, in der sein ganzer Wahnsinn offenkundig wird. Hitlers Anblick ist also erlaubt und zumutbar; die direkte Auseinandersetzung mit seinen Gedanken aber nicht. Hitler ist gleichzeitig überpräsent und abwesend. Das wirkt ein wenig wie ein Rückfall ins Mittelalter, als das Böse in Teufelsgestalt gebannt und ausgetrieben wurde, die individuelle Vernunft aber als etwas Verdächtiges, Unkontrollierbares galt.

Deshalb ist es prinzipiell zu begrüßen, wenn nun ein britischer Verleger Auszüge aus „Mein Kampf“ an deutsche Kioske bringt. Es ist doch lächerlich zu glauben, dass die Berührung mit Hitlers rassistischem und paranoidem Gedankengut eine Art Masseninfektion hervorrufen und den Rückfall in nazistische Ideologien nach sich ziehen könnte. Oder dass es im Publikationsfall der historisch-kritischen Kommentare von Experten bedarf, um diese Gefahr zu bannen. In Israel, den USA und vielen anderen Ländern gibt es das Buch ja auch. Vielmehr schürt die fortgesetzte Tabuisierung den Glauben, es beinhalte ein immer noch virulentes Gift. Das staatliche Verbot hat die selbe Wirkung wie die Kriminalisierung von Drogen. Es führt dazu, dass das Verbotene im Halbdunkel und in dubiosen Zusammenhängen rezipiert wird und dort einen spezifischen Reiz entfaltet. Und es führt dazu, dass ein offenkundig auf NS-Publikationen wie auf Devotionalien fixierter Verleger genau damit jetzt seine Geschäfte machen kann.

Wäre „Mein Kampf“ in Buchhandlungen und Bibliotheken zu haben, ließe sich leicht erkennen, dass der Text weniger dämonisch als außerordentlich dumm und wirr ist. 2016 läuft der Copyrightschutz für das Buch ab. Das bedeutet aber nicht, dass es dann endlich vollständig publiziert werden wird, da es unter den Straftatbestand der Volksverhetzung und verfassungsfeindlicher Propaganda fällt. Die Rechte besitzt seltsamerweise der Freistaat Bayern, der Hitlers Vermögen nach Kriegsende eingezogen hat. Es wäre allerhöchste Zeit, das Buch endlich auch hierzulande zugänglich zu machen, denn es ist wichtiges Material in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Die Vergangenheit lässt sich nicht in gut gemeinten Dokumentationen bewältigen, wenn die Konfrontation mit der Quelle aus Furcht unterbleibt.

Jörg Magenau, rbb Kulturradio, 17.01.2012

Bild: Erstausgabe von Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“, Juli 1925. Ausgestellt im Deutschen Historischen Museum in Berlin, Anton Huttenlocher