Auch das noch

Ich kann es nicht mehr ertragen. Ich kann den Namen Christian Wulff nicht mehr hören. Ich schalte sofort ab, wenn von Bobbycar, Upgrade, Nordsüddialog, Tattoo, Anrufbeantworter, zinsgünstigem Kredit, guten Freunden oder von Orten wie Hannover, Großburgwedel und neuerdings sogar Sylt die Rede ist. Unerträglich ist sogar das ehrenwerte Wort Rücktritt geworden. Der Bundespräsident wird es auch dann nicht in den Mund nehmen, wenn sich herausstellen sollte, dass er 2007 auf Sylt ein Fischbrötchen gegessen hat, das mit Gurke und Zwiebelringen luxuriöser belegt war als üblich. Das Allerunerträglicheste an dieser unerträglichen Geschichte ist aber ihre abgrundtiefe Mickrigkeit und ihre tendenzielle Unabschließbarkeit. Die Vorwürfe sind ja in etwa so billig wie der ganze Mann und diese ganze Bausparkredit- und hier ein kleines Extra und dort ein nettes Bonüsschen-Mentalität auf allenfalls mittlerem Wohlstands- und Verwöhnniveau. Sich damit wochen- und monatelang beschäftigen zu müssen ist eine einzige Beleidigung.

Und es geht immer weiter. Jetzt sind offenbar die Anwälte des Präsidenten damit beschäftigt, seine Vergangenheit nach von guten Freunden beglichenen Hotelrechnungen zu durchforsten. Ein guter Freund ist sogar persönlich nach Sylt gereist, um den dortigen Hotelangestellten Schweigen aufzuerlegen, und so dem Amigo-Verdacht entgegenzuwirken, der doch nun wahrlich als sich verdichtender Gesamteindruck nicht mehr restlos aus der Welt zu schaffen ist. Zurücktreten wird Wulff auch dieses mal nicht. Der Skandal – falls dieses große Wort für einen so blassen Mann angemessen ist – ergibt sich zu seinem Glück allenfalls aus der Summe der gesammelten Mickrigkeiten. Doch Moral ist nicht addierbar. Die Summe aus piefigen Kleinbürgervergehen ist immer noch piefige Kleinbürgermentalität, und wer Wulf kritisiert, muss sich auf dieses Niveau begeben. Kein Wunder, dass die BILD-Zeitung dabei ganz vorne liegt und nun tatsächlich allen Ernstes als kritisches, Demokratie und Aufklärung verteidigendes Medium ernst genommen werden möchte. Schon deshalb müsste ein Präsident mit Rest-Anstand und Rest-Würde sofort zurücktreten, auch wenn er sein Bobbycar selbst bezahlt hätte.

Doch Christian Wulff kann nicht zurücktreten. Den Moment dafür hat er längst verpasst, falls es ihn jemals gab. Seine Geschichte ist insofern lehrreich, als sie ein Licht darauf wirft, wie Politik in freundschaftlicher Nähe zur Wirtschaft funktioniert. Wulff ist ja keine Besonderheit. In den 90er Jahren gab es schon mal eine „Amigo-Affäre“, damals in Bayern. Wulff repräsentiert den Typus des Berufs-Amigo, wie er sich in den Augen der anderen Berufspolitiker als oberster Repräsentant für dieses Land eignet. Die Bundeskanzlerin hat ihn auch deshalb ins Amt gehoben, um sich damit gleich noch eines parteiinternen Konkurrenten zu entledigen. Jetzt rächt sich eine Politik, der es primär um den eigenen Machterhalt geht. Wulff verkörpert aber exakt dieses Prinzip – und sonst nichts. Schon deshalb muss er an der Macht festhalten und das Gewürge geht weiter.

Jörg Magenau, rbb Kulturradio 09.02.2012