Am Ende eines Jahres wird Bilanz gezogen. Auch über die Qualität des vergangenen Filmjahres wird nachgedacht. Dabei taucht vielleicht u.a. die Frage auf, wie viele Filme eigentlich jährlich weltweit produziert werden? Offizielle Statistiken gehen von circa 6 Tausend aus, erfasst werden damit jedoch nur die Filme mit einer Kinoauswertung. Wenn man bedenkt, dass die BERLINALE oder ein Kurz-Filmfestival wie INTERFILM jeweils an die 6000 Filmeinreichungen erhalten – und es gibt Hunderte Festivals weltweit – oder dass circa 200 junge Regisseure allein in Deutschland jährlich ihre Abschlussfilme vorlegen, so ahnt man, wie groß das Angebot an Filmen eigentlich ist. Ganz abgesehen von der enormen, hierzulande so gut wie unbekannten, Filmproduktivität afrikanischer oder südamerikanischer Länder. Man kann also ohne weiteres von einer schier unvorstellbaren Fülle sprechen, von einem riesigen Spektrum ästhetischer und inhaltlicher Formen – ausgelöst nicht zuletzt durch eine immer preiswertere und leichter zu handhabende Technik.

Demgegenüber steht das Paradox einer schrumpfenden Diversität an Filmangeboten bezogen auf das Kino, vom Fernsehen ganz zu schweigen. Was heißt das? Schaut man beispielsweise in das Kinoprogramm egal welcher bundesdeutschen Stadt, so laufen so gut wie überall dieselben Filme. In denselben Zyklen des Austausches. Die großen Kinoketten zeigen ihre massenkompatible Ware fürs breite Publikum, in der Regel „Made in Hollywood“, und die Arthaus- und Programm-Kinos bringen Anspruchsvolles, häufig mit Fördergeldern versehene europäische Produktionen. – Auch dies ist ein Problem. Denn Förderung erhält ein Film nur dann, wenn er bereits einen Verleiher hat, womit deren Geschmack und Geschäftssinn relativ viel Macht eingeräumt wird. Der Filmvertrieb scheint ohnehin eine Schwachstelle bzw. ein Engpass angesichts einer veränderten Medienlandschaft.

Die zweite Schwachstelle in diesem Zusammenhang ist das Kino als Abspielstätte selbst. Erst langsam wird hier wahrgenommen, dass sich Publikumsstrukturen, Ansprüche und vor allem die Mediennutzung verändern, Stichwort digitale Revolution. Für die Art- und Programmhaus-Kinos –  diese stellen immerhin noch mehr als jeden 10. Kinosaal in der Bundesrepublik – steht also einiges auf dem Spiel. Dabei geht es nicht nur um Finanzierungskonzepte des so genannten digitalen „roll out“, d.h. wie die Kinos mit neuer und teurer digitaler Technik um- und ausgerüstet werden sollen, sondern um weit mehr. Vor allem auch um die Frage, wie ein jüngeres Publikum wieder ins Kino zurückgeholt werden kann. Jüngste Erhebungen eines Jugendmarktforschungsinstituts in Großbritannien haben ergeben, was jeder beobachten kann, der mit Jugendlichen zu tun hat: das Unterwegs-Sein im Internet ist längst viel attraktiver als der Besuch eines Lichtspielhauses. Gerade noch 6,3 Prozent Relevanz erhält das Kino in dieser Studie. Demgegenüber gibt es derzeit etwa 11 Millionen zahlende (!) User von „World of Warcraft“. Auch bei der Gruppe der 20 bis 29-Jährigen sieht es nicht besser aus. Im Vergleich zum Jahre 2000 gehen hierzulande fast 40 Prozent weniger Zuschauer dieser Altersgruppe in Arthaus- und Programm-Kinos. Sie fühlen sich dort weder willkommen noch finden sie das entsprechende Filmangebot.

Zum Teil sind diese Ergebnisse die vielleicht gerechte Strafe dafür, dass die Kinos immer noch dasselbe machen wie vor 50 Jahren. Dabei eröffnen sich gerade mit dem Digitalen viele neue Möglichkeiten das Kino attraktiver, aktueller und vor allem flexibler zu machen. Nicht nur dass andere Inhalte eingespeist werden können, live Konzerte, Opernaufführungen, Sportübertragungen u.ä.m., denkbar wären auch beispielsweise live Interviews und Diskussionen mit Regisseuren, Autoren, Spiele- und Computerentwicklern. Upload cinemas, die auf großer Leinwand das Originellste aus dem Netz präsentieren, könnten ebenso interessant sein wie Clubing Nächte wo selbstproduzierte Clips und Kurzfilme vorgeführt werden. Denn gerade unter Jugendlichen gibt es einen großen Bedarf das Selbstgemachte vor- und auszustellen.

Wie Filme erfolgreich ihr Publikum finden macht derzeit auf ziemlich perfekte Weise das online Filmangebot von MUBI deutlich. Seit November läuft MUBI auch auf der PlayStation 3. Filmklassiker, Independent Filme aber auch internationale Produktionen sind auf Abruf verfügbar und können über 7 Tage hinweg für 3.65 EUR angesehen werden. Über 2000 Filme finden sich mittlerweile in der Library und prominente Regisseure wie Martin Scorsese oder Michael Haneke unterstützen diese Geschäftsidee. Hier zeigen sich neue Vertriebs- und Kontaktstellen, findet sich ein Publikum, das selbst Filme auswählt, Ratings macht, eigene Kritiken und Diskussionsforen einstellt.

Die Kinos müssen sich neuen Kommunikations- und Distributionsformen öffnen, darin liegt die Herausforderung der kommenden Jahre. Mit diesem Thema beschäftigte sich auch die jüngst zu Ende gegangene Jahreskonferenz von „Europa Cinemas“, dem ersten Internationalen Filmtheater Netzwerk. Hier wurde darüber hinaus auch deutlich, dass es gilt, den symbolischen, kulturellen Wert des Kinos zu schützen und zu pflegen. Mehr denn je muss es also auch um Filmbildung gehen. Für Jugendliche heißt dies, sie benötigen Begleitung, ein kulturelles Bildungsangebot, Filmclubs, Medienzentren, Angebote in Schulen, film-pädagogische Konzepte, aber auch eigene Initiativen sind gefragt. Vor allem England, aber auch die Schweiz verfolgen diesbezüglich bereits erfolgreiche Strategien, von Frankreich ganz zu schweigen, wo bereits 4 jährige ans Kino herangeführt werden. In Deutschland stehen wie so häufig diverse Schwerfälligkeiten, Schranken und Hindernisse, nicht zuletzt auch das föderale Bildungssystem, intelligenten und umfassenden Lösungen im Wege. Und so kann hierzulande sogar in einem Uni-Seminar passieren, dass Scorsese für ein Maler und Fassbinder für ein Bier gehalten wird.

Text: Daniela Kloock

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