Ich schäme mich, und zwar öffentlich. Habe ich doch für ein evangelisches Monatsblatt den neuen Vilsmaier-Film verrissen, „Leo und Claire“, und jetzt muss ich einsehen, dass ich den deutschen Förderungsmechanismen auf den Leim gegangen bin.

Vilsmaier beruft sich auf eine authentische Geschichte. Der Jude Katzenberger wird 1941 geköpft wg. Rassenschande. – Im blitzblanken Buntfilm ist jedoch nichts Authentisches drin. Die Bilder sind geschichtslos, leer. Aber, so weiß ich jetzt, geht der Vilsmaierfreund denn wirklich ins Kino, um eine Betroffenengeschichte erzählt zu bekommen? So was hat doch nur den Zweck, dass es im Treatment steht, das die Fördergremien bekommen. Und die Fernsehkoproduzenten. Das Narrative ist für die Akten. Aber was in „Leo und Claire“ ausgiebig beguckt werden wird, das ist die splitternackte Franziska Petri („Vergiss Amerika“). Sie tanzt zu einer langen wunderschönen Soft-Jazz-Nummer lieblich lächelnd vor sich hin. Allein. Ja, das ist etwas, was wir aus den Printmagazinen kennen, und die haben nur im Mittelteil das Hochglanzposter zum Aufklappen.

Vergiß die Story! Das hätte ich schon seit achtzig Jahren wissen können, wenn ich denn so alt wäre. 1923, beim „Fridericus Rex“-Film, gings doch dem Publikum nur ums eigene Befinden und nicht um die Geschichte von den Preußen, die sich mit dem österreichischen Erbfeind schlugen. „Es war ganz egal, was da ankam, Preußen oder Österreicher; nahten Kolonnen empfing sie dröhnender Beifall“. So beschrieb damals das „Berliner Tageblatt“ die Zuschauerreaktion. Zeitzeuge Friedrich Sieburg egalisierte gar „Fridericus Rex“ mit dem seinerzeit sehr gegenwärtigen französischen Erbfeind: „In der Marseillaise wie im Hohenfriedberger Marsch rollt unser aller Blut“. Das Publikum tobte damals vor Begeisterung, „sobald eine übende Truppe über die Leinwand stampft“, meldete „Der Feuerreiter“.

Also war es ganz schön publikumsverachtend, daß der Evangelische Filmbeobachter 1957, als der „Fridericus“-Film von 1936 unter dem Titel „Der Alte Fritz“ wieder in die Kinos kam, bemäkelte, daß der Film historische Tatsachen unerwähnt lasse und nicht einmal die Schlachten beim Namen nenne. – Ich bitte hierfür um Entschuldigung, auch wenn ich nicht der Autor bin.

Wohl aber bin ich in einer Kommission, die im vorigen Jahr für RTL 2 begutachtet hatte, ob die Filme der Erotikschiene Pornos sind oder lieber nicht, weil sie dann gesendet werden können. Wieder gings darum, ob außer Gerammel und Gestöhne eine erkennbare Geschichte erzählt oder gar ein künstlerischer Kontext gewahrt wird. Das ist eine Frage der Pornodramaturgie und der Pornoästhetik. Wir haben uns große Mühe gegeben, etwas über den Sexualakt Hinausweisendes aufzuspüren und wenn es vorteilhafte Schamhaarfrisuren sind. Aber dabei wußten wir doch, daß es den Pornofreunden ums Gegenteil geht, nämlich um die unverfälschte, realistische, sexistische Essenz.

Weil ich mich schämte und nochmals um Verzeihung bitten möchte, übernahm ich soeben den Vorsitz einer Jury, die die Gewinner einer Pornokaraoke zu ermitteln hatte. Das fand unter reger Beteiligung des Publikums auf dem hamburger off-Theater-Gelände namens Kampnagel statt. Auf eine Leinwand links neben den Zuschauern wurden deftige Echtpornos aus Flensburg projiziert. Auf der Bühne synchronisierten die Wettbewerber das Geficke mit lustvollen o-oo-ooo-oooh-Gestöhne. Gewonnen haben Hiphopyoungsters, die möglicherweise schon dem Schulalter entwachsen waren. Wir hatten alle unseren Spaß, und wenn es einen Kontext gab, dann war es nicht der der Filme (Null), sondern der der Veranstalterin, der einmaligen Künstlerin (und Animationsfilmerin) Variola Brillowska, sowie der aller Anwesenden.

Abschließend bitte ich nochmals, zum drittenmal, alle Fridericus Rex-, Porno- und Vilsmaier-Freunde um Vergebung, wenn ich mich in Publikationen, die nicht der Schnitt sind, spaß- & freudloser Bemerkungen schuldig gemacht haben sollte.

Dietrich Kuhlbrodt

Text  zuerst erschienen in Schnitt: April/2002