Balkan statt Malediven

Bis 35 war sie Journalistin für große Blätter in Deutschland gewesen, sie galt als unerschrocken und äußerst zäh. Ihre Kontakte im In-

und Ausland waren legendär. Doch das immerwährende mühevolle Recherchieren von Fakten, die dann in nur einer einzigen Veröffentlichung verglühten, hatte sie irgendwann nur noch gelangweilt. Ihre Reportagen hielten maximal eine Woche, dann traten sie ihren Weg an in die verstaubte Welt der Archive. Sie wünschte sich Nachhaltigkeit. Sie wollte, dass ihre Arbeit Folgen hatte, dass sie zu etwas führte. Darüber hatte sie einmal mit dem Chef eines deutschen Geheimdienstes gesprochen und zu ihrer Überraschung kurz darauf ihren ersten Auftrag erhalten. – So stellt uns Edith Cohn ihre Heldin Lin Baumann vor, eine Privatdetektivin ohne Prüfung, „eine hervorragende Schützin mit reichlich Erfahrung im Combat-Schießen mit bewegten Zielen und mobilen Schützen“. Statt auf die Malediven geht es dank der Überredungskünste zweier Herren („Wie bereits gesagt, gehören wir zu einem Spezialbereich des Bundesnachrichtendienstes“) in den Kosovo, um dunkle Geldtransfers und bald noch Schlimmeres aufzuklären: Organhandel.

Ein kosovo-albanischer Barbesitzer „mit einem enormen Wissen über Waffen, einem durchtrainierten Körper und Glutaugen“ steht ihr dort zur Seite. Tariq. Ihr Seelenbruder. „Ein wilder Albaner, dachte Lin, als sie die Wanne verließ, um sich in den Laken trocken zu lassen. Tariq hatte

schöne, sehnige Hände. Darüber schlummerte sie ein. Ihr Urlaub, die Malediven schienen wie weggeblasen.“

170 Seiten und ein paar Tote später finden sie sich auf einem Bett. „Es war nicht nur der durchtrainierte Körper, der sie so anzog. Auch der heisere Klang seiner Stimme, der leichte Duft von Zitrone und Sandelholz, der ihn umgab, und die schläfrige Art, mit der er sich bewegte, vergrößerten nur ihre Sehnsucht. Verweile doch, du bist so schön! Lin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, dass ihr ausgerechnet diese Zeile aus Goethes Faust einfiel…“

An einem anderem Ort, gefangen und mit Haube über dem Kopf, bringt die Erinnerung an Chopins Erstes Klavierkonzert in e-Moll, gespielt von Maurizio Pollini, einst in der „Alten Oper“ in Frankfurt gehört, einen gewissen Trost. Niveau halten ist durchgängig angesagt. „Es ist aus!“, wird dem Bösewicht zugerufen, der beim Festnahmeversuch brüllt: „Mir gehört hier der halbe Ort. Ich zerschneide hier, wen ich will, verstehen Sie?“ Worauf Lin ihm in den Fuß schießt. Bei aller action aber bleibt es eine feingeistig-sensible Heldin, die sich die Alt-Frankfurterin Edith Cohn, die heute in Berlin lebt, ausgedacht hat. Mir ist Lin Baumann nicht richtig ans Herz gewachsen, „Blutiger Handel“ hat bei allem Balkan-Lokalkolorit und aller Vor-Ort-Erfahrung der Autorin etwas von Salon-Krimi – Geschichten, die man beim Bundespresseball vom Chef eines Geheimdienstes erzählt bekommt. Aber es ist ein freies Land, auch für das Schreiben von Kriminalromanen. Und unterm Pflaster liegt immer noch der Strand.

Der Australier Michael Robotham, ehemaliger Journalist und Ghostwriter, ist, was Erzählperspektiven

angeht, schon einige Bücher und Klavierkonzerte weiter. In seinem sechsten Buch „Todeswunsch“ („Bleed for Me“) schafft es der Vater dreier Töchter ganz ohne Peinlichkeiten, das Unabhängigkeitsbestreben von Teenagern zum Leitmotiv einer teilweise atemberaubenden Kriminalhandlung zu machen. Hauptfigur ist (endlich wieder) der an Parkinson erkrankte Psychologe Joe O’Loughlin, der sich nicht sicher ist, ob er sich ausgerechnet die frühreife Sienna Hegarty als beste Freundin für seine Tochter Charlie wünscht. Sienna taucht eines Abends blutüberströmt bei den O’Loughlins auf, an ihrer Kleidung klebt das Blut des ermordeten Vaters, sie hat ein starkes Motiv für die Tat und wird des Mordes angeklagt. Die Wahrheit aber ist eine ganz andere.

Text: Alf Mayer

Edith Kohn: Blutiger Handel
Piper Verlag, 272 Seiten, € 8,95.

bei amazon kaufen










Michael Robotham: Todeswunsch
Goldmann Verlag, 511 Seiten, € 19,99.

bei amazon kaufen