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Kann man Polizisten mögen?</strong

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Ein Klassiker des Polizeiromans ist wieder zugänglich. Das Cop-Decamerone „Die Chorknaben“ aus dem Jahr 1975 liegen jetzt endlich wieder in einer preiswerten deutschen Taschenbuchausgabe vor. Wobei, wer des Englischen mächtig ist, im Original jede Menge Sprachspaß an Dialogen und schrägen Namen zusätzlich hat. Der 1937 geborene Joseph Wambaugh ist einer der Väter des modernen, realistischen Polizeiromans.

Heutige Autoren zollen ihm uneingeschränkt Tribut. Zum Beispiel Michael Connelly in seinem noch unübersetztem Roman „The Scarecrow“. Dort sucht Polizeireporter Jack McEvoy (ja, der aus „Der Poet“) nach seinem Rauswurf bei der Zeitung einen Zufluchtsort auf: „Es war die Art von Kneipe, über die man in einem Joseph Wambaugh-Buch liest, in der Cops sich treffen, um unter ihresgleichen und mit Groupies zu sein, die sie nicht aburteilen.“ In der neuen Taschenbuchausgabe der „Chorknaben“ liefert der Verlag Bastei Lübbe ein Vorwort von James Ellroy mit, dem selbsternannten „Höllenhund der Kriminalliteratur“. Der hat gerade mit dem 640-seitigen „Blood’s A Rover“ seine Monumentaltrilogie Wie-Amerika-in-den-60ern-den-Bach-runterging vollendet.

Über Ellroy wie über Wambaugh lässt sich trefflich schlimmst geteilter Meinung sein, beide aber schauen der politisch unkorrekten Realität tiefer in den Schlund als viele andere zahme Gestalten,

die unsere Bestsellerlisten füllen. „Die Chorknaben“, das lässt sich mit Freude feststellen, haben seit ihrem Erscheinen vor 34 Jahren nichts an Saft und Kraft und Widerborsten eingebüsst. Es ist immer noch ein heftig schräges, wildes, obszönes und anarchistisches Buch. Äh, ein Polizeiroman. BlueKnight_coverEin „Decamerone“ des Polizeiromans, sozusagen die Ur-Szene des Genres. Polizisten in der Hauptrolle, das war 1975 noch eine heikle Sache. Damals waren sie Bullen, Schweine, Demonstrantenknüppler. Das US-Cover der „Choirboys“ zeigt ganz ungeniert einen hölzernen Schlagstock als Deko-Element. Und auch auf der Taschenbuchausgabe von „The Blue Knight“ lässt George Kennedy als titelgebender blauer Ritter lässig solch ein Instrument parallel zum Körper schwingen.

Müde übersetzt als „Der müde Bulle“ setzte Wambaugh in diesem Roman von 1972 den altgedienten Streifenpolizisten ein Monument. 1973 wurde daraus die damals erste Fernseh-Miniserie. Der große William Holden verkörperte in der vierstündigen Serie, die einer Ausgrabung wert wäre, den Cop Bumper Morgan, erhielt dafür den „Emmy“. Von diesem Erfolg beflügelt, entstand dann eine Fernsehserie, die es mit dem Schlagstock schwingenden George Kennedy auf 24 Episoden brachte. Der grauslige deutsche Titel: „Bumpers Revier“. Aber an was haben wir uns seitdem nicht alles gewöhnt: schnuckelige Tatort-Kommissare, „Teams“ mit durchdeklinierten Autoritäts- und Geschlechtsmodellen, Oberlehrer und Musterschüler, ZDF-Alkoholiker beim „Kriminaldauerdienst“ und Kommissarfiguren in jeder Unteren Kreisstadt quer durch die Regionalkrimis. Aber Polizisten, richtige Polizisten, das sind die fünf Partner-Combos in den „Chorknaben“: Spermwhale Whalen und Baxter Slate, Sam Niles und Harold Bloomguard, Spencer Van Moot und Willie Wright, Calvin Potts und Francis Tanaguchi, Roscoe Rules und Dean “Wiemeinsedas” Pratt.

Wambaugh_in1975

Wambaugh, der aus einer Polizistenfamile stammt, weiß, wovon er schreibt. Er war 14 Jahre Polizist in Los Angeles, brachte es zum Sergeant. Seine Cops von der Nachtstreife lassen bei Mondschein im Park den Dampf ab, diese Abende nennen sie „Chorproben“. James Ellroy fasst das trefflich zusammen: „Eine Weile heißt das Weiber und

andere Kicks. Es entwickelt sich eine Unterströmung. Der Job stimuliert und quält sie zu sehr. Sie stehen im öffentlichen Dienst, sind aber auch Voyeure. Der Job verleiht ihnen eine von der Dienstmarke polierte Identität. Sie sind versehrte Machos, unter einer harten Schale zerbrechlich. Sie gehen mit einem Übermaß an Furcht und Verletzbarkeit an die Arbeit. Sie sind überdreht und gestresst und weit mehr als nur ein bisschen irre. Es wächst ihnen alles über den Kopf.“ Und Ellroy gesteht: „Das Buch wühlte mich auf und tröstete mich auf seltsame Weise. Es stellte meine moralischen Werte in Frage. Es stellte mich auf eine Höhe mit Menschen, die am Abgrund standen.“ Das Buch brachte Ellroy auf den Weg, sich schreibend seinen eigenen Dämonen zu stellen, war der Anstoß für eigenes Erzählen.

„Die Chorknaben“, das ist für viele auch (oder vor allem) der Film von Robert Aldrich. Das aber wirft leider ein schiefes Licht. Denn Aldrich, der Regisseur von „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“, „Flug des Phönix“ und des Tarantino-Vorbilds „Das dreckige Dutzend“, wusste mit der Vorlage nicht anzufangen. In einem Interview bekannte er damals, 1980: „Ich denke, Mr. Wambaugh wird sehr unglücklich sein mit diesem Film. Ich habe noch nicht herausgekriegt, wie ich einige der Sachen aus dem Buch geradeziehe, aber ich werde das lösen. Sehen Sie, ich denke Wambaughs Gefühle für die Probleme der Polizisten sind vermutlich ehrlich und echt, aber ich sehe das nicht auf die gleiche Art. Ich finde die Tatsache, dass Polizisten „nicht klarkommen“ nicht besonders produktiv, ich kann damit nichts anfangen. Ich weiß nicht, wie man Bedauern fühlen soll für einen Polizisten. Du wirst nicht eingezogen, um Polizist zu werden. Also musst du es auch aushalten, wenn du es nicht magst, was die Leute über dich denken. Schließlich gibt es eine fette Pension nach 20 Jahren. Um es klar zu sagen, ich widerspreche Mr. Wambaugh sogar soweit, dass ich nicht glaube, dass Leute Polizisten wirklich mögen.“


Meine Lieblings-Wambaughs, neben den „Chorknaben“:

1984 Lines und Shadows (Die San-Diego-Mission)

1988 The Secrets of Harry Bright (Die Rolls-Royce-Toten)

1972 The Onion Field (Tod im Zwiebelfeld)


Autor: Alf Mayer

Krimi-Kolumne: Blutige Ernte

Text geschrieben November 2009