Anmerkungen zu Drogen und Film

Unser Verhältnis zur Droge, als Individuum und als Kollektiv, ist ambivalent. Was eine Droge ist und was nicht, das wird in einer Gesellschaft immer wieder neu verhandelt, und ebenso wird neu verhandelt, mit welcher Droge eine Gesellschaft umgehen kann und mit welcher nicht, von welcher als kollektives und individuelles Erleben erzählt werden kann und von welcher nur als Verbrechen.

Die Droge kommt also in den Kino-Erzählungen in zwei getrennten Diskursen vor: als gesellschaftliches Problem und als subjektives Empfinden. Als Geschichten von Menschen, die ein Problem mit Drogen haben, und als Geschichten von Menschen, die sich um dieses Problem kümmern. Eine Gesellschaft, die zugleich von der Droge lebt und sie verbietet, schließt sich in gewisser Weise vom menschlichen Fortschritt aus, aber sicher macht das auch eine Kultur, die sich die Droge unbedacht und ökonomisch einschreibt. So ist die Droge allemal ein Menschheitsproblem, einer der vielen Widerhaken im Fleisch des Zivilisationsprozesses – also ein idealer Kinostoff.

Lange Zeit herrschten da mehr oder minder ordentliche Verhältnisse. Die „Rauschgifthändler“ waren das Böse schlechthin – kein Wunder, dass man dem deutschen Kinopublikum die Nazis in Hitchcocks Notorious (1946) als Rauschgifthändler verkaufen konnte. Sie waren die Nachfahren der Schurken, die den Indianern Waffen und Whisky andrehten und sie in Gewalt-Junkies verwandelten. Im Gangsterfilm gab es eine klare Linie: gut-böse gewissermaßen waren Gangster, die mit dem Drogenhandel nichts zu tun haben wollten. Der Riss ging durch die Familie in The Godfather (Der Pate, 1972, R: Francis Ford Coppola). Vor dem Drogenhandel war unter den Gangstern ja vielleicht wirklich noch so etwas wie ein Ehrenkodex wirksam. Der Drogen-Gangster ist aber wieder der public enemy.

Aber andererseits war ein anständiger Rausch auch nie zu verachten. Was waren schon echte Männer, wenn sie sich nicht mal die Nase befeuchten durften! Bis in die sechziger Jahre hatten im Kino Alkohol und Zigaretten nichts mit Drogen zu tun, sondern mit dem richtigen Leben. Erst dann wurden die Verhältnisse komplizierter. Wandernd zwischen dem Horriblen und dem Akzeptierten war dann nur die „weiche“ Droge. Ein bisschen Pot – das war für die einen die Bereicherung des Lebens, für die anderen der Beweis für die Differenz der Kulturen und Generationen. Die (kurze) Gegenbewegung der Trip-Filme in den frühen siebziger Jahren führte zu einer Neuordnung zwischen den guten und den schlechten Drogen. Marihuana wurde schließlich im Kino zur mehr oder weniger „guten“ Droge, in Poltergeist sogar zur „bürgerlichen“ Droge.

Passion:

Die Drogen-Biografien

Natürlich sind wir neugierig auf den Verlauf einer Drogen-Biografie. Nichts kann uns eine Achterbahn der Gefühle so ungefährlich vermitteln wie ein Film über einen Suchtkranken: Faszination, Euphorie, Angst, Abscheu, Mitleid. Nach Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1981) von Uli Edel, der sich auch noch mit der „Authentizität“ des Geschehens dekorieren konnte, zeigte sich ein Interesse an den möglichst direkten Abbildungen von „Drogenkarrieren“. Tatsächlich schien in der Geschichte der jugendlichen Fixerin eine mythische Erzählweise möglich, in der der unlösbare Widerspruch von Abscheu und Faszination aufgehoben war. Denn die Droge füllt einen Raum zwischen Täter und Opfer, einen nicht nur gesundheitsschädlichen, sondern auch moralisch desolaten Raum, in den letztlich die melodramatische Konstruktion der Welt nicht hineinreicht. Das Wesen der Menschen in diesem Raum ist ihre Unzuverlässigkeit. Die ist nur auszuhalten in einer Biografie, die eine fürsorgliche Identifikation ermöglicht.

Bei den Drogen-Biografien gibt es mehrere Varianten. Das erste Modell zeigt die Geschichte eines „Einstiegs“ bis zur entscheidenden Krise (Ausstieg oder Tod) nach einem Schema, das dem Dreiakt-Schema der populären Film-Erzählung folgt:

– zuerst das Milieu und die Motive (jugendlicher Frust, Abenteuersehnsucht, bedrückende Verhältnisse in der Familie und in der Schule, die Beschleunigung des Lebens durch den Rausch),

– dann das Zuspitzen der Konflikte (von der weichen zur harten Droge, die Beschaffungskriminalität, Verlust letzter sozialer Bindungen, Tod der nächsten Gefährten) und schließlich

– der persönliche Kampf, der (in der Regel: mit einer starken Figur als Hilfe) gewonnen werden kann.

Nach diesem Schema erzählt nicht zuletzt der Leonardo-Di-Caprio-Film The Basketball Diaries (1995, R: Scott Malvert) seine Geschichte vom verlorenen Sohn, der, nachdem er ganz unten war, einen väterlichen Freund findet, der ihn aus dem Drogen-Elend herausführt. Rettung oder Tod, das ist der eine Spannungspunkt des Drogenfilms. Der andere Spannungspunkt ist die Droge als Symptom im Duell des Einzelnen mit der Gesellschaft. Ein Auftakt zum finalen Blutbad in Filmen wie Schlaraffenland (1999, R: Friedemann Fromm), der angeblich, so der Regisseur, von einer Generation handelt, „die keine Werte vermittelt bekommt, die nicht weiß, wo sie hingehört, die nicht gelernt hat, mit Gefühlen umzugehen, die in künstliche Welten flieht“. So leicht lässt sich aus dem Symptom eine Denunziation machen.

Das erste Modell des Drogenfilms also zeigt das filmische Subjekt im Kampf mit seiner Sucht. Das zweite Modell beschreibt die Droge als Symptom von Entfremdung und Entwurzelung. Die Droge ist nicht das zentrale Problem, sondern die Beschleunigung des Bruchs zwischen dem Einzelnen (oder der Gruppe) und der Gesellschaft. Das dritte Modell führt in Alltag und Elend der Junkies. Das kann auch nur eine einzelne Episode sein, wie die Geschichte zwischen dem naiven Bauernsohn und der jungen Drogen-Prostituierten in Nachtgestalten (1999) von Andreas Dresen, aber auch die Beziehung von Auggie Wren zu seiner (angeblichen) Tochter in Smoke (1995, R: Wayne Wang). Andy Warhol und Paul Morissey zeigen die Sache „kalt“ in Trash (1970). Und in Trainspotting (1996, R: Danny Boyle) hat dieses Modell seine zeitgenössische, „authentische“ Form gefunden.

Das vierte Modell zeigt den Versuch des Entzugs und den Widerstand, den die Gesellschaft und der Süchtige selbst ihm entgegensetzen. In die schrecklichen Kreisläufe führen Filme wie Hard asfalt (Harter Asphalt, 1986, R: Sølve Skagen) aus Norwegen, die Geschichte einer Drogenabhängigen, die einen Alkoholiker kennen lernt. Gemeinsam wollen sie sich von ihrer Sucht befreien, sie heiraten, haben ein Kind. Aber nachdem Kurt seinen Job verliert und wieder zum Alkohol greift, entwickelt sich die Katastrophe. Ida entflieht dem gewalttätigen Mann zu ihren Eltern, aber weder der selbst ständig betrunkene Vater noch die drogenabhängige Freundin oder die Sozialbehörden können ihr helfen, und schließlich wird ihr das Sorgerecht für ihr Kind entzogen. So landet sie wieder bei Knut und beide wieder auf der Straße, auf dem Weg in den Tod.

In den neunziger Jahren gelang es einigen europäischen Filmen, das Elend so direkt zu zeigen, dass sich in einigen Einstellungen das gesellschaftliche und das subjektive Leiden nicht mehr trennen lassen. Die „offene Drogenszene“ in Europa etwa wird in Dick Maas‘ Do Not Disturb (1999) den schockierten amerikanischen Touristen präsentiert, die, durchaus stellvertretend, einen Wahrnehmungsschock erleiden, der auf die Verdrängung zurückwirkt. In L. 627 (Auf offener Straße, 1992) ging Bertrand Tavernier von einem autobiografischen Impuls aus: Die Abhängigkeit des eigenen Sohnes führte den Regisseur auf die Suche nach der schrecklichen und trivialen Wahrheit. Das Buch begleitet zwei Polizisten der Pariser Drogenfahndung, deren Arbeit von der Politik und von den Vorgesetzten mehr oder weniger ignoriert wird. Taverniers Film ist eine illusionslose Bilanz der Drogenpolitik in Frankreich und zeigt, wie das Drogenproblem auch politisch produziert wird. Beide Filme, wenn auch vollkommen unterschiedlich, verzichten darauf, das „Drogenproblem“ in ein Erlösungsdrama umzuschreiben.

Die Droge und der Affekt

In diesen vier Modellen beschreibt der Drogenfilm das Drama eines Bruches zwischen Körper und Geist, zwischen Ich und Sucht, der zu einem Bruch zwischen dem Menschen und der Gesellschaft führt. Nur am Rande interessiert er sich für die Herkunft der Droge und für ihr Wesen. Das Problem eines jeden Drogen-Films ist die Darstellung der drei Aspekte selbst, die nach der Verletzung der sozialen Regeln entstehen: die Verletzung des Körpers, der Flash, die Verletzung der Seele.

Das Drama der Drogenkarriere als Passion verlangt aber gleichsam nach dem authentischen Bild, der Naheinstellung der Spritze. Ein Schockbild, noch immer, ein mythisches Bild der „schönen Zerstörung“ und eine Annäherung an körperliche Intimität. Ein geheimer Nebenaspekt des Genres ist offensichtlich ein mitleidender Terrorismus des Blicks, eine Aktivierung des fetischistischen Blicks, den wir aus dem Horrorfilm kennen. Tatsächlich sind da ja die Grenzen fließend: Im Zentrum des Horrorfilms steht die Fantasie von der „Substanz“, die immer zugleich Leben erschaffen soll und es vernichtet, und daneben haben wir die Erschaffung der zweiten Wirklichkeit, die mindestens ihren Schöpfer vernichtet. In Filmen wie Abel Ferraras The Addiction kommt es schließlich zum Kurzschluss zwischen der gothischen und der modernen Metapher der Droge – und des Blutes.

Besonders schwierig ist es, die Wirkung der Droge zu zeigen. Natürlich kann man einen Schauspieler so sehr jemanden darstellen lassen, der high ist, wie man talentierte Leute dazu bringen kann, den Betrunkenen zu spielen. Robert De Niros Auftritt in der Opiumhöhle von Sergio Leones Es war einmal in Amerika (1984) ist da ein Schlüssel: dumm, leer und gemein wirkt da sein Gesicht, aber auch entrückt, erhaben, selig wie ein Kind. Aber dieses Bild des Menschen unter Drogen drängt nun seinerseits wieder nach Visualisierung: Alles dreht sich, man sieht doppelt, die Konturen verschwimmen usw. Leone behilft sich, indem er seinen zweifelhaften Helden auf eine lange, komplizierte Reise durch verschiedene Schichten der Vergangenheit schickt. Die Droge lässt den Ort verschwinden und macht die Zeit krumm und weit. Weshalb man hier und dort auch glaubt, den Zustand unter Drogen hinreichend durch Zeitlupe und zerdehnte Musik ausgedrückt zu haben wie bei Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Bei den Trips liebt es das Genre-Kino, wie in den billigen James-Bond-Imitationen der siebziger Jahren, bei denen man kaum ohne eine LSD-Reise auskam, Farbfilter vor die Kamera zu setzen, oder Doppelbelichtungen zu verwenden. Statt sich in Zeit umzusetzen, löst sich der Raum vor unseren Augen auf. Und wir ahnen, was der Film uns gerade ganz nebenbei gesagt hat: dass Drogen und „moderne“ Stilmittel, zum Beispiel im Kino, etwas miteinander zu tun haben.

Sieht man einmal von der ständigen Gefahr der unfreiwilligen Komik solcher Mittel ab, so ergibt sich so etwas wie eine cineastische Grundfrage, nämlich die nach Distanz oder Internalisierung der Droge. Wirkt sie auf das Drama, auf die filmischen Subjekte oder schließlich auf den Film selbst? Und kann der Film von ihr erzählen, ohne solche Internalisierung vorzunehmen?

Terry Gilliam erzählt in Fear and Loathing in Las Vegas (1998) von Hunter S. Thompsons Drogentrip nach Las Vegas auf eine ironisch-internalisierte Weise. Das „objektive“ Bild verzerrt und spiegelt sich immer wieder, die Drogenvision besetzt immer weitere Teile in der Montage, aber wir bekommen immer wieder die Chance der Distanzierung. Das Groteske bewahrt uns vor dem wahrhaft Furchteinflößenden. In Naked Lunch (1991) verarbeitet David Cronenberg den Stoff von William S. Burroughs und dessen Leben. Ironie und Distanz gibt es hier nicht. In einer kristallinen Welt ist das durch die Droge erzeugte Bild gleichberechtigt neben das Bild der „Realität“ und das der Kunst getreten. In Die Sehnsucht der Veronika Voss (1982) erzählt Rainer Werner Fassbinder von der Abhängigkeit der Diva. In ihr hat sich, umgekehrt, die Droge in die Selbstinszenierung und Selbstwahrnehmung eingeschrieben; sie ist Teil der Maske geworden: weiß. In Gothic (1986) „übersetzt“ Ken Russell die Laudanum-Träume und -Albträume von Lord Byron und seinen Gästen in die Horrorvisionen der Schauerromane. Auch eine Form des Einschreibens der Drogenerfahrung in die Kultur!

So unterschiedlich diese Filme sind, sie versuchen die „andere Wirklichkeit“ zu zeigen, die Auflösung der Wahrnehmung, ohne sie schon im Bild zu moralisieren. Und sie versuchen, über die Dokumentation des „Verlustes“ hinauszugehen, die wir in der Wahrnehmung der Cops miterleben müssen, die mit Gewalt zur Droge gebracht werden, wie Gene Hackman in French Connection II (1975, R. John Frankenheimer) oder Denzel Washington in Ricochet (1991, R: Russell Mulcahy). Sie zeigen die Droge als Fiktionalisierung der Welt, in der der Spiegel zur Wahrheit wird.

Umgekehrt ist die Droge das Mittel, die Welt „wie im Kino“ wahrzunehmen. Wie das Kino zum rêve exterieur wird, so „projiziert“ die Droge Bilder nach außen – wir erinnern uns da an Berichte von Geiselgangstern und Bankräubern. Eine Rückprojektion dieses Vorgangs auf das Kino löst dessen Formen selbst auf; Droge – Gewalt – Kino werden ein Spiegelsystem. In Killing Zoe (1994) von Roger Avary sehen wir, selbst sozusagen vollkommen nüchtern (aber in hoffnungsloser Intimität), wie sich die Leute, die einen Banküberfall planen, so heillos zudröhnen, dass der bad trip kaum noch von dem blutigen Wahn der Taten zu unterscheiden ist. Und wir begreifen eine furchtbare innere Wahrheit: Die Droge, das ist nicht nur das sich in der Gesellschaft verbreitende Elend oder die Passion des Süchtigen, das ist auch ein Angriff auf die „Erzählung“ und auf das Bild.

Die Fröhlichen Kiffer

Das Interesse des Kinos, sich von der Droge „infizieren“ zu lassen, muss sich also in Grenzen halten. Was wir stattdessen suchen, sind Gesten der Distanzierung und Gesten des Akzeptierens. Nach Filmen wie Reefers Madness (Kifferwahn, 1984), einem Kultfilm der unfreiwilligen Komik, gibt es kaum noch Filme, die den Konsum der weichen Droge verdammen oder auch nur problematisieren. Marihuana gehört zum Lebensstil der „Easy Rider“ und ihrer Nachfolger und zeigt eine Differenz der „Outlaws“, die anders als bei den harten Drogen nicht zur selbstdestruktiven Passion führt. Die Filme spiegeln da offensichtlich einen gesellschaftlichen Konsens, der nicht Gesetz geworden ist. Wir kennen die netten, weggetretenen Dauerkiffer aus Filmen wie Slackers (1991, R: Richard Linklater) oder Bang Boom Bang (1999, R: Peter Thorwarth). In Filmen wie Fatih Akins Im Juli (2000) erscheint der Konsum von Hasch als hilfreicher little helper für die Träume. Dieses Einschreiben der Droge freilich geschieht keineswegs bedingungslos: Wir benötigen die Gemeinschaft, wir benötigen den Ausweis der Friedfertigkeit, und wir benötigen die Bereitschaft zum Glück. So wird diese Droge, die eigentlich allenfalls noch eine „Droge“ ist, zum Medium, den Bruch zwischen Gesellschaft und Individuum ebenso wie den zwischen Ich und Welt eher zu kitten als zu vertiefen. In der „heiteren“ Zeichnung der weichen Droge wird sie eher zu einem Teil der Lösung als zum Teil des Problems.

Saving Grace (Grasgeflüster, 2000) aus England von Nigel Cole erzählt von einem durchaus nicht widerständigen Milieu, der Welt von Cornwall, in dem das Kiffen von Jung und Alt, Reich und Arm zum Lebensinhalt gehört. Das hat sich gegenüber den Kiffer-Komödien à la Cheech & Chong (1978ff.) aus den USA erheblich geändert. Es ist keine Sache von „Freaks“ mehr. Die Geschichte einer Witwe, die sich einen Hanf-Garten zur Existenzsicherung anlegt, zeigt nichts mehr von einer widerständigen counterculture. Die Droge hat die Mitte der Gesellschaft besetzt, ohne dass sich diese vollständig dazu bekennt. Deswegen lädt sie sich selbst mit einem kleinen ironischen Impuls der Widerständigkeit auf.

Paradoxerweise ist also aus der Droge, die zu Ende der sechziger Jahre noch der Weg war, die Wirklichkeit zu verlassen, mit Roger Corman auf The Trip (1967) zu gehen, nun gerade Ausdruck „authentischer“ Wirklichkeit geworden, so als könnte sie den Blick gegen die Macht der elektronischen Bilder und die Cyberworld stärken. Die Drogen der Zukunft, das kennen wir aus Strange Days (1995) von Kathryn Bigelow wie aus Videodrome (1983) von David Cronenberg, haben das organische mit der technischen Kommunikation verknüpft; schließlich schließt sich die Lücke zwischen individueller Halluzination und Medienbild. Auch in The Matrix (1999) schließlich wären virtual reality und Drogen-Vision nur sehr willkürlich zu scheiden.

Längst ist auch der „kleine Dealer“, den wir aus Filmen wie Hanif Kureishis London Kills Me (1991) aus größter Nähe kennen, zu einer sympathischen Kino-Figur geworden. Und „gut“ ist die Droge auch, wo sie zufällig in richtig falsche Hände gerät, wie in Thorsten Schmidts Schnee in der Neujahrsnacht (1999), in dem ein Ex-Knacki und Busfahrer zusammen mit einer lebensmüden Emigrantin einem toten Drogenkurier den Stoff entnehmen.

Gewiss kann man im Großen und Ganzen von einer Entmythisierung der Droge im Kino der letzten drei Jahrzehnte sprechen: Die Grenzen zwischen dem Einschreiben und der Distanzierung, zwischen der Passion und dem Kreuzzug sind offener, fließender, lebendiger geworden.

Drug Wars:

Die politische Ökonomie der Droge

In einer liberalen Perspektive könnte man wohl sagen, wir hätten auch in den Filmen erfreulich „differenzierte“ Bilder entwickelt. Aber natürlich wird das Bild auch umso „schwärzer“, je mehr die unauflöslichen Widersprüche zwischen der Passion des Einzelnen und den Interessen der Gesellschaft in die Einstellung gelangen: Die Gesellschaft muss sich das Elend der Droge nicht nur so oder so einschreiben und es als Problem bearbeiten, sie produziert zugleich die Drogenabhängigen so sehr, wie sie die Droge ökonomisch wendet. Das Ergebnis ist nicht selten der Privatkrieg der so oder so Betroffenen: Der rechtsanarchistische Polizist in der Nachfolge von Dirty Harry zum Beispiel weiß sehr genau, dass er seinem Staat, seiner Gesellschaft, ja sogar seinem eigenen Apparat nicht mehr trauen kann, wenn es um Rauschgift geht. Er, der nicht selten einen nahen Verwandten, ein Kind, einen geliebten Menschen, an die Droge verloren hat, sieht sich in einem seltsamen Kreuzzug, der ihm selbst etwas von der „Passion“ überträgt. Die Jagd wird sein Rausch; auch er wird, ex negativo, nach der Droge süchtig. Und wie in der Wirklichkeit so wird auch im Film aus der Droge ein offenes Geheimnis. Der Drogenhandel, den Steven Soderbergh mit Traffic unnachahmlich auf den Punkt bringt, ist keine Verschwörung in der Unterwelt der Gesellschaft mehr, er ist selbst einer der Kreisläufe dieser Gesellschaft, einer der wichtigsten, neben den Kreisläufen von Blut und Geld. Der Kreuzzug ist ein Stück absurdes Theater, oder ein Bluff.

Andererseits wird die Droge auch immer noch als willkommener Anlass zu gesellschaftlich organisierter Gewalt behandelt. Natürlich ist die Droge immer noch gut genug für einen Thriller-Stoff; es sind die großen Drogen-Bosse, die die Rolle der Weltverschwörer und Gangster Nummer eins übernommen haben. C-Movies träumen von den Einsätzen ganzer Kerle im kolumbianischen Dschungel, um die Drogendepots wirkungsvoll in die Luft fliegen zu lassen, der Drogenbaron muss sterben. In Filmen wie Aces: Iron Eagle III (Die Asse der stählernen Adler, 1991, R: John Glen) verschwimmen schließlich die Grenzen zwischen Drogen- und Kriegsfilm: Der Einsatz moderner Kampfflugzeuge gegen eine hochgerüstete Gangster-Armee des Drogenbarons in Peru setzt einen anderen, technifizierten Rausch als „Heilmittel“ ein. Als hätten uns die Bilder vom „Drogenkrieg“ Vietnam längst verlassen.

Distanzierung in der Szene, die Rettung der Seelen aus der Hölle der wahren Teufel bieten Filme wie The Courier (Der Kurier, 1988, R: Frank Deasy, Joe Lee) wie leicht fehlgeleitete Streetworker an. In einer irischen Kleinstadt tritt ein Kleindealer zum großen Rachefeldzug gegen den Boss der Stadt an. Ein Film, der sich dem Anliegen der Drogenberatung mit den Mitteln des populären Films anzunehmen bemühte, wird selbst zum Teil des Problems: Die „Lösung“ des Problems ist der Feind, den man zu hassen liebt. Die Antwort auf die Droge ist ein Bürgerkrieg oder ein Krieg, und der „rechte“ Drogenfilm akzeptiert diese Lösung.

Natürlich sieht die Wahrheit in der Regel anders aus. Roger Young erzählt in Doublecrossed (Der Drogen-Cop, 1991) eine wahre und sehr ernüchternde Geschichte über die Methoden des amerikanischen Drogendezernats DEA. Ein Drogenkurier (Dennis Hopper) wird verhaftet der schlägt einen Deal vor: Man soll ihn laufen lassen, wenn er die Treffpunkte der Drogenbosse verrät. Durch seinen Tipp werden mehrere Bosse verhaftet, aber das Versprechen der Cops, ihn zu schützen, machen sie nicht wahr. Sie hetzen ihn in die Arme seiner Mörder.

Der Drogenkrieg geht weiter, schlimmer noch: Er besetzt immer mehr Bereiche der Gesellschaft. Er vergiftet die Passion wie den Kreuzzug. Die Grenzen verschwimmen, wie in Michael Manns The Insider (1999), wo Al Pacino im Kampf gegen die übermächtige Tabakindustrie steht – deren umfassende Macht furchtbarer erscheint als die so altmodischen Drogen-Kartelle.

Filme, die nicht nur von der Droge erzählen, sondern selbst ihr Ausdruck sind, Bad Lieutenant (1992) von Abel Ferrara oder Gierig (1998) von Oskar Roehler, entziehen sich dann doch diesem Diskurs. Es sind Filme, die in gewisser Weise aus der Perspektive der Erschöpfung, aus einem furchtbaren Danach gesehen sind. Eine Lösung wird da gewiss nicht angeboten: In der Gestalt des bad lieutenant (Harvey Keitel) sehen wir gerade den, der uns vor der Droge bewahren sollte, den Polizisten, als ihr totalstes Opfer. Wir sehen Körper, die nur noch durch den Fluss der Droge aufrechterhalten werden, Bewegungen, die sich nur noch der Droge verdanken, Impulse, die auf nichts anderes mehr als auf die Droge gerichtet sind. Und dies alles nicht in einem dunklen Jenseits, sondern in der Mitte der Gesellschaft. Weder die Passion noch der Kreuzzug helfen gegen eine solche Mumifizierung der Gesellschaft.

Crack freilich ist die nächste Apokalypse, eine radikale Beschleunigung des Untergangs. Die neue Droge hat neue Kriege ausgelöst, wie sie Dennis Hopper in Colors (1988) beschrieben hat. Whoopie Goldberg kämpft in Fatal Beauty (1987, R: Tom Holland) gegen Crack, als kämpfe sie gegen nichts anderes als die Hölle. Billy Zane ist in Blood & Concrete (1991, R: Jeffrey Reiner) ein kleiner Dealer unter Verdacht, als der Drogen-Krieg in der Stadt um die neue Designerdroge „Libido“ beginnt. In jeder neuen Droge verschärft sich nicht nur der „Krieg“, immer kürzer wird auch die Spanne zwischen Genuss und Elend, zwischen Flash und Tod. Eine Droge an einem Ort kann soziale Bewegungen lahmlegen, wie Spike Lee in Black Panther (2000) gezeigt hat, sie kann umgekehrt einen Brennpunkt zur Explosion bringen. Daher ist das Geschäft mit der Droge denn auch nicht mehr die Tätigkeit „gewöhnlicher“ Gangster. Der Crack-Dealer von Cincinnati in In Too Deep (1999) von Michael Rymer nennt sich denn auch gleich „God“; der dominikanische Drogenbaron in Shaft (2000, R: John Singleton) dagegen „Peoples“. Es ist „Teddybär“ in Le Cousin (1997, R: Alain Corneau), der zum Lockvogel und Verräter wird, eine Doppelexistenz von Bürger und Gangster, der mit dem Drogenhandel seine Familie ernährt. Das ist die andere Seite der „Verbürgerlichung“ der Droge, die wir in anderem Zusammenhang beinahe freundlich begrüßt haben.

Drogen machen abhängig, auch die Frau vom Mann, auch die Prostituierte vom Zuhälter (wie in Fandango, 1998 von Matthias Glasner). Sie ist Teil des alltäglichen Elends wie in Head On (1998) von Ana Kokkinos, der unter griechischen Einwanderern in Australien spielt. Wie in Trainspotting wird auch hier die Droge als Realität jenseits der Diskurse Passion und Kreuzzug (drug wars) gezeigt, doch hat die Regisseurin ihren Blick mit einer heftigeren Portion Gesellschaftskritik geschärft: Die Droge ist das Überlebensmittel der Patchwork-Gesellschaft, eine „Sprache“ zwischen den Kulturen und Ethnien, die die neuen Migrationskulturen zugleich verdammt. Die missbrauchten Kinder, wie der kurdische Junge, der in Roland Suso Richters nach einer Reportage entstandenem Film Eine Handvoll Gras (2000) in Hamburg von seinem Onkel als Drogendealer auf der Straße eingesetzt wird, gehören ebenso zur negativen Mythologie der Migrationsgesellschaft wie die Prostitution: Für den gefährdeten weißen Mittelstand wird die Droge, die aus der Migrationsgesellschaft kommt, wieder zu einer „äußeren“ Bedrohung. Zugleich sehen wir in American Psycho (2000, R: Mary Harron), wie man sich am anderen Ende der Gesellschaft ungestraft Drogen (und Mord) erlauben kann.

Begnadete, Heilige und Verlorene Trinker

Die Drogen-Diskurse des Kinos sind zugleich Widerspruch und Ergänzung zum älteren Diskurs des „Trinkerfilms“. Einerseits ist der Alkohol die zugleich legale und nützliche Droge. Wie viele Kino-Paare sind nicht erst durch ein paar Drinks zu einander gekommen oder konnten sich mit einem guten Schluck zum Geständnis ihrer Liebe bringen? Nick und Nora Charles in den The-Thin-Man-Filmen (1934ff.) haben daraus eine Lebensphilosophie gemacht. Und Marlene Dietrich nahm das gleiche wie the boys in the backroom.

Ansonsten sind wir eher Helden gewohnt, die durch den Griff zur Flasche zeigen, dass sie gerade „heruntergekommen“ sind, wie die last boy scouts, die schäbigen Privatdetektive oder die Western-Suffköppe (natürlich wegen einer Frau!) in der Nachfolge von Rio Bravo (1959) und El Dorado (1967), die wieder aufgerichtet werden (natürlich von einem Freund, einem guten Freund). Gewiss gibt es die Geschichte des Trinkers, der sich rehabilitiert, nach wie vor, wie noch in Simpatico (1999, R: Matthew Warchus) nach Sam Shepherds Theaterstück. Aber nach Keith Carradine in Sam Fullers Street of No Return,1989) ist es keinem Kerl, nicht einmal Bruce Willis, noch einmal gelungen, so alkoholmäßig herunterzukommen (natürlich wegen einer Frau), bevor er sich noch einmal zum Kampf entschließt. Aber diesmal kehrt der Kerl auch wieder in die Gosse der „River Street“ zurück. Oder jedenfalls beinahe.

Wenn die Droge in der Regel in den Kinogeschichten für einen Bruch des Individuums mit der Gesellschaft steht, dann ist der Alkohol vielmehr die reine Metapher des Scheiterns. Eines doppelten Scheiterns, zuerst an der Welt und dann an der Droge selbst. Die „Heruntergekommenen“ und tragischen Säufer verstehen den Bruch mit der Umwelt nicht, sie können sich an Augenblicke der Niederlage, aber an keine Entscheidungen erinnern. In The Lost Weekend (1945) verfolgt Billy Wilder seinen Trinker (Ray Milland) bei seinen letzten vergeblichen Kämpfen: Ihm graut vor sich selbst. Who’s Afraid of Virginia Woolf? (1966) von Mike Nichols zeigt das todkranke Trinkerpaar in der gegenseitigen Zerfleischung. Wie sollte man da den Aufbau und den Zusammenbruch der Lebenslügen unterscheiden? Wenn die harte Droge der radikale Bruch mit der Wirklichkeit ist, die Verwandlung der Wahrnehmung in eine unkontrollierte Fiktion, dann ist der Alkoholrausch ein endloses Oszillieren. Und wer sagt uns denn, dass Apocalypse Now (1979, R: Francis Ford Coppola) nicht ein einziger, furchtbarer Alkohol- und Drogentraum von Martin Sheens Captain Willard ist?

Dagegen stehen die konsequenten Todestrinker wie Albert Finney in Under the Vulcano (1984, R: John Huston), Nicholas Cage in Leaving Las Vegas (1995, R: Mike Figgis) oder (immerhin im Hintergrund) eine Reminiszenz an diese Figur in Barton Fink (1991, R: Joel Coen). Die Heldin von Ulrike Ottingers Bildnis einer Trinkerin (1979) versteht es, die Einnahme von Alkohol zu einem Kunstwerk zu machen. Die Würde erhält der Trinker oder die Trinkerin hier dadurch zurück, dass er oder sie weiß, was er tut: Der heroische Trinker hat das Trinken gewählt. Deshalb kann ein heroischer oder heiliger Trinker, anders als der Junkie vielleicht, ganz und gar nicht durch die Liebe geheilt werden.

Die Proll-Droge Alkohol; Heroin – die tragische Droge; Kokain, „Schnee“ (Juliet Bertos und Jean-Henri Rogers Neige, 1981) – eine Droge der Reichen und Schönen; Marihuana oder Haschisch – die lässliche Droge der slackenden Jugend; Crack – die mörderische Ghetto-Droge; LSD – die erste der verrückten Designer-Drogen für Künstler und Verbrecher; Opium – die Droge der Vergangenheit; die Pillen der frustrierten Hausfrauen: Die Droge setzt die Bilder- und Erzählmaschinen in Gang.

Gibt es für die beiden Drogen-Diskurse, Gesellschaft und Gewalt einerseits, körperlicher und seelischer Verfall des Einzelnen in der Drogenkarriere andererseits, so etwas wie eine rationale, „pädagogische“ oder präventive Wirkung durch Filme? In der Regel bieten unsere Erzählmöglichkeiten nur wenige Möglichkeiten. In der Gesellschaft hilft gegen die Drogen nur die Gewalt; in der individuellen Biografie hilft gegen die Drogen nur die Liebe. Und wenn wir uns einen zweiten Blick gestatten, dann hilft nicht einmal das.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film  8/2001