Die Populäre Kultur ist eine Himmelsmaschine. Sie produziert einen Olymp, aus dem immer neue Götter, Halbgötter, Heroen, Dämonen und Engel auf uns herabregnen und im Zeichenwirrwarr unseres Alltagslebens allerlei Heilsames, Verstörendes, Erotisches und Symbolisches anrichten. Meistens ist es einfach nur dummes Zeug, damit die Zeit vergeht und unsere Phantasien nicht auf dumme Gedanken kommen. Aber manchmal, immer wieder, fassen einen diese synthetischen Gestalten tief in der Seele an. Sie begleiten das Kind beim Erwachsenwerden und verführen den Erwachsenen zum Kindwerden. Die Bewohner des Pop-Olymps haben die Fähigkeit, unverlierbarer Teil von Biographien zu werden.

1939, in einem Jahr des Krieges, der sein wahres Gesicht noch nicht vollständig enthüllt hatte, wurde ein neuer Nebenraum im Olymp der Populären Kultur eingerichtet: „Superman“, der „Stählerne“, ein omnipotenter Held von einem Planeten, der nicht umsonst Krypton hieß, und ein Bild des technologisch-militärischen Fortschritts (und zugleich der Furcht davor) kam auf die Welt. Der enorme Erfolg der Heldengestalt führte dazu, dass fieberhaft an ähnlichen Konzepten für die Comics, die Kino-Serials und die Pulp Fiction gearbeitet wurde. Die National Periodics, aus denen später das Presseunternehmen DC wurde, beauftragten den Zeichner Bob Kane und den Texter Bill Finger mit der Herstellung einer neuen Serie um einen costumed hero: Batman.

Zunächst wurde Batman als Fabelwesen konzipiert, das mit gewaltigen Fledermausärmeln fliegen konnte und einige andere Superfähigkeiten aufweisen sollte. Aber bald entschlossen sich Kane und Finger, einen eher menschlichen Helden in den Mittelpunkt zu stellen, der gleichwohl durch akrobatische Fähigkeiten, wache Sinne und allerlei technisches Gerät dem gewöhnlichen Gangster überlegen war und überdies mit seinem Kostüm die Feinde des Rechts in Angst und Schrecken zu versetzen verstand. Batman trat 1939 zum ersten Mal in der Nummer 27 der Detective Comics auf und war bald beinahe ebenso populär wie das Vorbild. Einige Nummern später wurden dem Helden auch eine origin story und eine secret identity verpasst: Batman war im wirklichen Leben der Millionär und Müßiggänger Bruce Wayne, dessen Eltern bei einem Raubüberfall von Straßengangstern vor seinen Augen erschossen worden waren. Daher sein unstillbarer Hass auf die finsteren Gestalten der Stadt, die auch nicht zufällig Gotham hieß und wirklich sehr amerikanisch und sehr gothisch erschien.

Während Batman also tagsüber das Leben eines Playboys führt, kämpft er nachts gegen das Verbrechen. Statt der Superkräfte wie einige seiner Kollegen bedient sich Batman unzähliger gadgets; das ist etwas, das zu einem Drittel Spielzeug, zu einem Drittel Waffe und zu einem Drittel magisch-symbolisches Objekt ist, wie etwa der Baterang, Batcuffs und der Batbelt, ein Gürtel voll mit chemischen Essenzen und Trickgeräten. Er arbeitet von seiner unterirdischen Bathöhle aus, bewegt sich in einem Batmobil fort und fliegt mit dem Batplane oder, wahlweise, einem Batcopter. Batman schleudert eine linguistische Paroxie über die Welt: Manisch verbreitet er sein Wort und sein Zeichen über der Stadt. So ist seine größte Waffe eigentlich die Angst, die er unter seinen Gegnern verbreitet, seine Fähigkeit, immer gerade dort aufzutauchen, wo seine Feinde ihn nicht erwarten, und dort sein Zeichen zu setzen, wo man sich ihm entkommen wähnt.

Die „Batman“-Serie wurde von Bill Finger durch eine Anzahl skurriler Gegenspieler bereichert, die allesamt weniger materielle Gangster als geniale Psychopathen und nicht weniger gespaltene Persönlichkeiten waren: „Two-Face“, ein ehemaliger Staatsanwalt, dem die Hälfte des Gesichts verätzt und zu einer schaurigen Fratze entstellt ist und der sich immer wieder von seiner guten oder von seiner bösen Seite zeigen kann, je nach dem Fall einer Münze, die er in den entscheidenden Si tuationen zu werfen pflegt; der „Pinguin“, ein verrücktes, eitles Genie, das seinen Namen seiner rundlichen und vogelhaften Erscheinung verdankt und mit seinem Schirm allerlei Tödliches anstellen kann; „Cat-Woman“, die maskierte Diebin, die mehr oder minder heimlich in Batman verliebt ist; „Tweedledee und Tweedledum“, die grotesken Zwillinge aus „Alice im Wunderland“; „The Scarecrow“, eine menschliche Vogelscheuche, weniger nett als seinerzeit im „Wizard of Oz“ und mit der Fä higkeit ausgestattet, namenlose Angst zu verbreiten; „The Riddler“, der seine Verbrechen vorher durch Rätsel ankündigt, die er Batman zuspielt; „The Ventriloquist“, der Bauchredner, der seine Verbrechen mit seiner sprechenden Socke zu diskutieren pflegt; der „Filmfreak“, der sich in die berühmten Gestalten des Kinos verwandelt; und nicht zuletzt „The Joker“, ein mörderisches Clownsgesicht, das, mit tödlichem Spielzeug bewaffnet, zwanghaft jedes seiner Verbrechen mit einem Scherz verbinden muss, der Batman demütigen soll, sich oft aber gegen den Urheber richtet.

In diesen Gestalten spiegelt sich die verrückt gewordene Objekt- und Märchenwelt einer Kindheit, die der Leser und die Leserin offenbar gerade zu verlieren im Begriff stehen. Das Spielzeug verwandelt sich in den Fetisch, das Ding, das man zugleich haben und nicht haben will, das man liebt und bekämpft. Gotham ist, sehr magisch, ein Land hinter dem Regenbogen, ein Kinderzimmer, in dem die Zeichen plötzlich geheimen Sinn offenbaren: Gier, Lust, Angst; und es ist, sehr materiell, eine pure Objektwelt, in der ein finsterer Kapitalist wie Christopher Walken in „Batmans Rückkehr“ seine feingliedrigen Finger hat, der überdies noch Max Shreck heißt, beinahe wie der Darsteller des Nosferatu, Vampir auch er.

1940 startete ein eigenes Batman-Heft, bei dem Bob Kane als Zeichner von seinem Assistenten Jerry Robinson unterstützt und bald vollständig ersetzt wurde, obwohl die Strips immer noch das Signet Kanes trugen. Robinson war es auch, der den jugendlichen Partner des Helden einführte: Dick Grayson, Spross einer Zirkusfamilie, dessen Eltern durch den Anschlag eines Verbrechers ums Leben gekommen waren, wurde der Schützling von Bruce Wayne und als „Robin“ der Gefährte und gelehrige Schüler Batmans in allen Kämpfen. Das brachte, neben allerlei erotischen Unterstellungen, eine eindeutigere Definition des Helden als „Erwachsener“ mit sich: ein großer Bruder, der einem dabei helfen mochte, mit dem Bildersturm der Kindheit fertig zu werden.

Batman wurde in dieser Phase zivilisiert; er war nun eifriger Mitarbeiter der Polizei (der Polizeipräsident Gordon persönlich pflegt ihn durch das „Batsignal“ herbeizurufen), hielt sich an die Gesetze und versuchte das Leben des Gegners zu schonen. Das System eines steckengebliebenen Abschieds von der Kindheit hatte sich gleichsam perfekt mythologisch möbliert und war, von seinen heftigeren Impulsen gereinigt, auch ein bißchen langweilig geworden.

1964 und noch einmal 1969 wurde die Serie einer Neukonzeption unterworfen, und an die Stelle ausgeprägter Science-fiction-Elemente traten nun wieder mehr die Mystery- und Crime-Motive. Robin wurde aufs College geschickt, wo seine Abenteuer gelegentlich Stoff für eine Zweitserie boten, und Bruce Wayne zog aus der Bathöhle in ein Penthouse über der Stadt. Überdies war Batman, wie eine Reihe anderer Comic-Helden jener Zeit, mit einem ungewohnten Grad an sozialem und politischem Bewusstsein ausgestattet. Nicht mehr die semantische Katastrophe einer Kindheit, die sich nicht wirklich auflösen ließ, sondern die Korruption der Erwachsenenwelt war nun die Hauptbedrohung.

In den folgenden Jahren musste Batman einige narrative und stilistische Sprünge aushalten. Er bekam mit Jason Todd einen neuen jugendlichen Begleiter, der jedoch, nach einer Leserumfrage von 1987, das Zeitliche segnete. Im selben Jahr entstand, neben den gewohnten Comic-Serien, Frank Millers vierteiliger graphischer Roman „The Return of the Dark Knight“, der in Handlungsführung und Gestaltung ganz neue Wege ging. Erzählt wird die Geschichte der Rückkehr des Helden nach zehn Jahren im Abseits. Er ist desillusioniert, gewalttätig, schlecht rasiert und hat eine ziemlich üble Art von Humor: ein Batman für die Slacker-Generation, die das Gefühl hat, das Beste sei schon vorbei und das Erwachsenwerden genauso irrelevant wie der Abschied von der Kindheit.

Eine dritte Variante schließlich wurde von dem spanischen Zeichner Pepe Moreno geschaffen. In „Im Netz des Jokers“ und seinen Folgebänden ist Batman ebenso tot wie seine wahnsinnigen Widersacher. Ihr Kampf aber dauert an, nur findet er jetzt in Form von Computerprogrammen statt (und mittels Computer waren auch die Zeichnungen der Serie erstellt). Der Schatten hatte seine Person hier endgültig verloren, die Zeichen boten sich für endlose Basteleien an; ein minderer Gott des Pop-Universums hatte seinen eigenen Tod überlebt und war nun, nach der Katastrophe im Kinderzimmer und der Korruption der Erwachsenenwelt, von Angst und Wut vor allem angesichts der Datenströme erfüllt, die durch ihn flossen.

Tim Burtons „Batman“-Filme, deren erster mit ungeheurem Werbeaufwand 1989 gestartet wurde, hatten also sehr unterschiedliche Zeichenwelten zur Verfügung. Burtons Kunst bestand darin, sie gleichsam in einem Meta-System wieder zusammenzuführen: den klassischen Comic-strip-Helden mit dem dunklen Ritter der graphic novels, die Kinderphantasie mit der Avantgarde der Pop-Graphik. Bemerkenswerterweise führte gerade der Erfolg der beiden Filme zu einer weiteren Aufsplitterung des Zeichensystems. Für das Fernsehen entstand nun „Batman: The Animated Series“, die auf die Elemente der Frühzeit zurückgriff und in Gestaltung und im Figurenrepertoire eine radikale Vereinfachung vornahm. Eine neue Generation hatte mit neuen, elektronisch verstärkten Bilderstürmen im Kinderzimmer zu tun; aber den Teddybären, der nachts lebendig wird und andere Menschen frisst, gab es noch immer.

Burton ist ein Maniac des Pop-Olymps: Er erzählt von nichts anderem als davon, wie die Zeichen in der Welt lebendig werden (oder tödlich), wie die großartigen Talente eines „Edward mit den Scherenhänden“ nur schönen Unfug erzeugen können, der sich wieder verwachsen oder schmelzen wird, wenn Burtons geliebte und gehasste Zeit, der Monat um Weihnachten, vorbei ist. Aufgewachsen in Middle America, in der Suburbia (genau so, wie „Edward mit den Scherenhänden“ sie schildert), kennt er das Gefühl einer vollkommen „leeren“ Kindheit, wo nichts geschieht außer den Ritualen des Alltags, den Inszenierungen potemkinschen Lebensglücks und den Endlos-Phantasien der Popular Culture. Beides kommt zusammen an diesem seltsamen Fest, an dem Religion und Kapitalismus, Familienglück und Katastrophe, Leere und Fülle aufeinanderstoßen.

Auch „Batman“ ist bei ihm vor allem ein umgedrehtes Weihnachtsmärchen, nicht nur weil er es so ausgiebig und manisch in „Batmans Rückkehr“ zitiert, wo auch die Revolte des Halbwesens, des missgestalteten „Pinguin“, Ausdruck einer umgekehrten Moses-Geschichte ist: Der Versuch der reichen Familie Cobblepot, den so unperfekten Menschen zu Weihnachten zu ertränken, der dann in der Kanalisation (ein „abgetriebenes“ Kind fürwahr) von den Pinguinen adoptiert wird, führt zur Entstehung des Monsters mit dem unstillbaren Rache- und Machthunger. Das Monsterspielzeug ist nun nicht mehr nur Ausdruck eines Paradieses, das man, ob man will oder nicht, verlassen muss, sondern vor allem der Rache an einer nicht gelebten Kindheit. Sie fordert das Opfer, so wie in „Batmans Rückkehr“ ein Teddybär verbrannt werden muss – ein seltsames Brandopfer.

Bei Burton ist Batman der gehemmte Kind-Mann, der sich selber einsperren und maskieren muss, um den Verführungen der Welt zu entgehen. Was sich seine Gegner nehmen wollen, davor ist er in Wahrheit auf der Flucht. Seine wahre Geliebte, Cat-Woman, die aus der schüchternen Sekretärin zur S/M-Lady mit der Peitsche wurde, hat ein ganz ähnliches Triebschicksal. Maske an Maske, Gummi an Gummi könnten sie, wer weiß, glücklich werden, wenn nicht all die anderen Frauen mit der furchtbaren Absicht unterwegs wären, Batman die Maske abzunehmen.

Natürlich kann man über Joel Schumachers dritten Teil, „Batman Forever“, eine „Filmkritik“ schreiben. Sie würde von den flotten ersten zwanzig Minuten handeln, von den Wonnen, mit einer entfesselten Kamera durch schamlos zusammengeklaute, grandiose Dekorationen zu fliegen und zu fallen, von dem gewaltigen Hänger in der Mitte, als der Film unbedingt seine Geschichte erzählen muss; davon, dass Jack Nicholson im ersten Teil einen so großartigen Schurken hingelegt hat, dass nicht einmal Tommy Lee Jones geschweige denn Jim Carrey das Comic-Format wirklich erfüllen können, dass Val Kilmer auf eine ganz andere Art leer ist, als es Michael Keaton war; dass Gotham City trotz seiner wüsten Schauwerte kein wirklicher Raum ist, sondern ein System von unzusammenhängenden Bühnen, zwischen denen es weder Wege noch Kommunikation zu geben scheint, außer dass die Schurken immer wieder dramatisch in sie einbrechen – aber all das geht nicht nur in diesem Fall an der Sache vorbei.

„Batman Forever“ führt die Figur des Robin wieder ein, komplett mit einer Kurzfassung seiner origin story, mehr oder weniger geschickt in den Hauptstrang der, nun ja, Handlung eingefügt: Das hat kaum Konsequenzen, sieht man einmal davon ab, dass wir für diesmal mit der Nase darauf gestoßen werden, dass man Batman, neben vielem anderen, auch als schwule Ikone lesen kann. Das eigentliche „Thema“, das von Jim Carreys „Riddler“ vorangetrieben wird, führt auch zur größten Enttäuschung. Carrey ist ein genialischer junger Erfinder, einer von den Wiz Kids, die ihre Tastaturen so perfekt bedienen können, dass sie nicht mehr genau wissen, wie man mit dem eigenen Körper umgeht, weshalb sich dieser in spastischen Zuckungen und ständig entgleisenden Gesichtszügen äußert (auch ein Grund, sich zu maskieren!). Er hat ein Gerät erfunden, mit dem man seine Bilder und Phantasien direkt in die Köpfe der Menschen projizieren kann. Umgekehrt kann er damit die Gedanken und Bilder der anderen anzapfen: die Medienzukunft der totalen Illusion.

Hier also müsste der neue, noch gewaltigere Bildersturm beginnen. Aber so tief reicht der Mythos nicht. Denn während die Gestalten, die diese Apparaturen bedienen und missbrauchen, noch halbwegs interessant erscheinen, passiert in den Bildern, die von ihnen produziert werden, mehr oder weniger nichts. Fische, die aus dem Bildschirm in den holographischen Raum entweichen! Und als Bruce Wayne in die Falle gelockt wird, um sich dem Verfahren ebenso auszusetzen, sieht man nichts als eine flatternde Fledermaus. Mehr soll nicht in diesem Kopf vorgehen?

Aber vielleicht ist dies die ganze Botschaft, die in „Batman Forever“ steckt: Die Phantasie ist nur eine Schimäre, hinter den Zeichen stecken höchstens andere Zeichen. Die Köpfe sind in Wahrheit leer. Die „Religion“ Batman ist offenbar in ein Stadium eingetreten, in dem es vor allem darum geht, Heiligenbilder zu verkaufen, Ablasszettel für einen Kult, der wiederum selbst so sehr zur Vorstadtkultur des universalen Kleinbürgertums und der Möblierung seiner Jugend gehört, dass er darüber nichts mehr auszusagen imstande ist.

„Batman Forever“ muss man wohl gesehen haben; auch die Pop-Religionen haben ihre lästigen Kindergottesdienste. Aber die Litanei verschwimmt in der schläfrigen Gemeinde. Batman ist auf sich selber hereingefallen. Nirgends ein Bild, das, utopisch oder panisch, von wirklicher Anarchie spräche. Aber weiter unten, in den Katakomben des Tempels, in den Comic-Läden der shopping mall zum Beispiel, erlebt unser Held schon wieder seine nächsten psychotischen Schübe. Denn das war schon immer das Heilsame dieser kleinen Pop-Religion: Bei „Batman“ kann man ausprobieren, wie das ist, „verrückt“ zu sein, ohne dass es einen wirklich erwischt. Oder?

Autor: Georg Seesslen

Text veröffentlicht in Die Zeit, 32/1995