Die Bond-Darsteller im Spiegel des Zeitgeists

Wer darf ihn spielen?

Um kaum eine Figur der Kino-Popkultur werden so heftige ­Schlachten geschlagen wie um Bond, James Bond. Und immer geht es zuerst um die Frage: Wer darf ihn spielen?

Er war der kultivierte Barbar, ein Teil der großen britischen Popexplosion der Sechziger und zugleich ihr Gegenpol. Die Beatles und James Bond, das war ein Bild, das aus zwei Hälften bestand: Feminisierung des Maskulinen und Maskulinisierung des Femininen. Auch in Connery kommt zum Ausdruck, wie in jenen Jahren Pop eine Bühne der Selbstermächtigung war, auf der Klassen, Generationen und Geschlechter ihre Ordnungen neu sortierten.

 

Sean Connery – ein Anarchist im Dienste Ihrer Majestät

Im ersten Bond-Film, Dr. No von 1962, revoltiert eine Biografie: Sean Connery, Sohn eines Fernfahrers und einer Putzfrau, eines irischstämmigen Katholiken und einer Protestantin, wuchs »in ärmlichen Verhältnissen« auf. Er musste die Schule abbrechen, arbeitete als Milchmann und Bademeister, und ging mit 16 Jahren zur Marine. Nachdem er wegen eines Darmgeschwürs entlassen worden war, schlug er sich mit allen möglichen Jobs durch, darunter auch als Möbelpolierer, Spezialität, wie er später gern erzählte: Särge polieren. Zum Ausgleich betrieb er Bodybuilding und verdiente sich ein Zubrot als Aktmodell an der Kunsthochschule. 1950 wurde Sean Connery Dritter im Mr.-Universum-Wettbewerb. Das brachte ihm ein paar kleinere Film- und Fernsehrollen ein, darunter eine mittlere Chargenrolle im Kriegsfilmklassiker Der längste Tag. 1962 wurde er dann James Bond. Und schon früh schaffte er es, auch jenseits dieser Rolle zu arbeiten, in Hitchcocks Marnie (1964), in Sidney Lumets Ein Haufen toller Hunde (The Hill, 1965). Trotzdem verlief seine Post-Bond-Karriere nicht gerade reibungslos. Er musste jemand ganz anderes werden, einer wie der melancholische Robin Hood in Richard Lesters Elegie auf den Helden von Sherwood Forest (Robin and Marian, 1976), oder ein Frühaufklärer wie in Der Name der Rose (1986), kurz: ein Mann der Vergangenheit. So lieben ihn die Fans des alten Kinos noch heute.

Connerys Bond indes war der Kerl, der ein Stück vom Kuchen des kapitalen Booms abhaben wollte, und der wusste, wie man es bekommt: indem man sich gut mit den Institutionen stellt, denen man entkommen will. Ein Anarchist im Dienste Ihrer Majestät, ein Playboy im Dienst des englischen Puritanismus, ein Spieler im Dienst der Ordnung. Es war ein höchst materieller und materialistischer Traum. Der Bodybuilder passte perfekt in einen Anzug, look sharp, und ein Engländer, der sich mit Wein und Frauen auskennt, ist das nicht schon ein Witz in sich? Jedenfalls konnte so einer nicht von Eaton kommen. Irgendwie passte es, dass Connery kein »echter« Engländer und seine eigene Klasse war. Man hatte nie das Gefühl, dass dieser Bond Heimweh nach England hatte. Aber dennoch gab es eine große, moderne Britishness in seinem Auftreten. Für Connery bedeutete Modernisierung eben nicht automatisch Amerikanisierung.

Er war der Held der sozialen Appropriation, ein Mann der Tat, aus der Unterschicht, der sich nahm, was vordem der Oberschicht gehörte, nicht nur den Luxus und den Genuss, sondern auch Kultur, Macht, Ästhetik: verführen, gut essen und trinken, feines Tuch tragen, Bescheid wissen bei den »kleinen Unterschieden«, zwischen dem Gerührten und dem Geschüttelten. Zugleich wirkte dieser Typus aber auch umgekehrt, von den hehren Werten des Patriotismus, der Hypermännlichkeit und der Befehlshierarchie hinein in die Kultur des Trash, von Sex und Gewalt, von grellen Farben und zu den bizarren, psychoanalytischen Bauten des Ken Adam. Sean Connery war der Männerkörper, der sich in der Welt der Pop Art bewegte, als Rest von Natur in einem Umfeld, in dem sich alle Wesen in surreale, aber gebrauchsfertige Objekte verwandelten – die vergoldete nackte Frau ist nur ein besonders gelungenes Bild für diesen allfälligen Todestrieb.

Sean Connery hatte diesen entschlossenen Blick; nichts ging in ihn hinein, nichts entgeht ihm, allem hält er stand. Das Auge eines Jägers. Es geht für ihn darum, sich von dieser bizarren Objektivierung und Ästhetisierung in seiner Welt nicht anstecken zu lassen, sie aber zugleich für die eigenen Ziele zu benutzen. Für die völlig neue Freiheit bezahlt der postsoldatische Mann mit der Fetischisierung der Welt. Goldfinger, heißt es im Song, sei der Mann mit dem Midas-Touch; aber auch Bond selbst hat diese unheilvolle Begabung der Verwandlung. Was er berührt, verwandelt sich in ein begehrenswertes, kaltes und totes Objekt. Der Connery-Bond findet das höchstens ein bisschen sonderbar.

 

George Lazenby – der unliebsame Darsteller

Der australische Schauspieler glich insofern Sean Connery, als er seine Aura aus einem mehr oder weniger proletarischen Background bezog. Er war von Beruf Autoverkäufer, erst in Australien, dann in England, und wir können ihn uns wunderbar an einem Stand mit mehr oder weniger großartigen Autos vorstellen, bunte Wimpel und Lautsprechermusik, wie er sich ins Zeug legt, um die Vorzüge eines Sonderangebots anzupreisen und dabei halb weg in einem anderen Traum von sich selbst ist. In so einem Traum muss es gewesen sein, da entdeckte ihn ein Modefotograf, und George Lazenby wurde Fotomodell, warb für Klamotten und Kosmetik und wurde der »Big Fry Man«, Fernseh-Testimonial für eine Schokoladensorte.

Zweifellos waren für die Wahl zum neuen Bond-Darsteller neben Lazenbys schokoladen-affinem Strahlen seine athletischen Fähigkeiten und seine sportliche Erscheinung ausschlaggebend. So entstand 1969 mit Im Geheimauftrag ihrer Majestät einer der besten Bond-Filme, und einer, der den Agenten menschlicher zeigte als die Connery-Filme. Mit einem Vertragspoker hatte Lazenby allerdings den Ärger der Produzenten auf sich gezogen, und so wurde der Film ein Fiasko –  er sollte gewissermaßen scheitern, damit der unliebsame Darsteller aus dem Rennen geworfen werden konnte, den man schon aus der Werbekampagne weitgehend heraushielt. Dies trug dazu bei, dass der Film an der Kasse kein Erfolg wurde, der einzige Grund war es nicht. Die Fans trauerten Connery nach, und Lazenby konnte dessen Ausstrahlung einfach nicht erreichen. Lazenby wurde bald nur noch in billigen Produktionen, in Parodien, TV-Serien und Hongkongfilmen eingesetzt. Ein Opfer des Systems.

Der große, seltsame Verlierer in der Geschichte der Bond-Filme war vielleicht der falsche Bond gewesen, weil er seine Rolle restlos ernst nahm. Schließlich brachte ihn das Drehbuch in eine Situation, die kein Bond wieder erleben musste (auch wenn der Craig-Bond dem ziemlich nahe kommt): Statt Bond-Girls zu »konsumieren«, verliebte er sich und machte ausgerechnet »Emma Peel«-Diana Rigg zu seiner Frau, die prompt von Blofeld ermordet wird.

In George Lazenbys Bond-Film wird die Welt vorsichtig entfetischisiert; der Schauspieler hat vieles vom Connery-Bond, doch einiges fehlt ihm radikal. Sein Blick zum Beispiel ist offen und sogar verletzlich; er muss die Welt in sich hineinlassen, keine Ahnung, was sie da drin mit ihm macht. Und die Dinge werden nicht hart unter seinem Griff, sondern zeigen ihre Nachgiebigkeit, er hat keinen fundamentalen, sondern einen konkreten Zorn.

Der Connery-Bond musste, um sich die »femininen« Privilegien von Luxus, Narzissmus und Genuss zu erobern, einen hyper-maskulinen, vom Todestrieb beherrschten, verdinglichten Weltbezug herstellen; der Lazenby-Bond dagegen war auf die Weiblichkeit ausgerichtet  – wenn vielleicht auch ein wenig noch in der Art von Autoverkäufern, die sich nach dem Nachhausekommen sehnen. In Lazenbys Bond-Film starb die Frau, für die sich das Nachhausekommen gelohnt hätte. Und das war auch der Tod des Lazenby-Bond.

 

Roger Moore – der softeste aller Bond-Darsteller

Den Fehler, den man beim Einsatz von George Lazenby gemacht hatte, nämlich, nur den Darsteller auszuwechseln und damit ein Missverhältnis zwischen Typus und Dekor zu erzeugen, wiederholte man bei Roger Moore nicht.  Die Filme wurden seiner Erscheinung angepasst, er war von Beginn ein »unernsterer« Bond, einer, der auch für Kinder zuträglich war, einer, der sich das Feminine nicht erobern musste, sondern es in sich hatte. Und während Connery und Lazenby männliche Wut verkörperten, die nur teilweise zivilisiert wurde, war Moore von einer trügerischen Sanftheit. Wenn Connery der Kerl war, der so gut Prügeln und Schießen konnte, dass man ihm kaum das stilvolle Halten eines Martiniglases zutraute, dann war Moore der Bond, der so stilvoll das Martiniglas hielt, dass man ihm das Prügeln und Schießen nicht mehr zutraute.

Es waren eben andere Zeiten. Roger Moores Bond reüssierte in der Epoche der Verlangsamung und des schlechten Geschmacks. Eine Zwischenzeit. Die Segnungen des Kapitalismus musste man nun nicht mehr erkämpfen, sie waren im Übermaß vorhanden, aber sie verloren auch rapide an Wert. Während der Moore-Bond sich noch nach neuen Spielsachen auf der Welt umsah, entwickelten sich im Hintergrund schon die neuen amerikanisch-puritanischen Actionhelden, die sich in defensivem Sadismus zu Panzerkörpern formten. Der Midas-Touch des Todes­triebs hatte sie schon in frühester Jugend erwischt. Der zur Barbarei fähige Dekadent Moore-Bond war das Gegenbild, einer, den der Tod nicht berühren kann. Er berührt ihn ja auch nicht, den Tod. Er sieht ihn nur weltraumfern an.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern hatte es Moore auch nie wirklich schwer. Er war ein Schauspieler aus Leidenschaft und hatte schon in seiner Militärzeit mit dem Theater angefangen: Auch er hat sich das Schauspielstudium als Model für Werbekampagnen für Zahnpasta und Strickwaren verdient (»The Big Knit« nannte man ihn). In den fünfziger Jahren arbeitete er als verlässlicher Nebendarsteller in den USA. In England spielte er zwischendurch die Hauptrolle in Ivanhoe (1958/1959). Zum Star wurde er erst durch die Rolle des Gentleman-Detektivs Simon Temp­lar, den er von 1962 bis 1969 spielte, gefolgt von der Serie »Die Zwei« mit Tony Curtis (1971/1972), die in Deutschland erfolgreicher war als im Ursprungsland, weil man ihr eine neue, mehr oder weniger komische Synchronisation verpasste. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern wurde Roger Moore also nicht als nahezu Unbekannter zu Bond, sondern im Gegenteil, sein Bond konnte nur die Verdichtung und Reduktion der Heldenrollen sein, die er in preiswerteren Produktion erprobt hatte.

1973 begann die Serie seiner Bonds mit Leben und Sterben lassen. 1985 spielte er den Agenten zum letzten Mal in Im Angesicht des Todes, da war er 58. Und schon kurz nach den Dreharbeiten war er schockiert von den Gewaltszenen und Schießereien in diesem, seinem Film, der vielleicht schon auf einen neuen Bond hinwies, einen, der weniger zimperlich war.

Roger Moore hatte das ökonomische Spiel eines TV-Serienhelden, der seinem Publikum gibt, was es erwartet, einen »typischen« Engländer nämlich. Aber es war auch von Anfang an etwas Träges, Unphysisches an ihm, etwas, das die Leinwand ein wenig breit machte – während sie bei Connery zum dünnen Band geworden war. So, als interessiere er sich vor allem für den hedonistischen Aspekt seiner Mission und trete eher widerwillig zum Kampf an. Natürlich nahmen seine Filme auch die politischen Aspekte der Bond-Saga nicht mehr ernst. Der Zorn und der Zynismus eines Sean Connery wären für ihn undenkbar gewesen, aber dafür konnte er mit geschmeidiger Eleganz von der Berührung einer Bauchtänzerin zu einer Keilerei übergehen.

»Geschüttelt, nicht gerührt«, sagt Moores Bond nie, er wollte es als Macke des Connery-Bond nicht übernehmen. Andere mussten es für ihn erledigen, wie Barbara Bach, die ihm den Drink in Der Spion, der mich liebte mit den kanonischen Worten reicht. Die Übertragung ist symptomatisch für einen Bond, der vielleicht arrogant, aber nie anmaßend war. Er hatte alles zu Recht, er kam ja nicht von unten. Er musste nichts erobern, man trug es ihm zu.

Gewiss war Moore der softeste aller Bond-Darsteller, als »chauvinistisches Schwein« beschimpft zu werden, gehörte trotzdem noch zur Routine der Moore-Auftritte. (Man befand sich gerade auf dem Weg vom Kalten Krieg zur Political Correctness.) Roger Moore war aber vermutlich der Einzige, den so etwas kränken konnte. Und obwohl die Moore-Bonds die jugendfreundlichsten waren, war in ihnen Raum für die wundervollsten Absurditäten und ästhetischen Spielereien, für Genreparodien, für gänzlich irreal gewordene Räume: Moores Bond war nahe am Phantasmagorischen, er unternahm Reisen ins Wunderland. Und alles darin war Travestie, wie das herrlich groteske Duell in The Man with the Golden Gun oder die Rolle von Fabergé-Eiern bei der Rettung der Welt in Octopussy.  Moore war der Vertreter der siebziger Jahre, der ganz cool auf die vollkommene Verrücktheit der Welt reagierte, ohne das geringste Interesse an moralischen oder ideologischen Fragen. Seine besten Filme waren eigentlich surrealistische Komödien. Ein Dekadenzphänomen.

 

Timothy Dalton kam dem Bond aus Flemings Romanen am nächsten

Timothy Dalton war in vielem natürlich ein Gegenentwurf zum weichen Moore-Bond. Seine Ironie war nicht von dem Snobismus kontaminiert, der die Grenze zum Zynismus immer mal überschreitet, sondern es war ein Sarkasmus mit wohltuender Selbstdistanz. Dalton war eigentlich ein Post-Bond; die großen Schlachten waren geschlagen, die Tabus gebrochen, Sex und Gewalt waren keine Riesensachen mehr, und am Konsum konnte sich keiner mehr wirklich satt sehen. Auf die Eroberung und die wohlige Übersättigung folgte eine gewisse Askese. Das Feminine in Mr. Bond war nun ein zurückgenommenes manchmal leicht melancholisches Wissen. Dieser Bond zeichnete sich durch das aus, was er nicht an sich heranließ. Er hatte die Aufgabe, den Mythos zu reinigen.

Timothy Dalton entstammt einer walisischen Varieté- und Schauspielerfamilie; sein Studium an der Royal Academy of Dramatic Art schmiss er hin, weil ihn das richtige Spielen im Theater und bald im Fernsehen zu sehr reizte. Er war der erste Bond-Darsteller, der einen soliden Shakespeare-Hintergrund aufzuweisen hatte, und man kann behaupten, die Dalton-Bonds seien die Shakespeare haftesten unter den Bond-Filmen. Auch im Kino hatte er sich in Literaturverfilmungen bewährt; er sprach sehr klar, verfügte über ein sensibles mimisches Repertoire, und er zeigte, im Gegensatz zu Moore, keine Nachlässigkeit gegenüber seiner Figur. Im Grunde spielte er auch seinen Bond als Literaturverfilmung. Er kam dem Bond aus Ian Flemings Romanen am nächsten.

Dalton brachte das trockene Actionelement in die Serie zurück. Aber er wirkte dabei etwas überanstrengt. Und Dalton war der introvertierteste James Bond; er schien als einziger in der Lage, sich Gedanken zu machen; manchmal schien er es dabei ein bisschen zu übertreiben. Gleichzeitig traute man ihm zu, mit Spott auch auf die eigene Person und die Mission zu schauen. Um so eruptiver mochte seine Gewalt sein, er wusste, dass er treffen musste, wenn er schoss. Es zeigte sich in diesem Bond, dass die Zeiten wieder härter wurden. Auch wenn es noch niemand hören wollte – die Einspielergebnisse der Dalton-Bonds gehören zu den schlechtesten der Serie.

 

Bros­nan-Bond mit Britishness, Stil und Eleganz

Auf den ersten Blick ist Pierce Bros­nan eine Rückkehr zum eleganten und snobistischen, sehr, sehr britischen Bond, eine verjüngte und modernisierte Version des Moore-Modells. Bestätigt scheint das zu werden durch andere Rollen von Brosnan – etwa der Phileas Fogg in einer Neuverfilmung von In 80 Tagen um die Welt. Nur David Niven übertraf ihn in der Kunst, einen Zylinderhut zu tragen, während ringsherum der Teufel los war. Aber Brosnan war ein reflektierterer Bond, als es auf den ersten Blick schien. Es ist ein Bond, der sich seiner eigenen Künstlichkeit durchaus bewusst ist, und der gelegentlich dagegen zu rebellieren scheint. Pierce Brosnan ist der postmoderne Bond.

Auch Brosnan war kein Newcomer, als er die Rolle übernahm. Er wuchs als Scheidungskind in Irland auf, lebte bei Großeltern, Tanten und anderen Verwandten, bis seine Mutter ihn nach London holte. Mit 16 Jahren verließ er die Schule, versuchte sich als Straßenkünstler und Feuerschlucker und verdiente sich schließlich als Bühnenassistent am Royal Theatre das Studium am Drama Centre London. Nach einer erfolgreichen Theaterkarriere und einigen kleineren TV-Rollen kam der Durchbruch mit der Kriminalserie Remington Steele, die es ab 1982 auf vier Staffeln und 91 Folgen brachte. Nach etlichen Filmen (darunter Der Rasenmähermann) erhielt er 1994 die Bond-Rolle in Golden Eye. Der Film war enorm erfolgreich und nach sechs Jahren Pause schien die Figur wieder etabliert, von der man unterdessen argwöhnte, sie könne ihre Zeitbedeutung weitgehend verloren haben. Wie Timothy Dalton war Pierce Brosnan am ehesten eine reine Kinofigur, die in einer Binnenwelt agierte; Britishness, Stil und Eleganz waren im Angebot, aber es waren keine Strategien mehr für den nächsten Umbau der Gesellschaft. Brosnan war der Bond, der mit den Objekten und Maschinen eine Einheit bildete, das Leben in der Dingwelt machte ihm nichts aus; Midas lebt hier nicht mehr.

 

Der Craig-Bond spielt in der Zeit von Krise und Verlust

Daniel Craig nahm alles Snobistische und Charmante aus der Figur, um einen No-Nonsense-Bond zu kreieren, der auf die Frage »geschüttelt oder gerührt?« nur mit einer Gegenfrage antworten kann: »Sehe ich so aus, als würde mich das interessieren?«

Tut er nicht. 
Aber zugleich ist Craig auch wieder eine Rückkehr zu den Wurzeln der Figur. Wie er sich immer wieder die großartigen Klamotten angelt – das ist noch viel mehr ein Akt der Appropriation, als es bei Connery der Fall war. Craig ist eine proletarische Bestie im Maßanzug, aber er ist zugleich eine hochironische Spiegelung des Mythos selbst: Ein Kerl, der in Wirklichkeit niemals Bond ist, sondern sich die ­Rolle anmaßt. Aber er tut das mit einer Coolness zweiter Ordnung und einer Ent­schlos­senheit, die es bei keinem Vorgänger gab.

Dieser Bond lebt im Zerfall seiner Welt, die Dinge, die Connery durch seinen Midas-Touch geschaffen hatte, die Konsumfetische, das Mensch-Maschinelle, die Aneignung der femininen Anteile der Kultur durch den Supermacho, all das hat eine kalte, metallene Oberfläche erhalten. Dieser Bond lebt und arbeitet im Blaugrau der Nacht. Das Fetischobjekt wird hier zum letzten Signal vor dem Verlöschen.

Daniel Craig ist Sohn eines Stahlarbeiters und einer Kunsterzieherin; er wuchs nach der Scheidung der Eltern bei der Mutter und dem Maler Max Blond auf. Er atmete Kunst, und er war ein begabter Rugbyspieler, das Musische und das Physische schienen ihn gleichermaßen zu faszinieren. Gute Voraussetzung für die Schauspielerei, die er an der »Guildhall School of Music and Drama« studierte. Nach ersten Theaterauftritten und einigen TV-Arbeiten begann seine eigentliche Filmkarriere mit Elizabeth im Jahr 1998. 2005 wurde er als der nächste James Bond vorgestellt, und diesmal reagierten Medien und Fandom gleichsam in vorauseilendem Ungehorsam: Besonders die britische Boulevardpresse machte sich einen Spaß daraus, diesen Bond noch vor Beginn der Dreharbeiten kaputt zu schreiben. Er war zu hässlich, zu langweilig, zu blond. In diesen Kampagnen wird zum ersten Mal deutlich, wie sehr James Bond eine »nationale Ikone« ist, um die ein regelrechter Kulturkampf entbrennen kann. So wurden von Seiten der Produktion die Ex-Bonds Connery und Moore, dazu der greise Christopher Lee aufgeboten, um die Wahl zu rechtfertigen. Und am Ende war in der Tat ein neuer Bond geboren, ohne Manierismen und ohne Selbstironie.

Daniel Craig hat keinen Midas-Touch. Er ist gelegentlich sarkastisch, aber er hat keine Ironie. Er weiß, was Schmerzen sind. Deshalb weiß er auch, was er anderen antut, wenn er sie schlägt, anschießt und überfährt. Natürlich ist sein Verhältnis zu den Frauen ein Anti-Midas-Verhalten; und weil sie ihm nicht »Objekte« sind, leidet er mit ihnen und an ihnen, auch ihr Verrat schmerzt. Das feine Tuch und die Hotelsuiten sind ihm nicht Anlass zum narzisstischen Genuss; dieser Bond, so scheint es, verbirgt eine tiefe Sehnsucht, dorthin zurückzukehren, wo er herkam.

Craigs Blick hat die Welt hereingelassen, zu viel davon. Was seine Bewegung im Luxusmilieu anbelangt, so sind die Welt der Reichen und der Schönen und die Welt des saturierten Mittelstands einander ja etliche Jahre lang sehr nahe gekommen; das Spielzeug der Dalton- und Brosnan-Bonds entsprach bereits mittelständischen Konsumcodes, sie waren nicht mehr entrückte Traumfiguren des Warenhimmels, sondern Agenten der Einfamilienhauswelt. Die Uhr, die Bond trug, war wirklich käuflich, das Vergnügen, das die früheren Bonds zeigten, wenn ihnen die neuesten Gadgets in den Laboren des MI5 präsentiert wurden, ist mittlerweile ein verbreitetes Spiel der Konsum-Avantgarde und an jedem Erstverkaufstag eines Apple-Instruments als Massenphänomen zu beobachten. Doch diese Hysterisierung der Novelties auf dem Markt für heavy user hat zugleich zu einem Gegenbild geführt, zum Spott über die »Erstkonsumenten« um jeden Preis, die ihren Triumph, eines der schönen neuen Wunderdinger als Erste zu besitzen, gerade mal ein paar Stunden genießen können. Weder aus dem Konsumrausch noch aus der touristischen Mobilität ist nach dem Jahrtausendwechsel noch ein Heldenbild zu formen. Nur noch aus dem Zweifel.

Der Craig-Bond bewegt sich durch eine Welt, in der der Pakt zwischen den Oligarchien, in denen der Held aufräumen muss, ohne sie zu verändern, und den Mittelschichten zerbricht. Der Craig-Bond spielt in der Zeit von Krise und Verlust. Wie seine Bewunderer kann er sich den Snobismus und die hedonistische Genusspause einfach nicht mehr leisten. Da gibt es auch keine Gefahr, die man genießen kann, es ist schlicht ein Kampf ums Überleben. Das Verhältnis zu den Objekten wird entsprechend pragmatisch. Der Connery-Bond, der wollte dazugehören zu der Welt der Schönen, der Reichen, der Mächtigen. Der Craig-Bond, der verachtet sie, der will ihr entkommen, der muss ihr allenfalls das eine oder andere entreißen. Das heißt nicht, dass der Craig-Bond der Welt, die ihn hervorgebracht hat, kritisch gegenübersteht. Er verhält sich, wie der Kleinbürger sich im forcierten Neoliberalismus eben verhält. Er muss einsehen, dass er einer der Verlierer der nächsten Umgestaltung ist. Deswegen wechselt er freilich nicht die Seiten. Er wechselt seine Überlebensstrategien. Und die eigene Identität wird, wie in der »Bourne«-Serie, zum Problem.

Aber die eine, die große Aufgabe, die hat auch dieser Bond nicht aufgegeben: Die Anrichtung des einen oder anderen kleinen Desasters zu dem Zweck, dass die Welt genau so bleibt, wie sie ist. Die Reorganisation der Welt auf dem Level der Fetischdinge und der kreativen Umformung des Todestriebs, des Midas-Touchs des Kapitals. Diesem James Bond, das ist schon etwas, trauen wir indes zu, dass er nicht besonders stolz darauf ist.

 

Georg Seeßlen, epd-Film 10-2012

 

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