Berliner Kunstherbst: Ein Nachbarschaftssystem. Werk von Ekachai Eksaroj aus Wolle, 2012, auf der Preview Berlin. Foto: Tanja Jürgensen

„Mit wem muss man hier ficken, um ausgestellt zu werden?“ Die Frage haben sich womöglich schon manche Kunststudierende insgeheim auf den Kunstmessen der Welt gestellt. Ekachai Eksaroj darf sie öffentlich stellen. Auf der Berliner Kunstmesse Preview prangt der Satz derzeit in einem niedlichen kleinen Stickrahmen, Kostenpunkt: 250 Euro. Die Karriere kann beginnen.

Das Werk des 34-jährigen Künstlers ist kein billiger Werbegag. Die vor acht Jahren in einem Hangar des Flughafens Tempelhof von drei Galeristen gegründete Kunstmesse fördert neue Talente und Formate. In ihrem „Focus Academy“ zeigt sie Absolventen deutscher Kunsthochschulen. In diesem Jahr gehört Eksaroj, der in Kassel Kunst studiert hat, dazu. Sein Auftritt beweist, dass das Bild vom Kunstbetrieb als Exklusionssystem nur begrenzt stimmt.

Denn Offenheit und Vielfalt sind generell Kennzeichen des neuen Berliner Kunstherbstes. Der seinen, Geschlossenheit androhenden Titel „Berlin Art Week“, nur aus Gründen des Marketing trägt. Eine konzertierte Aktion aus Senat und Kunstinstitutionen wollte damit den plötzlichen Tod der kränkelnden Kunstmesse Art Forum im letzten Herbst kaschieren.

Demonstrativ bekennt sich die abc contemporary zu dieser neuen Offenheit. Ihr exklusives Gebaren legt die ebenfalls aus einer neunköpfigen Galeristeninitiative hervorgegangene Messe im Postbahnhof am Kreuzberger Gleisdreieck langsam ab. Nach der Zwangsjacke „Malerei“, in der sie ihre Teilnehmer im letzten Jahr steckte, konnten sich die 129 Galerien in diesem Jahr für Einzelpräsentationen öffnen.

Mit dem, mittels einer mobilen Architektur raffiniert inszenierten Parcours hochkarätiger Positionen von Altstars wie John Armleder bis zum jüngsten Documenta-Liebling Theaster Gates hat die abc ihre neue Rolle als kommerzielles Gravitationszentrum des Kunstherbstes eindrucksvoll bestanden. Und sich mit einem „Basar“ sogar eine Diskursplattform zugelegt, aus dem noch etwas werden kann.

Das schaffte sie, ohne den anderen Beiträgern der „Art Week“ die Schau zu stehlen. Etwa Christian Boros‘ Bunker in der Berliner Mitte. Der Medienunternehmer hat die 3000 Quadratmeter große, vielbesuchte Sammlung in seinem legendären Kunsttempel völlig ummöbliert. Statt Anselm Reyle, Tobias Rehberger und Kitty Kraus hängen nun die Saisonlieblinge Alicja Kwade, Klara Lidén und Ai Weiwei.

Doch auch leere Häuser haben ihren Reiz. Wie die „Open House“-Party von Johann König bewies. Die entweihte Kirche St. Agnes in Kreuzberg, die der Galerist in ein Kunstquartier umbauen will, machte die Besucher der Art Week fast neugieriger als die vier Nominierten des Preises der Nationalgalerie oder Arno Brandlhubers Betonarchipele im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.).

Diese polyzentrische Suchlandschaft der Berliner Kunst funktioniert so gut, dass das immer wieder aufkeimende Gerücht, irgendein unbekannter Global Player wolle das Berliner Art Forum wieder aufleben lassen, plötzlich wie eine Drohung wirkt. Wozu ein Zentrum, wenn sich überall in der Stadt Türen und Räume öffnen? Das scheinbar von den Straßen in Boros‘ Bunker gespülte Treibholz von Olafur Eliasson ist ein schönes Bild dafür. Oder die Installation „The Line of Fire“ von Manon Awst und Benjamin Walther.

Der Pfeil in dem Werk, der in der einen Wand des hermetischen Showrooms steckt, muss von draußen abgeschossen worden sein. Sonst hätte der Hausherr nicht ein kreisrundes Loch durch den ein Meter achtzig dicken Stahlbeton auf der gegenüberliegenden Seite bohren lassen müssen. In Berlin geht die Kunst eben noch durch die dicksten Wände.

Ingo Arend