„Club Inferno“ – die neueste Produktion des Theaterkollektivs Signa für die Berliner Volksbühne zeigt die Grenzen des Realitätstheaters

Ein violett flackerndes Reklameschild im Flur, hinter einer Metalltür öffnet sich ein rotes Plüschboudoir, in dem ein schmieriger Mann im Seidenhemd seine Gäste empfängt. Zumindest von der Ausstattung passte der temporäre „Club Inferno“ hervorragend in den versifften Hinterhof der „Gerichtshöfe“ im Berliner Wedding. Doch nur site-specific soll das Theater von Signa und Köstler und Thomas Bo Nilsson ja nicht sein. Denn im Kern leben die Aufsehen erregenden Produktionen des dänisch-österreichischen Theater- und Performancekollektivs Signa von der Aufgabe der Grenze zwischen Kunst und Leben.

In ihrer vielbeachteten Produktion „Hadesfraktur“ (Köln 2009) gerät der Besucher in die Spiele einer brutalen Unterwelt. In „Hundsprozesse“ (Köln 2011) ist er angeklagt und weiß nicht warum. Gemessen an den Erfolgen der seit ein paar Jahren ebenso gehypten wie gefeierten Truppe löste die Grenzüberschreitung in „Club Inferno“ – der neuesten Produktion des Duos für die Berliner Volksbühne, leider nur ein existenzielles Gähnen aus.

Das lag daran, dass das Kollektiv Dantes Meisterwerk „Inferno“ in eine abgestandene Spießerfantasie übersetzt hatte. Für den, der sich in einer umständlichen Vorprozedur die Karten für die Performance abgeholt hatte, begann es noch einigermaßen dantesk. In einem Pavillon neben der Volksbühne in Berlin-Mitte musste er sich durch ein Spalier von ausgesprochen realistischen Pennern und Nichtsesshaften kämpfen, die ihm ständig einredeten, dass Kunst Scheiße sei. Drinnen angekommen, bekam er die Karten überreicht. Und wenn er sich in dem mit Wurzelholz ausstaffierten Raum umsah, konnte er sich tatsächlich an den Anfang von Dante erinnert fühlen, wo es bekanntlich heißt: „Auf halbem Weg des Menschenlebens fand ich mich in einen finstern Wald verschlagen, weil ich vom rechten Weg mich abgewandt“.

In Wedding, vier Kilometer Luftlinie entfernt, sah es schon ganz anders aus. Die neun Höllenkreise, vom Stolz über den Zorn, von der Gier bis zur Ketzerei, mutierten da zu liebevoll ausgestatteten Themenzimmern eines Edelpuffs, der sich da hinter der Metalltür einer Werkstatt öffnete. Und in denen der Gefangene dieses Mitspieltheaters die Grenze zwischen Leben und Kunst mehr als einmal quasi hautnah verschwinden sah: Wenn er plötzlich in den Armen somnambuler, debil schwankender Mädchen in kurzen Röcken oder verführerisch lasziver Jungs in Latex-Slips versank und sich zu Techniken veranlasst sah, die dem Institut des Beischlafs gefährlich nahe kamen. Im Dante’schen Sinne schrecken, kathartisch reinigen oder sonst wie läutern konnte das jedoch kaum jemand. Jedes Dschungelcamp funktioniert heute nach diesem Prinzip.

Auch der traurigen Geschichte von Dido, der Königin von Karthago, lauschte man im laubbestreuten „Wald der Selbstmörder“ eher amüsiert als angstvoll. Zumal einem die Bewohner dieser Talmi-Parallelwelt ständig versicherten, dass sie ihre grausigen Rollen „nur spielten“. Einzig einen Moment wurde es dem Rezensenten mulmig. Als Herbert Godeux alias Vergil, der Betreiber des Clubs, ihn anschrie: „Hör endlich zu, du arrogante Sau. Das ist Kunst“.

Trotzdem: Auf eine enttäuschend banale Weise markierte die jüngste Signa-Produktion die Grenzen des Realitätstheaters à la Rimini-Protokoll, zu dem im weitesten Sinne auch die Signa-Truppe zählt. Und wo die Begriffe und scharfen Grenzen von Realität und Inszenierung aufgebrochen werden sollen. Da nützte es auch nichts, dass sich die Truppe angeblich ein halbes Jahr auf die Aufführung vorbereitet haben will und akribisch auf milieu- und artgerechte Ausstattung achtete. Vom ersten Moment ist alles sofort durchschaubar. „Club Inferno“ erinnerte an biedere Partizipationsästhetik auf Volkshochschulniveau.

Kein Purgatorium also beim jüngsten Signa-Coup, nirgends. Bußsüchtige, die für die wenigen Vorstellungen in Berlin keine Karten bekamen, die es aber trotzdem nach Läuterung dürstet, sei stattdessen der Kreuzberger Szenetreff „Ficken 3000“ empfohlen. In dem holzverschalten Keller der düsteren, täglich geöffneten Bar spürt er das Feuer der Vorhölle intensiver als in dem Fiktivclub auf Zeit in Wedding. Dort blieb dem gelangweilten Besucher nur die beruhigende Gewissheit, mit der Signas Untote in einer Polonaise durch die Gänge torkelten: „In der Hölle ja, da geht’s uns gut“.

Ingo Arend

Bildquelle: www.volksbuehne-berlin.de

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