Wollen Sie eine Revolution ohne Lachen machen?“

Hier ist ein Film, der eigentlich sein Thema nicht findet. Dem man aber zu Gute halten kann, dass sein Scheitern nachvollziehbar ist, und dass genau darin der Impuls liegt sich (erneut) mit Joseph Beuys zu beschäftigen – dieser europäischen Ausnahmeerscheinung des Kunstbetriebs. Denn der Film lässt zu viel offen, und findet keine Haltung – weder dem Werk, noch dem Künstler, noch seiner Zeit gegenüber. Zu schnell verfährt der Regisseur sich im Dickicht des Materials, zu sehr verfällt er dem Charisma seiner Hauptfigur.

Dabei sind Andres Veiel großartige Filme gelungen, wie beispielsweise „Black Box BRD“ (2001), über den RAF Terroristen Wolfgang Grams und den damaligen Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen. Politische Themen beschäftigen den in Stuttgart geborenen Theater- und Film-Regisseur bereits seit Mitte der 1980er Jahre. Intensive Vorbereitungen, gründliche Archivarbeit und ausführliche Interviews sind Teil seiner Arbeitsmethode. Auch für den Beuys Film, der als einziger Dokumentarfilm im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale präsentiert wurde, hat er viele Jahre investiert – über 350 Stunden Film- und Audiomaterial gesichtet, zäh um Veröffentlichungsrechte gekämpft, und circa 60 Stunden Interviews mit den zum Teil schon hochbetagten Zeitzeugen, ebenso wie mit Kunstkritikern und Museumsleuten geführt. Statements von allerdings sehr voraussehbaren Personen haben letztendlich in den Film Eingang gefunden – wie von dem wohl bekanntesten Beuys Schüler Johannes Stüttgen, dem langjährigen Verleger und prominenten SPD-nahen Grafiker Klaus Staeck sowie dem frühsten und respektabelsten Beuys Freund Franz Joseph van der Grinten, der zusammen mit seinem Bruder zu den ersten Förderern und Sammlern des Künstlers gehörte. Diese jedoch ergehen sich letztendlich in ehrendem Erinnern, in braven Anekdoten. Auch Caroline Tisdall (Guggenheim Museum, New York) oder Rheda Thönges Stringaris (Mitarbeiterin von Beuys) weiß der Regisseur nichts zu entlocken, was über das übliche „ttt“-Geplapper hinausgehen würde.

Insgesamt geht der Film weitgehend chronologisch biografisch vor, folgt den vorgegebenen Lebensphasen, fügt diesen aber nichts hinzu. Dabei gäbe sehr viele Ansätze das Leben und Werk des Künstlers tiefer und vor allem konfrontativer zu beleuchten. Angefangen von der Wehrmachtsvergangenheit, Beuys hatte sich immerhin für 12 Jahre freiwillig verpflichtet, bis hin zu dem Flugzeug-Absturz 1944, der zur Gründungslegende seines künstlerischen Schaffens wurde. Sein sogenanntes Erweckungserlebnis war die Rettung durch Tataren auf der Krim, die ihn in Fett und Filz wickelten und so vor dem sicheren Erfrieren bewahrten. Die Story, die vermutlich erfunden ist, kann als Versuch sein eigenes Leben zu fiktionalisieren verstanden werden und ist insofern interessant – nicht für Andreas Veiel. Der urkatholische Hintergrund des in der konfessionellen Enklave Kleve geborenen Künstlers ist ebensowenig Thema, wie seine Zeit als Meisterschüler bei Ewald Mataré, die entscheidend war für den weiteren künstlerischen Weg. Auch, dass manche der Kontakte (im Zusammenhang mit dem politischen Engagement von Beuys) solche zu überzeugten Nazis waren, interessiert Veiel ebenso wenig wie die alles bestimmende Nähe zur Gedankenwelt des Rudolf Steiner, dessen Name nicht ein einziges Mal im Film fällt. Das Verhältnis zum Fluxus? Die Begegnung und Auseinandersetzung mit Nam June Paik? Überhaupt eine An- und Einbindung in den Kunstkontext ? Alles Fehlanzeige! Oder wie es überhaupt dazu kam, dass ein Künstler, der gleichermaßen sperrig, unorthodox, provozierend und vieldeutig war wie Beuys, Anfang der 1980er Jahre (vor Andy Warhol) zum teuersten Künstler des internationalen Kunstmarktes werden konnte, würde mich ebenso interessieren wie die Frage wie Beuys eigentlich heute rezipiert wird? Dies hätte zumindest ein kleines Stück historische Kontextualisierung werden können. Statt dessen gibt es leicht zu konsumierendes. Kunstlehrer werden sich freuen – das geht als Unterrichtsmaterial bereits für Fünftklässler.

Die Interviewpassagen stören außerdem in ihrer penetranten digital-Farbigkeit. Denn der Film setzt sich in weiten Teilen aus Original Materialien aus der Zeit des Künstlers zusammen.

Eine Montage aus vielen schwarz-weiß Videoaufnahmen und Fotografien aus Kontaktbögen, körnig, grob, spröde, verschattet – ein wohltuender Blick in eine Zeit, in der die Überschärfe moderner Aufzeichnungsgeräte noch in weiter Ferne lag. Und einige dieser Bilder / Szenen sind es dann, die eine ganz eigene Kraft entwickeln, die auf der großen Kinoleinwand nachgerade etwas Unheimliches bekommen. Beuys wirkt manchmal wirklich wie einer, der aus einer anderen Welt zu uns zu sprechen scheint. Da ist eine unglaubliche Direktheit und Energie – und immer wieder dieses ansteckende Lachen und das breite Wissen, welches es mühelos mit den Berühmtheiten der damaligen Intelligentia aufnimmt, diese sogar mit viel Schlagfertigkeit in ihrer Beschränktheit bloßstellt. Der bekannte Ausspruch „wollen Sie eine Revolution ohne Lachen machen?“ war eine Replik auf die Humorlosigkeit der universitären Gesprächskultur. Bei den öffentlichen Podiums- und Fernseh-Auftritten, die zum Teil auf youtube jederzeit abgerufen werden können, erlebt man jedenfalls einen Künstler, der sich niemals verbirgt oder verweigert, oder nur eine Selbstinszenierung verfolgt, sondern einen, der sich allen Fragen des menschlichen Seins stellt. Deutlich wird: Beuys dachte gleichermaßen politisch wie philosophisch, agierte provozierend und sensibel, und war vor allem keiner, der kleine Brötchen backte. Denn nicht nur der Mensch, sondern gleich die ganze Gesellschaft sollte verändert werden. Er kritisierte basal die Sphäre der Politik „der Mensch lässt sich von politischen Entscheidungen beeinflussen, ich aber verlange, dass er denkt!“, und die ökonomischen Verhältnisse „das Geld muss raus aus dem Kreislauf, denn die Kreativität des Menschen ist das wahre Kapital.“

Im letzten Drittel des Films geht es um Beuys als Mitbegründer der Grünen, ohne aber genauer zu beleuchten, warum er 1982 so krass fallen gelassen wurde – ihm wurde ein Listenplatz in den vorderen Reihen verweigert, nachdem er Jahre lang für die Grünen gekämpft hatte. Veiel, ansonsten an gerade solchen Brüchen interessiert, bleibt hier einmal mehr auffallend blass. Und die Beuyssche Kritik an den Geldströmen, greift die in heutiger Zeit noch? Auch hierzu wird nur einfach nacherzählt, eben aus der Sicht von damals – wieder geht ein Spannungsbogen verloren.

Doch zurück zum Fünft-Klässler. Was zeigt der Film? Einzelne Kunstaktionen werden aneinander gereiht, etwa „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ 1965 (auch auf youtube zu sehen), „The Pack“, „das Rudel“ (1969), dann „I like America and America likes me“ – eine der spektakulärsten und vielleicht bekanntesten Aktionen. Beuys ließ sich 1974 in New York in der Galerie Block mit einem Koyoten tagelang einschließen. Interessanterweise eine – heute würde man sagen – „Performance“, die in Teilen auf farbigem 16-mm Material aufgezeichnet wurde, die Beuys später auf schwarz weiß umkopieren ließ. Er wollte damit eine größere plastische Gestalt erreichen und die spirituelle Seite des Ganzen betonen. Und immer wieder greift Veiel auf die „7000 Eichen“ zurück, ein Projekt im Zusammenhang der siebten documenta in Kassel 1982, mit dem der Film dann schließlich auch endet. Wie kaum ein anderes Kunstwerk ist dies das Vermächtnis des Künstlers schlechthin – die immer angestrebte Verbindung von ökologischem, politischen und individuellem Bewusstsein. Auch hierfür hat der Wortakrobat eine tolle Überschrift gefunden: „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“. Es war die größte Aktion seiner Karriere. Die letzte Pflanzung einer Eiche im Jahr 1987 erlebte er nicht mehr, doch die Verewigung ist ihm gelungen. Seit 2004 steht das Werk unter Denkmalschutz. Und so ist der Mann mit Filz-Hut schon lange das, was Udo Lindenberg gerne sein würde: „stärker als die Zeit“ – ganz ohne diesen Film, der ihn wirklich nur als „heilige Kuh“ zeigt.

Daniela Kloock

Bilder: © zeroonefilm