Immer wieder flattert weiße Wäsche, immer und immer wieder kommen Tier- und Vogelkadaver ins Bild. Metaphernlastig bleibt es auch die gesamten 125 Minuten. Dabei ist das noch nicht einmal das Nervigste an dieser Verfilmung der „Deutschstunde“ (Siegfried Lenz), jenem Roman der zu den absoluten Klassikern deutscher Nachkriegsliteratur gehört. Vielmehr ist es die gnadenlose Zuspitzung, beziehungsweise Verkürzung der literarischen Vorlage. Denn Schwochow, der 2012 den „Turm“ (Uwe Tellkamp) so gekonnt verfilmt hat, reduziert den 600-Seiten Roman auf eine protestantische Morallektion über das Zerbrechen einer Kinderseele. Ihn und seine Mutter, die mit für das Drehbuch verantwortlich war, interessiert einzig Siggi, die Hauptfigur, ein Heranwachsender zwischen zwei Vätern: dem pflichtbewussten, über-ich orientierten, gefühlskalten Polizeiposten Jepsen und dem selbstbestimmt agieren wollenden Künstler Nansen. Aufgepasst: Ersterer ist der Nazi von damals und der AFD-Anhänger von heute, bei Brecht wäre er vermutlich der „Ja-Sager“ und Letzerer ist der die Pflicht verweigernde Freigeist. Brecht würde ihn den „Nein-Sager“ nennen. Dabei ist der Roman vielschichtiger, widersprüchlicher, ironischer und vor allem unpathetischer als es mancher (vermutlich bis heute) haben will. Siegfried Lenz zeichnet keine eindimensionale Figuren, bei ihm ist es kein simpler Widerspruch zwischen Gut und Böse. Vielmehr gibt es Ähnlichkeiten, Schnittflächen, Spiegelungen zwischen Jepsen und Nansen, die im Film noch nicht einmal angedeutet werden. Und Siggi, der Ich-Erzähler, bei Lenz ein kluger, scharfer Beobachter, der seine Gedanken aufs Papier zu bringen weiß, er mutiert bei den Schwochows zum wehrlosen, traumatisierten Opfer. 

Dem Roman einen erzieherischen Impetus unterzujubeln, das haben die Deutschlehrer in meiner Schulzeit schon erfolgreich geschafft. Dass sich das aber jetzt, 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Buches, gefördert durch das öffentlich rechtliche Fernsehen und beklatscht durch die Feuilletons, ungebrochen wiederholt, macht mich schon einigermaßen baff. Wieder geht es gegen den eindeutig auszumachenden autoritär orientierten Charakter, den blinden Gehorsam, dem der frei denkende Mensch entgegenstellt werden muss. Wenn es denn so einfach wäre mit dem kategorischen Imperativ, oder der Freiheit nach Schiller – um nur am Rande anzudeuten, dass sich die deutsche Geistesgeschichte am Thema „Pflicht“ schon etwas länger die Zähne ausbeisst.

Aber zurück zum Film. Ulrich Noethen verkörpert diesen Polizeiwachtmeister, der sich mit seinem Fahrrad durch Wind und Regen arbeitet, seinen Sohn vor den Augen der Mutter prügelt und quält, und ansonsten eingeklemmt in seine Uniform freudlos durchs Leben schreitet, grandios. Neben ihm – wohl auch dem schwachen Drehbuch geschuldet – bleibt Tobias Moretti als Maler blass. Beide versuchen also Siggi für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Der eine autoritär, der andere pseudo-brüderlich. Der Film fügt diesbezüglich dem Trailer eigentlich nichts hinzu. Und Siggi? Er sammelt halt seine Kadaver, mäandert zwischen den beiden Vätern, versucht seinen verletzen Bruder zu retten und buhlt um die Zuneigung seiner Schwester. 

Dann und wann kreischen Möwen, es weht die weiße Wäsche, es dudelt bedeutungsschwer die Musik. Nicht zu vergessen die Bilder, die Nansen alias Moretti malen muss. Ganz übler Kitsch! Als hätte man auch noch Nolde die nötige Ohrfeige verpassen müssen. Wichtig scheint aber vor allem eines gewesen zu sein: der Zuschauer soll sich auf die richtige Seite stellen. Kino als Moralanstalt, passend zum Tag der deutschen Einheit.

P.S.

Erwähnen möchte ich noch die Titelsequenz und den Abspann. Hier sieht man unglaublich schöne schwarz-weiss Aufnahmen von Alfred Erhardt, dem berühmten Avantgardefotografen, der 1937 die ersten Wattenmeer-Dokumentarfilme drehte, immerhin ein kleiner Trost. 

Daniela Kloock

Bild ganz oben: Deutschstunde |© Network Movie |​ Wild Bunch Germany 2019 |​ Georges Pauly