Der Esel ist ein wichtiges Tier in der Weihnachtszeit. Er rettet die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten. Ansonsten bleibt er jedoch in unseren Breitengraden weitestgehend unbeachtet. Auch bei der Salami denkt sicher keiner, dass darin möglicherweise ein Esel „verwurstet“ wurde. Zwar nimmt die Zahl der Vegetarier stetig zu, das Leid der vierbeinigen Huftiere bleibt trotzdem weitgehend im Dunkeln.

In „EO“ zieht Jerzy Skolimoskwi alle Register, um ungeschönt und mit emotionaler Wucht auf diesen Tatbestand hinzuweisen. Sein Film reiht sich damit ein in Denis Cotés „Bestiaire“ (2012), oder Andrea Arnolds „Cow“ (2022).
„EO“, der im Mai in Cannes mit dem Jurypreis ausgezeichnet wurde, konzentriert sich jedoch vollständig auf das Leben und Sterben des Esels „EO“. Anfänglich wird er von der schönen Kassandra umarmt und geküsst. Zusammen führen sie in einem kleinen polnischen Zirkus ihre Kunststücke vor. Doch dann tauchen Demonstranten auf, die gegen den Einsatz von Tieren im Zirkus protestieren. Damit beginnt „EO“s unglückliche Reise quer durch Europa. Er wird zunächst in einen LKW verfrachtet und in eine Reitanlage gebracht. Hier zieht er Mistkarren. Während die Pferde gebürstet, gehätschelt, fotografiert und mit Trophäen behängt werden, bleibt der Esel als schuftender Vierbeiner unbeachtet. Bereits hier zeigt die Kamera die großen schwarzen Augen „EO“s mit Tränen, denn so wird im Folgenden immer wieder suggeriert, er träumt von Kassandra, zu der er zurück will.
Lange bleibt „EO“ nicht bei den Pferden. So reiht sich Station an Station. So gut wie überall erfährt der Esel nur Leid. Einer durchgeknallten Fußballcrew dient er als Maskottchen, wird anschließend von Rowdys fast zu Tode geprügelt, in einem tristen Tierheim wieder aufgepäppelt und schließlich in einen riesigen Transporter mit Kühen gestopft. Auf dem Weg nach Italien in eine Schlachterei sieht er die Landschaft vorbeiziehen, aber auch andere Transporter aus deren Gitterstäbe Schweineschnauzen ragen. Noch einmal kann „EO“ seinem Schicksal entkommen, denn dem Lkw-Fahrer wird an einer Tankstelle die Gurgel durchgeschnitten. Letztendlich kann ihn jedoch auch der undurchsichtige, hübsche Priester nicht retten, der seiner attraktiven Mutter (Isabelle Hupperts Gastauftritt) verfallen ist. Mit Hunderten von Kühen wird „EO“ am Ende in ein Schlachthaus getrieben. So endet die Leidensgeschichte der Hauptfigur, die weniger an eine Odyssee denn an einen Kreuzweg denken lässt.

„EO“ ist eine Hommage bzw. Neuinterpretation von Robert Bressons „Zum Beispiel Balthasar“ (1966), geht aber inhaltlich und stilistisch über sein Vorbild hinaus. Skolimoskwi filmt ganz aus der Sicht des Esels. Wir schauen mit „EO“s Augen aus Gittern, auf gequälte Kreaturen in der Fuchs- bzw. Nerzfarm, auf Fische in einem Aquarium einer Zoohandlung, aber vor allem schauen wir auf all die Grausamkeiten der Menschen. Wie sie den Esel schlagen, schikanieren, ihm Bier einflößen, Rauch in die Nüstern blasen, einsperren oder einfach in seinem Leid ignorieren, das geht unter die Haut. Dabei changieren die Bilder und Szenen zwischen (magischem) Realismus und Allegorien. Viel Natur, rauschende Blätter oder Flüsse, die wogend ineinander übergehen, blutrote Tunnel oder lange, dunkle Gänge werden gezeigt – einiges ist in Stroboskopeffekten gefilmt – sodass die Leidensgeschichte des Esels immer wieder mit bildgewaltigen oder rätselhaften Sequenzen durchbrochen wird. Hinzukommt ein ausgefeiltes Soundesign.

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Kein Wunder also, dass die kunstsinnige Leidensgeschichte in Cannes als ungewöhnlichster Film und eventueller Palmenkandidat gefeiert wurde. Der 84-jährige Skolimowski bezeichnet „EO“ als den wichtigsten Beitrag seiner Karriere. Und das will etwas heißen. Schließlich hat dieser Regisseur/Schauspieler und Drehbuchautor mit den größten polnischen Filmemachern, Roman Polanski und Andrzej Wajda, gearbeitet.


Ab 22.12.2022 in den Kinos.

Daniela Kloock

Bilder: Rapid Eye Movies