Selten sah man so viel Kitsch auf der Leinwand wie in IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN, einem der ersten Wettbewerbsbeiträge. Der Film beruht auf dem Bestseller der ostdeutschen Autorin Daniela Krien. Und sind Bücher erfolgreich, sind auch die Fördertöpfe offen. Noch dazu, wenn Emily Atef (3 TAGE IN QUIBERON) sich den Stoff zur Bearbeitung aussucht.

Es geht um eine „Amour fou“, würden die Franzosen sagen. Aber auch „irgendwie“ um das Leben einer Familie auf einem Bauernhof in Thüringen. Es ist der erste Sommer nach dem Fall der Mauer. Die Gespräche kreisen um die Probleme der Veränderungen, die überall spürbar sind. Auf dem Hof lebt auch die junge, schöne Maria, die mit dem Sohn verbandelt ist. Vor allem jedoch liebt Maria Bücher, vorzugsweise russische Klassiker wie „Die Brüder Karamasow“ (ein Zitat aus dem Roman ist der Filmtitel). So weit, so gut. Doch dann kommt es zu einer folgenschweren Begegnung zwischen Maria dem einsamen, etwas älteren Henner, der auf dem Nachbargehöft Pferde züchtet, gern Wodka trinkt und Bücher von Georg Trakl liest. Eine lesende junge Frau verfällt alsbald einem lesenden älteren Mann – womit vermutlich erklärt sein soll, dass beide Außenseiter sind und mehr in Bücherwelten als im lästigen Alltag leben (wollen). Bis, ja bis sie die sexuelle Obsession überfällt.

Es folgen endlos lange Szenen von körperlicher Anziehung und Abstoßung, bzw. (in den Worten der Regisseurin) von „archaisch-bestialischer Sexualität“. Dazwischen immer mal wieder kurze Szenen vom Bauernhof – Besuch aus dem Westen hat sich angekündigt, es wird debattiert und gesungen, der Traktor knattert und auch das Korn muß eingeholt werden – und weite Blicke über Felder und grüne Hügel. Das Ganze zieht sich über 128 Minuten und man fragt sich, wie bzw. wann wird es enden?

Marlene Burow als Maria – sie wird ganz sicher als eine der vielen weiteren Neuentdeckung des deutschen Kinos gefeiert – ist eine veritable Wiedergängerin der jungen Nastassja Kinski. Redlich bemüht sie sich die psychologisch leer bleibende Figur irgendwie agieren zu lassen. Dass die Regisseurin versucht ein starkes sexuelles Begehren aus der Sicht einer jungen Frau zu erzählen, ist schon nicht schlecht gedacht, allein die Umsetzung scheitert jämmerlich. Die vielen Nackt- und Sexszenen werden vielleicht Herzen (älterer) Männer hoch schlagen lassen. Für mich jedoch ist die Bildgestaltung, das ganze Geschnaufe, der Überschwang der Gefühle sowie all die vordergründig vielsagenden Blicke und Gesten hart am Pathos, am Kitsch und nur schwer auszuhalten.

Atef schafft an keiner Stelle weder so etwas wie Figurenführung, dabei hatte sie tolle SchauspielerInnen zur Verfügung, (Christine Schorn, Axel Werner, Jördis Triebel), noch gelingt es ihr den ostdeutschen Hintergrund mit der „Amour fou“ zu verbinden. Auch dass weite Teile des Films in so einen gefälligen David Hamilton-Look getaucht sind (viel Weichzeichner, wenig bekleidete „Nymphen“ mit langem Haar, vor oder hinter Spitzenvorhängen), kann mir nicht gefallen, ebenso wenig wie der grauenvolle Score, der über wechselweise dräuende Gewitter oder einen hohen blauen Himmel gelegt wird.

Für Berlinale-Boss Carlos Chatrian hingegen ist es „Einer der seltenen Filme, in denen man Körper förmlich riechen kann“.

Nun denn, wir sind auf die kommenden Riech-Tests gespannt.

BLACKBERRY, beruhend auf dem bemerkenswerten Sachbuch „Losing the Signal“ der Journalisten Jacquie McNish und Sean Silcoff, erzählt die Geschichte vom Aufstieg und Fall des BlackBerry Unternehmens , der kanadischen Software Firma „Research in Motion Limited“, welche auf dem Smartphone-Markt Furore machte.

Es war eine Gruppe junger technikaffiner Männer, die in einer Garage in Waterloo an einem Telefon bastelte, welches gleichzeitig ein Computer sein sollte. Zunächst „nur“ um E-Mails über eine Tastatur eines Telefons abzurufen. Die geniale Erfindung der Nerds löste etwas aus, das vorher reine Science Fiction war und wurde zum Millionengeschäft. Heute dürfte es für viele kaum mehr einen Gedanke wert sein, dass Nachrichten und Bilder weltweit und individuell versendet und empfangen werden können. Doch vor knapp einem viertel Jahrhundert war es eine veritable Medienrevolution.

Jay Baruchel, Pranay Noel, Steve Hamelin, Matt Johnson, Ethan Eng, Ben Petrie, Michael Scott in BlackBerry | CAN 2023 | Regie: Matt Johnson Wettbewerb 2023 | © Budgie Films Inc.

Der Film kreist um die Erfolgsgeschichte des ehemaligen Handy Giganten BlackBerry, die ihr Ende fand, als Steve Jobs‘ Apple iPhone 2007 seinen Siegeszug antrat und den Markt eroberte. Ein Smartphone mit Touchscreen war nun das Maß aller Dinge und eine Tastatur „old fashioned“. Und BlackBerry gerät dann auch noch auf Grund von unsauberen Finanztransaktionen Rechtsstreitigkeiten in weitere Schwierigkeiten.

Dass Erfindergeist, business know-how und geschäftstüchtiges Handeln zusammenkommen müssen, um Erfolg zu haben, das ist die Kernaussage des Films. Wie aus einigen „verrückten“ Nerds, die auch Spass an dem haben, was sie tun, eine auf autoritäre Zurechtweisungen agierende Truppe wird, ist leider zu klischeehaft erzählt. So ist es beispielsweise ein mit allen Wassern gewaschener Business-Typ mit eiskaltem Blick und perfekt sitzendem Anzug, der den Freak-Club auf Vordermann bringt.

Verwackelt, ruppig und schnell beginnt der Film, eine Handkamera soll Authentizität suggerieren. Die Dialoge, vor allem am Anfang, sind witzig, und es gibt zahlreiche komödiantische Einlagen. Doch dann geht dem Filmemacher (Matt Johnson), der auch eine der Hauptrollen spielt, zunehmend die Puste aus. Das Ganze bleibt bis zum Ende der 121 Minuten dramaturgisch eher flach. Nicht zuletzt, weil die Hauptfiguren sehr ins Karikaturenhafte verzerrt sind. Genau so schnell wie der Film montiert ist, wird er vermutlich auch vergessen.

Daniela Kloock

 

Bild ganz oben: Marlene Burow in Irgendwann werden wir uns alles erzählen | DEU 2023 | Regie: Emily Atef | Wettbewerb 2023 | © Pandora Film / Row Pictures