INSIDE war ein Highlight der Berlinale 2023. Der Film hinterfragt auf humorvoll und kluge Weise Sinn und Zweck von (bildender) Kunst und ist eine hinreißende One-Man-Show von Willem Defoe. Der Schauspieler brilliert einmal mehr in diesem als Survival-Thriller annoncierten Spielfilmdebut des griechischen Regisseurs Vasilis Katsoupis.

Diesmal ist Defoe ein hochprofessionelle Kunsträuber, Nemo. Sein Auftrag: in einem New-Yorker Penthouse eines Star-Architekten und Kunstsammlers soll er Gemälde stehlen, v.a. ein Selbstportrait von Egon Schiele. Zunächst läuft alles nach Plan. Er schafft es in das Appartement einzudringen. Doch dann schlägt das Sicherheitssystem Alarm, und die Falle schnappt zu. Alle Ausgänge sind verriegelt, Kontakt zu den Komplizen außerhalb ist unmöglich. Und so verbringt der völlig isolierte Nemo – da beginnt bereits die Parabel – Tage, Wochen und Monate in dem durchdesignten Loft, mit Ausblick auf die Millionenstadt.

Sein Überlebenskampf gilt zunächst der irre gelaufenen Technologie („Hallo Smart City“), einer elektronischen Klimaanlage, welche ihn abwechselnd mit tropischer Hitze oder eisiger Kälte terrorisiert. Strom und Wasser sind abgestellt und nur ein paar Kaviardosen und hochwertige Spirituosen vorrätig. Schnell werden zahlreiche Paradoxien dramaturgisch lustvoll ausgespielt. So wie Luxus sich hier zum Mangel transformiert, und eine Robinson Crusoe Insel (Natur) zum grausamen goldenen Käfig (Hochkultur) mutiert, so wird aus der Angst vor Entdeckung der Wunsch gefunden-zu-werden. Qualvoll ist es für Nemo auf den Monitoren der Überwachungskameras menschliche Gegenüber zu sehen, zu denen er jedoch keinen Kontakt aufnehmen kann. So bleibt es seiner Phantasie überlassen, den Pförtner, vor allem aber eine hübsche Putzfrau so zu halluzinieren, als wären sie leiblich da.

Anwesend bzw. materialisiert sind jedoch die reichlich vorhandenen Kunstwerke. Die Bilder an den Wänden, die Skulpturen und Objekte werden nach und nach zu veritablen Kommunikationspartnern. Für Nemo bekommen sie eine Stimme – sie spiegeln seine Stimmung, seinen Gefühlszustand. Und er arbeitet sich an diesen sprichwörtlich ab. Er verändert und zerstört viele der wertvollen Objekte, dabei erhalten sie eine neue Funktion. Diese Korrespondenzen und überraschende Interaktionen zu beobachten und mit zu verfolgen ist ein Hochgenuss, auch und vor allem durch das großartige Spiel des Protagonisten.

Katsoupis hat einen weiteren berühmten Profi engagiert, den Kunst-Kurator Leonardo Bigazzi, um passende moderne Werke für den Film auszusuchen – ja sogar zu beauftragen. Man entdeckt Bilder von Franzeso Clemente (sein Bild entstand extra für den Film) neben Mauricio Cattelan, Albrecht Fuchs oder Florian Slotawa, um nur einige zu nennen. Jedes der Kunstwerke korrespondiert mit einem Gefühlszustand Nemos, der immer tiefer in sein Ich eindringt, seine Grenzen, seine Ängste und seinen Zorn durcharbeiten muss. Die Zeit löst sich dabei im Laufe des Geschehens ins Nichts auf, genau so wie Fragen nach Logik, Stringenz oder einem Plot.

Vieldeutig, auch wohltuend schweigsam, ist dieser Film. Es geht um die Kraft des Überlebenswillens, wie um eine komplexe Hinterfragung der Bedeutung und des Wertes von Kunst. Das Ganze kann aber genau so als eine weitere Variante eines Corona „Lock-Down“ Horror-Trips verstanden werden, wie als Kritik an kunstzerstörenden „Klima-Aktivisten“. Auch als Einführung in die Theorien von Karl Marx ließe sich der Film verwenden, zentrale Begriffe von Waren-, Tausch- und Gebrauchswert werden hier herrlich konkret veranschaulicht. Wem das alles zu viel Deutung ist, für den mag INSIDE einfach nur eine pfiffige, leicht böse Komödie sein, die den Alptraum eines Superreichen aufs Korn nimmt, der nichts mehr fürchtet, als dass seine Kunstsammlung zerstört werden könnte.

Daniela Kloock

Kinostart: 16.03.2023

Bild oben: © SuqareOne/Steve Annis