feelgood movie

Das Schöne an diesem Film ist, dass man in ihn so schnell reinkommt wie Boris Becker ins Internet. Nicht »wie gebannt« oder »total hingerissen«, sondern einfach so. Wie man im Halbschlaf am Strand in eine Phantasie reinkommt, die sich zusammensetzt aus der Geschichte in dem Buch, das man gerade auf die Badematte hat sinken lassen, dem Gespräch unterm Sonnenschirm von nebenan und dem, was man so zuhause zurückgelassen hat, oder auch nicht.

Ein Ferienfilm, ein feelgood movie, eine Beziehungsgeschichte mit deutschen Stars, schon wieder ein road movie, »Vorbilder« lugen hier und da um die Ecke, und obendrein ist das Ganze noch durchschaubare Karriereplanung: Nach dem realistischen Métissage-Action Movie »Kurz und schmerzlos« dreht Fatih Akin das genaue Gegenteil: »einen bunten Liebesfilm, in dem niemand stirbt, mit zwei deutschen Heldenfiguren, gespielt von Stars«. Eine Menge Dinge, die mir normalerweise die Laune verderben könnten. Bloß, wie gesagt: Ich bin schon drin. Da kann man nichts machen.

So drin, daß mich dabei die abstrusesten Drehbuch-Volten (über Leute, die es schaffen, sich gegenseitig im nun doch nicht gar so kleinen Südosteuropa beständig über den Weg zu laufen) so wenig stören wie die unverschämtesten Regie-Tricks (zum Beispiel einen Teil der Reise in Fotos von einer Kamera zu zeigen, die ein Paar geklaut hat, wobei sie aber wohl von einem unsichtbaren Dritten begleitet worden sein müssen, der den Auslöser betätigt), die rüdesten Klischees (über Bayern und Rumänien zum Beispiel), reichlich knallige Nahaufnahmen, ein schräges Verhältnis von Aufwand und Wirkung (eine Kran-Bewegung à la Spielberg, bloß um vom Balkon in irgendeine Hamburger Seitenstraße zu kommen) oder eine Aussage wie diese: »Meine Herzallerliebste, ich bin Tausende von Meilen gegangen. Ich habe Flüsse überquert, Berge versetzt. Ich habe gelitten, und ich habe Qualen über mich ergehen lassen. Ich bin der Versuchung widerstanden, und ich bin der Sonne gefolgt, um dir gegenüberstehen zu können und dir zu sagen: Ich liebe dich.« Weil erstens diese Sätze, die Moritz Bleibtreu zu Christiane Paul sagt (die sie ihm früher mal beigebracht hat) in diesem Augenblick fast vollkommen wahr (nur das mit der Versuchung, naja) und zweitens, was das Filmische anbelangt, so unverschämt gelogen sind, daß sie auch schon wieder wahr sind.

Eine Geschichte? Wenn Sie so wollen: Es geht um einen Referendar in Hamburg, so verklemmt und unglücklich, wie wir ihn uns nur vorstellen können. Daniel Bannier heißt er, auch das noch. Juli mit Glitzeraugen und Eisschmelzlächeln verkauft Schmuck und erkennt, daß in ihm irgendwas drinsteckt, das raus will. Und das will sie haben. Auf der Spur der (für ihn) falschen Frau macht sich Daniel auf den Weg nach Istanbul, und mit wem gerät er dabei zusammen, auseinander, wieder zusammen und so weiter? Jedenfalls spielen noch eine ex-jugoslawische Lieferwagen-Diebin mit, ein beziehungsstiftender Trucker mit einer Che Guevara-Tätowierung am Oberarm, ein Türke, der seinen ebenso illegalen wie toten Onkel im Kofferraum von Hamburg nach Istanbul schmuggeln will, Grenzposten, die so tun, als wären sie in einem »Tintin«-Comic, ein Lastkahn nebst sehr kräftigen ungarischen Binnenmatrosen, ein, zwei Joints, Bier und Cola, viele Zigaretten, Staub, Wasser, Straßen und Bilder, wie man sie zwischen Hamburg und Istanbul erbeuten kann.

Daß dieser schöne Unfug so genießbar ist, hängt auch damit zusammen, dass Fatih Akin nichts von diesen Elementen »melkt«. Das meiste präsentiert er hübsch im Nebenhinein, läßt uns beim Zuschauen genügend Luft und haut nur ganz selten unseren Kopf vor die Pointen oder die unverschämte Sentimentalität seines Films. Und so unwahrscheinlich die Zufälle in dieser Geschichte sind, sie haben doch eine genaue Struktur. Jene Traumstruktur, in der man, gegen die ganze Welt und sich selber, wenn’s sein muß, das Glück findet. Ein Sommernachtstraum eben, so getürkt, daß er auch ferientagstauglich ist.

Das ist Kitsch, gar keine Frage. Aber die Grenze zum Kitsch war noch nie ein Kino-Problem. Das Kino-Problem ist die Grenze zwischen gutem und schlechtem Kitsch. Und was das anbelangt, ist man mit »Im Juli« auf der sicheren Seite. Vielleicht auch, weil Fatih Akin gar nicht das taffe Kino-Tier auf dem Weg zum »kommerziellen Regisseur« ist, wie er uns weismachen will, sondern der letzte Romantiker unserer Cinematographie.

Autor: Georg Seeßlen