Nichts gegen Popcorn-Kino. Nichts gegen Special Effects und Dolby Sound, Raumschlachten, Meteoritenhagel, markige Sprüche, löchrige Scripts, bombastische Musik und Charaktere, die so platt sind, dass man sie unter jeder Studiotür durchschieben kann. Bloß geschieht es uns in jüngster Zeit immer häufiger, dass wir eigentlich Kino sehen wollten, aber nur gigantisch aufgeblasenes Fernsehen bekommen. Bisweilen gibt es wenigstens die bildträchtige Erinnerung an eine einstige Kultserie wie „The Avengers“ („Mit Schirme, Charme und Melone“), mal wenigstens den Film zur Serie wie Akte X. Man nimmt die Figuren und Grundkonflikte einer Serie, um sie in eine epische Kinogeschichte zu verwandeln. Manchmal imitiert das Kino aber auch bis in seine Struktur hinein die Fernsehserie. Irgendwas stimmt dann nicht mehr.

Lost in Space geht auf die TV-Serie „Space Family Robinson“ zurück, die in den USA von 1965 bis 1968 lief und auch als Comic-Serie (bei Disney) populär war. Die Grundidee war ziemlich genial: eine Familie auf Weltraummission, deren Schiff durch einen Saboteur von der ursprünglichen Mission abgebracht wird, im Weltraum strandet und dort einerseits durch den guten alten Pioniergeist und andrerseits durch den Zusammenhalt der Familie alle Widrigkeiten übersteht. Das bietet eine perfekte Verknüpfung von Abenteuer-Elementen und Familien-Glück und -Problemen. Aber „Lost in Space“ alias „Space Family Robinson“ war noch mehr: die Verknüpfung zweier widersprüchlicher Impulse, Fluchtphantasie und Familientrost, Alltag und Abenteuer. Perfektes Fernsehen.

Die Ausgangssituation im Film ist ziemlich die gleiche wie in der Serie, nur ist alles um etliches düsterer, aggressiver und bedrohlicher geworden. Um die Menschheit vor einer bevorstehenden Katastrophe zu bewahren macht sich die Familie des Wissenschaftlers Dr. Robinson auf den Weg zu einem entfernten Planeten. Man will dort ein „Hypergate“ errichten, mit dessen Hilfe man die Menschheit vom ausgebluteten Planeten Erde evakuieren kann. Neben seiner Gattin wird Dr. Robinson von seinen beiden Töchtern – die eine schon selbst aufstrebende Wissenschaftlerin, die andere ganz aufmüpfiges Girl – und von seinem Sohn begleitet, der an geheimnisvollen Geräten herumbastelt und für den der Vater nie Zeit findet. Das Fliegerische besorgt ein junger Kampfpilot, dem zunächst die ganze Mission als Picknick-Ausflug in den Weltraum erscheint und der sich vor allem für die ältere Robinson-Tochter interessiert. Ein Verschwörer bringt das Schiff vom Kurs ab und hätte beinahe durch den umprogrammierten Roboter Mannschaft und Schiff vernichtet. Es beginnt eine Odyssee durch verschiedene Welten und eine Kette von abenteuerlichen Geschehnissen, in denen es einerseits immer darum geht, das Leben der Familie zu retten, und andrerseits um die große Mission, die Suche nach der neuen Heimat für die Menschen.

Die ganze Konstellation der Geschichte wird im ersten Drittel des Films entwickelt, der wie ein Pilotfilm wirkt. Ein bisschen sorgfältiger geschrieben, besser ausgestattet als die folgenden Kapitel und mit vielversprechendem Tempo inszeniert. Beinahe in jeder Einstellung gibt es einen neuen visuellen Aspekt zu bestaunen, ebenso wie die Helden kommt auch die Kamera keine Sekunde zur Ruhe. Man könnte sich, ein Faible für derartige Bildwelten vorausgesetzt, gut amüsieren, wären da nicht schon die Ansätze jener amerikanischen Familienseligkeit, der es nicht genügt, daß die Familie als allheilende gesellschaftliche Kraft gezeigt wird, sie muss auch beständig und wortreich beredet werden. Das zweite ist die in amerikanischen SF-Filmen offenbar unvermeidliche Feier militärischer Technik und kriegerischer junger Menschen, die mit Begeisterung Feuerknöpfe drücken und irgend etwas Gegnerisches „auslöschen“.

Nach diesem ersten Drittel nimmt der Film spürbar das Tempo aus dem Geschehen. Die visuellen Effekte werden einfacher, die Dialog-Anteile der Handlung größer, und mit dem Auftauchen eines komisch-niedlichen (computergenerierten) Weltraumäffchens verliert sich auch der anfängliche ernsthaft düstere Ton. Kurz: wir sind gleichsam vom Pilotfilm in die einzelnen Folgen einer SF-Serie gewechselt. Die erste handelt von einer kaputten alten Raumstation, an die die Jupiter 2 andockt. Dort wird die Crew von einer unübersehbaren Horde von Alien-Spinnen angegriffen. Vor ihnen rettet man besagtes Weltraumäffchen. Es wird ein wenig Alien-Atmosphäre geschaffen, Suspense entsteht überdies, weil der Schurke beständig Fluchtversuche unternimmt oder die Familie zu manipulieren versucht. Nun ist man schon in den Niederungen der gewohnten SF-Trivia angelangt. Im letzten Drittel aber geht es wirklich dahin. Man landet auf einem Eisplaneten, auf dem sich eine „Zeitblase“ befindet. Die Sache ist so verwirrend, dass sich der Film nach dem geforderten Selbstopfer lieber wieder seiner Weltraumdüserei zuwendet. Doch auch nach Überstehen dieser Episode ist keine Geschichte zu Ende erzählt, nicht einmal ein Kapitel. Es könnte (und wird vermutlich) noch lange so weitergehen …

Für den Film nehmen die Unverfrorenheit seiner Phantasie, das schiere Tempo seiner Erzählung und die sporadischen Anfälle von Selbstironie ein, etwa wenn wir das spärlich beleuchtete Raumschiff auf dem fernen Planeten sehen und, während die Kamera sich sacht entfernt, die Schlußsequenz jeder Folge von „Die Waltons“ („Gute Nacht, Pa“, „Gute Nacht, John“ …) parodiert wird. Das Genre, so scheint’s, hat in all seiner technischen Gigantomanie auch einen Hauch seiner verlorenen Unschuld wiedergefunden. Ungeniert werden die apokalyptischen, die heroischen und die evasiven Aspekte der Science-fiction durcheinander geschüttelt. Andrerseits aber geht man mit einer gewissen Unzufriedenheit aus dem Kino. 122 Minuten lang war mächtig was los, aber nichts hat sich eigentlich entwickelt; der Plot hat sich von einem stringenten (wenn auch nun eben nicht hyper-originellen) Beginn zu vollständiger Beliebigkeit hin entwickelt. Was den Drehbuchautoren als nächstes einfallen wird, mag noch ein paar Weltraumblasen werfen, zur Sache aber tut es fast nichts. Man weiß: die Geschichte ist nicht dann zu Ende, wenn sie zu Ende erzählt ist, sondern dann, wenn die Mediadaten nicht mehr stimmen. Ich weiß nicht, ob wir soviel Fernsehen im Cineplex wirklich wollen.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film