Was Leni Riefenstahl anbelangt, so haben wir uns an eine prekäre Doppelstrategie gewöhnt, sie zugleich ästhetisch zu retten und politisch zu verdammen. Die Beharrlichkeit und, sagen wir es ruhig, sture Dummheit ihrer Schuldverdrängung macht uns dabei ein wenig hilflos, Leni Riefenstahl kann als Zeugin in eigener Sache nur sehr bedingt dienen. Zu den zentralen Fragen nach dem Zusammenhang von Kunst und Politik vorzudringen, ist bei ihr nicht möglich. Was aber können wir dann in ihr finden? Als Modell deutscher Verdrängungskunst, in der sich noch allemal die Täter als Opfer gerieren, ist sie peinvoll deutlich und verstellt damit den Blick auf das, was ihre Filme für die Entwicklung des Mediums leisteten. Jeder Blick auf die Künstlerin indes läßt sich nicht trennen vom Wirken und-Fortwirken einer faschistischen Mythologie und Formenwelt, die nicht besser wird dadurch, dass ihre Urheberin beharrlich alles darin verleugnet, was „Aussage“ sein muss. Denn tatsächlich gibt es in ihrer Arbeit keine faschistischen Gedanken; sie entsteht aus ihrem wirklichen Blick, der von sich nichts wissen will.

Leni Riefenstahl zu porträtieren ist unter diesen Voraussetzungen ein mehr oder weniger unmögliches Unterfangen; der Mut von Ray Müller besteht vielleicht darin, daß er sich dieser Unmöglichkeit bis zu einem gewissen Grad bewußt ist. Was wir indes zu sehen bekommen, ist ein Spiel von Macht und Verführung. Ein Objekt der Beobachtung namens Leni Riefenstahl widersetzt sich der Befragung, das eine Mal mit Gewalt, das andere Mal mit Verstellung, sie versucht hier, den Film für sich zu benutzen, dort, ihn zu zerstören, wo sie die Kontrolle zu verlieren droht. Der Filmemacher versucht es mit Beharrlichkeit, mit Freundlichkeit, mit dem Rollenspiel eines aufmerksamen „Sohnes“ oder Schülers; er will sozusagen mit allen Mitteln Leni Riefenstahl zum Sprechen bringen, aber ihr Panzer ist nicht zu knacken, ihre Denkfiguren – es ging ihr nur um Kunst, nie um Politik; sie hat von nichts etwas gewusst, und die immer irgendwie lüstern erscheinenden Angriffe der Nazi-Größen (man erinnere sich an ihr Memoiren genanntes Meisterwerk der Selbstverkitschung) tapfer abgewehrt; sie selbst wurde Opfer übler Verleumdungen in der Nachkriegszeit – wiederholen sich nur immer wieder in neuer Form. Ein wenig weich und offen wird sie nur, wenn sie vom technischen und ästhetischen Gelingen ihrer Aufnahmen spricht, aber selbst in den Bewegungen in solchen Situationen spüren wir noch die Selbstinszenierung. Wir glauben einem ihrer früheren Mitarbeiter, wenn er erzählt, dass Leni Riefenstahl auf Kommando heulen konnte, wenn sie damit etwas erreichen wollte.

Der Film ist also mehrfach zu sehen, zum einen als Versuch, eine Künstlerin durch die Konfrontation mit ihrem Leben und ihrem Werk zu so etwas wie einer Selbsterkenntnis zu führen und, weil das scheitern muss, immerhin den Zuschauern die Brüche und Widersprüche zu verdeutlichen; das Porträt einer älteren Dame im Umgang mit einem Medium und in Konfrontation mit einem jungen Mann, der Mühe hat, Bewunderung und Kritik in eine eigene Haltung zu bringen, und schließlich als einen Versuch über den Riefenstahl-Touch. Aber im Fragmentarischen dieser Darstellung aus Interviews, Werkausschnitten und Zeitdokumenten entsteht vor allem das Bild eines gescheiterten Dialoges und einer gescheiterten Aufklärung. Die Portraitierte spielt mit dem Widerspruch der Abbildung zwischen Respekt und Anklage, sie produziert auch in diesem Film über sie das eigene Bild. So macht sie ihr Film-Bild zumindest zum ästhetischen Selbstbedienungsladen; man mag sich, wie ich selbst, von der schnarrenden Stimme, dem maskenhaften Gesicht und den herrschsüchtigen Gebärden seine herzhafte, durchaus persönliche Antipathie ebenso bestätigen lassen wie man sich andererseits wohlig in allerlei Nostalgisches flüchten kann. Leni Riefenstahl hat über sich, ihre Arbeit und den Faschismus nichts zu sagen, weil es weder in ihrer Person noch in ihren Filmen jene Tiefe gibt, in die man tauchen könnte, um etwas Verborgenes ans Licht zu fördern: Die reine Oberfläche ist schon die Aussage, ihre Männerkörper und Heldenbilder, ihre Ornamente von Massen und Formen, ihre Raumerfahrungen und -ordnungen sind so tautologisch und imperativisch wie ihre Aussagen, sie lassen nichts anderes zu, weisen auf nichts anderes als sich selbst, schließen alles andere aus. Jedes Bild und jeder Satz von Leni Riefenstahl ist eine Gewalttat, die vollständige Ersetzung der organischen Welt durch die kriegerische Pose.

Müllers Film weist daher vor allem darauf hin, wie fragwürdig unser Leni-Riefenstahl-Mythos ist; Leni Riefenstahl zugleich zu verehren und zu verdammen, erweist sich angesichts einer vollständig tautologischen Gestalt als unmöglich. Leni Riefenstahl ist sich, als Mensch und Künstlerin, auch darin treu geblieben, daß es für sie das Widersprüchliche nicht gibt; es ist immer nur das gewaltsam geschaffene Eine, worauf alles hinzielen muß, das Bild, das keine anderen Bilder neben sich haben kann, der Satz, der jeden Widerspruch ausschließt. Die von durchaus seltsamen Allianzen gebildete Leni-Riefenstahl-Renaissance der letzten Jahre hat fast so etwas wie einen kulturellen Druck geschaffen, etwas „Schönes“ in ihrer Bildwelt zu entdecken. Ihre Filme sind aus der Geschichte des Kinos und aus der Geschichte der Wahrnehmung nicht wegzudenken. Das ist alles, das ist schlimm genug, und das müßte der Beginn einer anderen Auseinandersetzung damit sein, wie wir sehen, wie wir uns die Überwältigung des Blickes, die masochistische Unterwerfung unter die Macht der Kamera, gefallen lassen, und mit wieviel Faschismus wir in unserer Ästhetik leben müssen.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in  epd film