Biografische Filme über Künstler wie Rembrandt, van Gogh oder Toulouse-Lautrec finden sich in allen Epochen der Filmgeschichte. Rembrandts Leben ist z.B. 1937 von Alexander Korda mit Charles Laughton verfilmt worden, 1942 im „Dritten Reich“ von Hans Steinhoff mit Ewald Balser, schließlich 1977 von Jos Stelling. Nun wagt Charles Matton einen neuen Versuch: Klaus Maria Brandauer spielt den Künstler.

Es gibt nicht nur gute und schlechte Kunst. Es gibt noch etwas Drittes, etwas, das rätselhaft ist wie der Urgrund des Seins, etwas mit dem sich jemand wie Henri Bergson prächtig herumgeschlagen hat: das Neue.

Das Neue an Rembrandt – sieht man einmal von der Veränderung der politischen Ökonomie der Malerei in der Gesellschaft der „bilderfeindlichen“ Reformation ab und die Verlagerung der Aufträge vom Adel auf das Bürgertum – ist nicht nur sein genauer Blick, es ist die vollständig neue Grammatik der künstlerischen Wahrheit. Sie liegt für ihn nicht mehr in der göttlichen Ordnung und in der Harmonie der Welt durch die Struktur der weltlichen und geistlichen Herrschaft, nicht einmal in einer Balance der Natur: Sie liegt im Wesen der Dinge selbst, im Blick, in der Bewegung, im Körper, im Fleisch. Und, wie im Kino, darin, was ans Licht kommt und was im Dunkeln bleibt. Das ist, weiß der Himmel, ein Skandal, auch wenn es in diesem 17. Jahrhundert, das eines der Vernunft werden wollte, keinen Diskurs dafür geben konnte.

Merkwürdigerweise scheint es kaum etwas Schwierigeres zu geben als eine halbwegs angemessene Darstellung bildender Kunst im Kino. Wenn hier schon das „authentische“ Kunstwerk, allein durch seine Reproduziertheit, durch die Konventionen von Einstellung und Beleuchtung im Kino, durch den melodramatischen Kontext schließlich, so leicht seine Würde verliert – um wieviel schneller geschieht dies mit den Kunst-Imitationen für das Kino, mit seinen fürsorglichen Fälschungen! Im Spielfilm ist die Kunst der Biografie untergeordnet, oder, um es etwas komplizierter zu sagen: Gerade die Autonomie (zum Beispiel) der Malerei (die der Rembrandt dieses Films zu recht betont) ist in der Blick-Grammatik des Spielfilms verloren. Das Kunstwerk kann in diesem Zusammenhang nur noch bezeichnendes Objekt sein, der McGuffin einer Subjekt-Krise. Der Ausweg – sieht man einmal von einer sehr vorsichtigen Zitattechnik ab – kann nur in der Entscheidung des Films liegen, sich selbst zur Kunst hin zu entwickeln (mit vorhersehbaren ökonomischen Folgen) oder sich offen zum Kitsch zu bekennen.

Kitsch ist beileibe nicht die schlechteste Lösung für die Kunst im Kino. Dieser Rembrandt-Film des Filmemachers, Malers und Bildhauers Charles Matton imitiert Rembrandt bis hin zu einer merkwürdigen Form der Verschmelzung. Der Regisseur hat in die Reproduktionen einiger der berühmten Werke die Züge der Darsteller einkopieren lassen, und umgekehrt will die Inszenierung immer einmal wieder auf das Nachstellen eines Rembrandt-Werkes als „lebendes Bild“ hinaus. Ob das funktioniert und ob es zu irgendwas Bemerkenswertem führt, sei einmal dahingestellt. Es verhindert jedenfalls eine intensivere Beschäftigung mit der Frage, inwieweit der Blick der Kamera Fortsetzung und Widerspruch zum Blick des Malers ist. Was dann bleibt, nebst einigen locker über das Script verstreuten Lebens- und Kunstweisheiten des Meisters, ist eine in schönen Farben und in Rembrandtscher Beleuchtung gestaltete Soap Opera über einen Mann, der raschen Erfolg in der aufstrebenden Handelsstadt Amsterdam hat, seine große Liebe findet und heiratet, der den Tod seiner Kinder und schließlich den seiner Frau verkraften muss, der von einem mächtigen Gegenspieler bekämpft, von einstigen Freunden verlassen, in der Öffentlichkeit gedemütigt wird, der dennoch unbeirrt weiter arbeitet, auch nachdem man ihm alles genommen hat, das Leben und die Liebe liebt, und der dann schließlich doch zerbricht, nach dem Tod seiner späten Liebe und seines Sohnes. Eine traurige Geschichte, die eigentlich auf nichts hinauswill, außer dass das Leben so lange irgendwie weitergeht, wie man es aushält.

Die Bilder dieses Filmes sind schön, und dass dies in diesem Zusammenhang „schön kitschig“ meint, ist nicht als Kritik gedacht. Auch ansonsten gibt es durchaus Positives zu vermerken: Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle agiert diszipliniert und zurückhaltend, die übrigen Schauspieler sind durchweg kompetent und wohlüberlegt eingesetzt. Überall, von der Maske bis zum Design, merkt man dem Film die Liebe zum Detail an, und immer wieder gibt es Einstellungen, in denen ein bisschen mehr geschieht als bloße Nacherzählung. Aber soviel der Regisseur auch von Bildern verstehen mag und so sehr er einen Bühnenraum visuell zu beherrschen vermag, so wenig scheint ihm doch das Filmische selbst zu liegen: Unglücklich die mehrfach unterbrochene Rückblenden-Technik, die uns die Geschichte allzu sehr vom tristen Ende her und damit höchst fatalistisch aufzwingt; unglücklich die kaum motivierten Perspektivwechsel, durch die am Ende noch die Erzählerfunktion vom Maler auf die Tochter Claudia übergeht, ohne dass dadurch irgend etwas Neues zu erfahren wäre; unglücklich eine Montage, die die theaterhafte Inszenierung noch durch ihre lineare Logik unterstreicht; unglücklich eine Erzählweise, die beinahe vollständig auf das äußere Geschehen reduziert ist und dabei von Schicksalsschlag zu Schicksalsschlag eilt, als gelte es, ein Serienformat zu füllen; unglücklich, damit verbunden, das Verschenken jener raren Szenen, in denen die Überschreitung des Nachspielens einer Künstlerbiografie möglich scheint, in denen, vielleicht, beider Versprechen, das Rembrandts und das des Kinos, nach einem eigenen Leben der Bilder auf der Leinwand einlösbar erscheint.

Am unglücklichsten aber ist wohl der Mangel an dramaturgischer Raffinesse und vor allem an Timing. Es gibt keine Tempowechsel, keine Höhepunkte und keine Phasen der Ruhe. Und auch die historischen Ungenauigkeiten, die sich ein Film durchaus erlauben darf, wenn er weiß, wozu, scheinen nun auf die Ungenauigkeit der filmischen Erzählweise zurückzuweisen. Die Pest-Metapher macht aus Rembrandts Zeit eine mehr mittelalterliche als sie verdient, und in der nicht sehr fairen Zeichnung des Dr. Nicolaes Tulp (obschon eine Paraderolle für Jean Rochefort) erschafft sich der Film denn doch allzu wohlfeil seinen Schurken. Rembrandt war nicht, wie uns der Film suggerieren möchte, der einzige „moderne“ Mensch in einer hoffnungslos zurückbleibenden und bornierten Welt. Im Gegenteil: Der Künstler spielte sein Spiel in einem Ineinander und Durcheinander verschiedener Impulse der Modernisierung. Etwas von diesem Umbruch zu zeigen (vielleicht sogar als gar nicht so ferne Spiegelung dessen, was wir selbst zu dieser Jahrtausendwende erleben), das freilich hätte die Sache spannend gemacht.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in  epd film 5/2001