Die Marx Brothers im Vatikan? Schlimmer. Der anmaßende Renzo Arbore bringt einen Stab von mehr oder weniger talentierten Medienfreaks zusammen, um im Auftrag des Papstes ein Fernsehprogramm zu gestalten. Da ist unter anderem der traumtänzerische Roberto Benigni, Isabella Rossellini, die mit gutem Appetit isst (in der ungefähr zwanzigsten komischen Version des letzten Abendmahls) und ansonsten vollauf damit beschäftigt ist, sie selber zu sein, ein Tuntentrio (was folgerichtig den Engelschor geben darf), ein PR-Mann, der gleichzeitig Schlagzeug spielt, sich dabei aber von den tödlichen Fliegen des Vatikans bedroht fühlt.

Während sie eine konforme Show auf die Beine zu stellen versuchen, geraten sie einer anderen, viel größeren Show in die Quere, und während sie ihre lächerlichen Intrigen ausfechten (Benigni telefoniert andauernd mit seiner Mutter, die ihn davor warnt, dass Arbore ihn wieder mal reinlegen wird – was natürlich auch passiert), geraten sie noch viel lächerlicheren Intrigen in die Quere. Da der Papst sich des öfteren Salz statt Zucker in den Kaffee praktiziert, wird unter Anleitung von niemand anderem als Kardinal Richelieu (ein trefflich alle Macht und Verschwörung parodierender Luciano De Crescenzo) das Unfehlbarkeitsdogma neu interpretiert. Ein schwarzes Quartett begleitet den Fortgang der „Handlung“ mit Gesang, es tritt der Summchor von Neapel auf, Benigni korrigiert, sehr marxistisch, die Fresken der Sixtinischen Kapelle, denunziert Arbore bei Richelieu (er raucht Haschisch, nimmt die Pille, ein paar Tropfen Essig und Öl, aber das ist ja normal) und schmeißt eine Quizshow, beim Verlesen einer Katastrophennachricht lacht der Nachrichtensprecher, weil es sich bei den Opfern nur um Moslems gehandelt hat (und er hat die angewidertste Art, „Bollllschewiki“ zu sagen). Unterdessen treibt der Papst seinen Italienisch-Lehrer und Don Gabriele (der seinem Namen Ehre zu machen versucht) seine Umwelt durch seinen toskanischen Dialekt zur Verzweiflung.

Das gibt nur einen ausgesprochen unvollständigen Eindruck von dem, was in diesem Film passiert oder auch nicht passiert, denn in vielen Fällen ist es mit Andeutungen und kleinen Zitaten schon genug. Dabei gibt es kaum so etwas wie gezielte „kabarettistische“ Angriffe: Die Begegnung der beiden Systeme Fernsehen und Vatikan ist strukturell komisch, und darüber hinaus benutzen die Beteiligten beide Konventionen als Spielmaterial für ihren individuellen Witz. Dieser Witz, so unterschiedlich ihn die einzelnen Darsteller realisieren, ist zugleich albern und philosophisch, vulgär und ungemein verfeinert.

Bei genauerem Hinsehen gibt es auch so etwas wie ein Thema des Films. Was auf der einen Ebene eine Veralberung des Vatikans, der weltlichen Seite alles religiösen Geschehens ist und auf der zweiten Ebene eine Veralberung der allgegenwärtigen, dummen und lauten Fernsehshows, deren Vitalität – anders als bei uns – freilich darin besteht, daß ihnen nichts heilig ist und dass sie (Beispiel Celentano) auch politische Brisanz bergen, hat noch eine verborgene dritte Ebene. Auf dieser entwickelt sich ein komischer, aber ziemlich tiefgehender Essay über den Verrat. In TELE VATICANO ist jeder jeden zu verraten gezwungen, und zugleich kann sich jeder in jede Rolle drängen. Es ist nicht länger von Belang, ob man den echten Papst oder ein Double vor sich hat. In Benignis genialen gebrabbelten Phantasien tauchen immer wieder Lösungen oder Ziele auf, die gar keine sind. Er hat, wie auch in Jim Jarmuschs COFFEE AND CIGARETTES, als Antwort auf die Probleme stets den Schritt ins Absurde zu bieten. Man könnte auch sagen (und vermutlich wäre Luciano De Crescenzo damit einverstanden), dass die Philosophie dort am meisten taugt, wo sie dem Menschen in seiner Absurdität, in seinen unlösbaren Widersprüchen beisteht. Der pausenlose Verrat, der der Komik hier und dort etwas Melancholisches gibt, ist eigentlich doch nicht weiter tragisch, weil der „linke“ Verrat (z.B. der Benignis an Gramsci) ebenso „natürlich“ erfolgt wie der „rechte“ Verrat (der Verrat der Kirche an die Medien etwa). In dem entstehenden Chaos ist weniger ideologische Festigkeit als (wissenschaftliche) Phantasie gefragt. In TELE VATICANO unterwandern nicht etwa ein paar anmaßende Anarchisten den Vatikan, vielmehr unterwandern Menschen ihre jeweiligen Maschinen. Dazu gehört dann auch die Maschine Kino. In einer übrigens sehr poetischen Szene spielt Benigni mit einem Bildausschnitt (der Balkon zum Petersplatz, wo der Papst seine Ansprachen zu halten pflegt); er greift hinein, verrätselt ihn und erntet für eine Mikrophonprobe tosenden Beifall. Das Medium repräsentiert die Macht und fordert den Verrat (oder anders ausgedrückt: der Verrat ist das Medium des Fortschritts): aber es ist nicht in der Lage, dem denkenden. gestaltenden und sprechenden Menschen zu widerstehen. (Wie nicht anders zu erwarten – ist dies auch eine Komödie über die Sprache, über ihren Verlust und ihre Wiedergewinnung.)

Der Film war in Italien wegen „Missachtung der Religion“ eine Zeitlang verboten. Dafür gibt es nur zwei mögliche Ursachen. Entweder haben die Zensoren ihn überhaupt nicht oder sie haben ihn zu gut verstanden. Der Papst jedenfalls erscheint in diesem Film als eher sympathischer Mann, der auch nur eine Rolle spielt, so wie alle anderen auch und der ebenso wie die anderen seine kleinen Betrügereien begehen muss, um in seinem Apparat zu überleben. Wirklich blasphemisch wird der Film nur gegenüber dem Fernsehen, dessen Ansprüche schon selbst religiös zu werden beginnen (ein Phänomen, das 1980, als der Film entstand, beunruhigt zur Kenntnis genommen wurde).

Nicht alles – und schon gar nicht konkrete politische Anspielungen – ist in die deutsche Übertragung zu retten. Aber vier Fünftel reichen, um einen gutgelaunten, jetzt schon wieder fast ein wenig antiquierten philosophischen Essay über Verrat, Macht und Struktur im Gewand einer anarchischen cineastischen Nummernrevue zu genießen. Eine Hommage an die Marx-Brothers: Groucho, Chico, Harpo und Carlo Marx.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht  in epd Film 1/88