Warteschleife des Krieges

Jarhead – das ist der Slang-Ausdruck für einen Soldaten der amerikanischen Marines. Entstanden ist er, weil irgend jemand die Ähnlichkeit der kahlgeschorenen Köpfe mit einem Schraubglas aufgefallen ist. Und wie ein Schraubglas, so empfindet es der Held dieser ungewöhnlichen Kriegsgeschichte, funktionieren die Köpfe von ihm und seinen Kollegen tatsächlich: Ein leeres Gefäß, in das man nichts anderes als Befehl, Gehorsam und Aggression füllt. Und wie die Köpfe geleert werden, das zeigt der Film des britischen Regisseurs Sam Mendes in deutlichen Bildern der Ausbildung, wie wir sie seit Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ kennen: Durch einen demütigenden, obszönen und gewalttätigen Drill, der die jungen Persönlichkeiten auseinandernimmt und als menschliche Kampfmaschinen wieder zusammensetzt. „Uns allen wurde einmal beigebracht: Du sollst nicht töten“, erklärt einer der Ausbilder, und er fährt fort. „Ich aber sage euch: Vergesst diesen Scheiß!“.

„Jarhead“ schildert, nach einem höchst erfolgreichen autobiografischen Buch, das Rekrutenleben im Irak-Krieg des Jahres 1990. Es gibt keine heroischen Kampfaktionen, kein „Stahlgewitter“, nichts von Opfer und Bewährung. Nur das eintönige Warten, die militärische Routine, die Fortsetzung der absurden, sadistisch-masochistischen Drill-Übungen, die sich in den rohen „Spielen“ der Männer fortsetzen. Es ist, sagt der Regisseur, kein Kriegsfilm, sondern ein Film über Soldaten.

Dabei ist der Film voller Anspielungen auf die Mythen und Medien des Krieges: Der Held ist der Sohn eines Vietnam-Veteranen, der nie ehrlich über seine Erfahrungen sprechen kann, und die Soldaten sehen sich einmal Francis Coppolas fantasmagorischen Kriegsfilm „Apocalypse Now“ an; natürlich wird die berühmte Szene des Hubschrauber-Angriffs zur Wagner-Musik zitiert. Und die Hauptfigur wird von seinem Ausbilder erwischt, wie er auf der Toilette Albert Camus’ „Der Fremde“ liest. Das kann man, wenn man will, als Anleitung zum Verständnis dieses Films benutzen. Aber „Jarhead“ ist auch ohne Existentialismus bestens zu verstehen.

Soldaten sind Menschen, die für den Krieg trainiert wurden, aber es sind doch auch immer noch, wenn es auch schwer zu erkennen und nicht sonderlich gewünscht wird: Menschen. Und das heißt auch, dass sie empfänglich sind für Bilder: „Jarhead“ zeigt, wie sich die Bilder in den Köpfen verwirren, und daraus entsteht eine sehr grimmige, satirisch treffende Komik. Einmal zum Beispiel sehen sich die Soldaten Michael Ciminos Kriegsfilm „Die durch die Hölle gehen“ auf Video an. Und plötzlich sind statt der Kampfhandlungen und Folterungen in Vietnam die Sexspiele der Ehefrau von einem der Soldaten zu sehen. Wie nahe sind sich Kriegsbilder und Pornographie. Ansonsten „passiert“ gar nicht viel; Leute, die auf die übliche Action des Genres warten, sind gelangweilt oder verstimmt. Aber gerade darum geht es. Krieg, das ist nicht nur Gewalt und Tod, das ist auch die Leere, die Angst, die sich immer nur Luft machen und sich Bilder suchen kann, die aber nie eingestanden werden darf, Krieg ist auch ein innerer Ruin der Menschen.

Jake Gyllenhaal, der als schwuler Cowboy in Ang Lees „Brokeback Mountain“ wohl endlich seinen Durchbruch als Schauspieler erlebte, gibt der Rolle des jungen Rekruten ein ganz eigenes Profil: Mit den großen Augen eines geborenen Träumers, zugleich Teil dieser Militärmaschine und befremdeter Beobachter, wird er Zeuge, wie durch Untätigkeit, Angst und Zweifel die Männer immer weiter in den Wahnsinn driften, bis sie am Ende zu Weihnachten beinahe ihr eigenes Lager in die Luft jagen. Der „richtige“ Krieg, der nur vier Tage dauert, und durch den die Jarheads endlich wieder in Bewegung geraten dürfen, scheint zunächst das Versprechen einer Erlösung. Lieber dem Tod ins Auge sehen als weiter zu Untätigkeit und Angst verdammt zu sein. Aber eben in diesem Augenblick wechselt der Regisseur auch radikal die Tonart. Aus dem teils amüsanten, teils grotesken Spiel mit Zitaten und Anspielungen wird bitterer Ernst. Verkohlte Leichen, verbrannte Gebäude, gespenstische Ruinen. Die Apokalypse jetzt.

Sam Mendes hat einen Film gedreht, der vielleicht gerade deswegen so viel über den Krieg und die Menschen in ihm zu erzählen hat, weil er sich weigert, ein Kriegsfilm zu werden. Besser kann man es derzeit kaum machen.

Autor: Georg Seeßlen

Text: veröffentlicht in filmspiegel 06/ 2006