Der böse Traum vom Westen

Ist der Western tot? Das Genre, das eine amerikanische Gründungslegende mit dem universalen Männermärchen verband? Die Helden sind abgewandert in Fantasiereiche oder Großstadtwildnis – die Zeichen von Amerikanertum und Männlichkeit, einst so lakonisch verbunden, sind komisch oder unerträglich geworden.
Aber erst nach dem Tod des Genres lässt sich die Geschichte Nordamerikas im 19. Jahrhundert wirklich erzählen. Mit einer »Renaissance« des Westerns hat das nichts zu tun.

Der erzählte von dem, was in diesem Land zu gewinnen war (Ordnung, Besitz und Familie). Der Spätwestern erzählt, was die weißen Männer in diesem Land verloren haben (nämlich gar nichts, einerseits, und andrerseits: die Würde, die Freiheit, das Leben). Der Post-Western aber erzählt, dass es nie etwas anderes zu gewinnen gab als Profit, Gewalt und Elend und nichts zu verlieren außer den Illusionen.

Im Kino tauchen Post-Western immer wieder auf, aber besser funktionieren sie in der avancierten Serienwelt des amerikanischen Kabelfernsehens, in der die größten Projekte der ästhetischen und politischen Revision entstehen. Eine davon ist Into the West aus dem Haus Dreamworks. Steven Spielberg hat sich da mit der Funktion eines Executive Producers beschieden, aber die neunstündige Miniserie trägt seine Handschrift. Es ist, wie könnte es bei ihm anders sein, eine Familiengeschichte. Es sind gut meinende, liberale, tapfere Menschen, die aufbrechen an die Grenze des Westens und der Zivilisation und die furchtbar scheitern. Es ist nicht die Natur, es sind Politik und Ökonomie, die die Menschen statt zu wahren Amerikanern zu Unholden werden lässt. Noch kein Western zuvor hat so deutlich gezeigt, was zum Vernichtungskrieg gegen die Prärie-Indianer führte: die Hasspredigten christlicher Fanatiker, der Landhunger der Siedler, die Profitgier der Eisenbahn- und MinenCompanies, das politische Kalkül, einer kranken Bürgerkriegsarmee eine neue, lösbare Aufgabe zu geben. Amerika hat seinen Traum im Westen verfehlt, sagt Into the West. Aber die Amerikaner aller Rassen und Klassen, die ihn verwirklichen können, sind in ihm unsterblich. Einmal mehr rettet Spielberg den Menschen vor seiner Geschichte.

Das kann man von der anderen großen Post-Western-Serie gewiss nicht sagen: Deadwood, die überraschend erfolgreiche, rabenfinstere Serie über die (historische) Stadt gleichen Namens, hat keine Helden mehr. Nur Menschen in unterschiedlichen Stadien des wirtschaftlichen Aufstiegs und des moralischen Verfalls. In Deadwood wird vor allem mit Menschen gehandelt, mit Prostituierten, Arbeitssklaven und mit Morden.

Die Getöteten werden, eines der starken Bilder dieser Serie, im Schweinestall entsorgt um sich die Beerdigungskosten zu sparen. Es ist der Kapitalismus in seiner bestialischen Form, der in Deadwood regiert. Keine Erlösung, nirgends.

Was aber macht den eigentümlichen Reiz von Deadwood aus? Da ist die Sprache der bösen Dialoge. Sie besteht einerseits aus »fuck«-durchsetzten Drohungen, auf der anderen Seite aber aus gedrechselten, mit mythologischen, literarischen und religiösen Anspielungen angereicherten Satzkaskaden voll hintergründiger Ironie.

Da ist die Musik: Jede Folge wird durch einen eigenen Folk-Blues-Song beendet – den Beginn macht Bob Dylan. Und schließlich sind da die Figuren, alle durchgearbeitet und voller poetischer und gewalttätiger Widersprüche. Man fühlt sich, paradoxerweise, irgendwie daheim in Deadwood.

 Georg Seesslen

Text veröffentlicht in Die  Zeit, 31.10.2007 Nr. 54