Der Kaputtmacher

Einstürzende Neubauten, Patriotismus und Opferbereitschaft: Roland Emmerich lässt in seinem neuen Film „2012“ mal wieder die Welt untergehen

2012.600

Weltuntergangskino ist perfektes Krisenkino. Seine Höhepunkte entstehen immer dann, wenn nichts mehr voranzugehen scheint und die Traumfabrik gerade keine Ideen, keine Hoffnungen und keine Talente erzeugt. Katastrophenfilme sind dabei auch praktisch: Das Kino zeigt, was es technisch gerade kann und kehrt zugleich an seine Jahrmarkt-Wurzeln zurück. Es ist zugleich modern und altmodisch, spektakulär und verlässlich, von kindischer Lust und moralischem Eifer beseelt.

Im Event-Kino der letzten Jahre ist der Weltuntergang eine Mischung aus Leistungsschau der Computereffekte und esoterischer Verschwörungsfantasie. Dieses Jahr begann mit Knowing – da findet ein Physiker Zahlencodes, mit denen man die globalen Katastrophen der nächsten Zeit voraussagen kann. Es folgte das Remake von Der Tag, an dem die Erde still stand, mit Keanu Reeves als messianischem Besucher aus dem All, der den Menschen mit ein paar Katastrophenwarnungen etwas mehr Respekt für die Natur und den Frieden beibringt. Und es endet mit Roland Emmerichs 2012: Hier sollen der Maya-Kalender und eine besondere Planetenkonstellation für das Ende der Welt durch zerbrechende Erdplatten, einschließlich Polverschiebung verantwortlich sein. All diesen Filmen gemeinsam ist, dass sie mit den real existierenden Bedrohungen unserer Zeit nicht einmal mehr indirekt zu tun haben. Statt Einsicht in den Stand der Dinge bieten sie eine verschwurbelte Art von Glauben, Familienglück und positivem Denken als Lösung an.

Der deutsche Regisseur Emmerich ist der Prophet des garantiert gedankenfreien disaster movie. Schon sein erster Film aus dem Jahr 1984, Das Arche Noah Prinzip (Amerikanische Weltraumstation manipuliert das Wetter auf der Erde, was nicht gut gehen kann), sein Abschlusswerk für die Münchner Filmhochschule, kümmerte sich um Spezialeffekte und Ausstattung wesentlich mehr als um Originalität. Lange hielt es Emmerich denn auch nicht in Deutschland, seine nächsten Filme waren vor allem Bewerbungsarbeiten für Hollywood. Und weil er dabei gern in seiner Heimat Sindelfingen in einer alten Fabrikhalle drehte, wo er vor allem an kostengünstigen Effekten arbeitete, und weil er sich in seinen Motiven gern bei seinem Vorbild bediente, hatte er bald einen nur teilweise nett gemeinten Spitznamen weg: „das Spielbergle aus Schwaben“.

In Hollywood reüssierte Emmerich mit einigen Tugenden, die dort nicht selbstverständlich sind. Dieser Regisseur verstand sich darauf, Filme teurer aussehen zu lassen, als sie wirklich waren, bewies als Fleißarbeiter, dass man Budgets und Drehpläne auch unterschreiten konnte, und arbeitete mit effizienten, stabilen Teams aus deutschen und amerikanischen Mitgliedern. Offensichtlich verstand er es, mit einer Mischung aus Kinofutter für die Zehnjährigen (in uns), geschickt eingesetzten Schauwerten und einer geballten Ladung von Patriotismus, Bigotterie und Nostalgie das Publikum ins Kino zurückzuholen, für das Ambiguität, Ironie  und tiefere Bedeutung im Multiplex nichts verloren haben. Seine nationalen Liebeserklärungen und Männerfantasien verpackte Emmerich am liebsten in Monster- und Katastrophenszenarien. Die Zehnjährigen liebten es, und die Kritiker auf beiden Seiten des Ozeans höhnten über Logiklöcher, schwache Charakterzeichnung und dünne Dramaturgie.

Emmerich blieb ein totaler Filmemacher, der immer auch seine eigenen Drehbücher entwickelte – die Klopperei genmanipulierter Kampfmänner in Universal Soldier, der Flaggenschwenker Der Patriot, der von Erich von Däniken inspirierte Science-Fiction-Film Stargate, die markige Alien-Abwehr durch den Kampfpiloten-Präsidenten in Independence Day, die Kaputtmach-Spektakel Godzilla und The Day After Tomorrow und nun 2012. Alle Filme bekamen katastrophale Kritiken und erzielten grandiose Einspielergebnisse. Vielleicht muss man von außen kommen, um in Hollywood so fundamental „naiv“ zu arbeiten.

Aber, ehrlich gesagt: 2012 ist nicht so naiv. Es ist vor allem ein dummer Film – und eine brachiale Anthologie des kinematografischen Desasters. In der Geschichte eines erfolglosen Schundromanproduzenten und gescheiterten Ehemanns, der um seine Familie zu retten, in der Apokalypse zum Helden wird, gibt es Erdbeben, Flutwellen, Flugzeugabstürze, Schiffsuntergänge, Feuerbälle, einstürzende Neubauten. Und auf der anderen Seite Familie, Durchhaltewillen, Patriotismus und Opferbereitschaft. Dazwischen gewohnte Medienbilder: korrupte Politiker, russische Gangstermillionäre, verwöhnte, dicke Kinder, Verschwörungen, unglückliche Patchworkfamilien und Stretchlimousinen. Dumm sind die pathetischen Dialoge, dumm ist die Konstruktion von Weltenbrand und Familiengeschichte. Als müsste erst die Welt untergehen, damit ein richtiger Vater zu seiner richtigen Familie zurückkehren kann (der Stiefvater, der sich mit chirurgischen Brustvergrößerungen an den traurigen Huren von russischen Mafiosi ohnehin disqualifiziert hat, wird dabei leichthin geopfert). Und als müssten Feuer und Wasser über die Welt kommen, damit das siebenjährige Mädchen vom Bettnässen geheilt wird. Besonders dumm aber ist, was dieser Film an Ideologie und, nun ja, Moral zu bieten hat.

Wie Steven Spielberg versieht auch Emmerich sein Popcorn-Kino immer mit „Botschaften“; doch es sind genau die gegenteiligen. Bei Spielberg geht es, wenn man seine Filme genauer ansieht, um die Anstrengung des Menschen, auf das Opfer zu verzichten, sie sind ebenso antimessianisch wie im klassischen Sinne „liberal“. Auch in Spielbergs Filmen mag es um die Rettung der amerikanischen Familie gehen, um Heilung und Versöhnung durch traumatisierende Erfahrungen. Aber bei Spielberg wird immer nach dem Weg der Person gefragt. Sein Indiana Jones muss sich für das Leben und gegen den Heiligen Gral entscheiden. Seine Offenbarungen aus dem All lassen stets selbstverantwortliche Menschen zurück, seine Antwort ist die Entwicklung der Zivilgesellschaft. Jeder Film von Steven Spielberg beschreibt einen Schritt des Menschwerdens.

Bei Emmerich dagegen ist das Opfer immer unausweichlich, stehen mindestens in der zweiten Reihe militarisierte Helden, muss der versoffene Vietnamveteran in Independence Day sich opfern, damit man seinen Kindern sagen kann, „er starb für uns alle“, ist Danny Glovers Präsident in 2012 ein gütiger „großer Vater“, der am Ende mit seinen Kindern stirbt. Katastrophen erzeugen bei Emmerich eine neue Einheit aus Familie und Männerbund. Wenn Spielberg den Zehnjährigen (in uns) ein wenig beim Erwachsenwerden hilft, dann hilft Emmerich aller Welt, wieder und möglicherweise endgültig, zehnjährig zu werden.

Aber es gibt natürlich auch etwas Gutes in Emmerich-Filmen. Sie machen letztlich keine Angst: Mögen die Computereffekte, für sich genommen, stets zu überwältigen, erreichen sie mit den realen Aufnahmen nie eine glaubwürdige Einheit. Die Gaudi an Emmerich-Filmen besteht vielleicht gerade darin, dass die vollständige Hingabe an das Geschehen gar nicht stattfindet. Auch in 2012 geht mitnichten die Welt unter, es sieht vielmehr so aus, als würde der Zehnjährige seine Modelleisenbahn oder sein Legoland kaputtmachen, um sich anschließend in einem Computerspiel zu verlieren.

Vielleicht sind es zwei unterschiedliche biografische Reflexe, die bei Hollywoods  erfolgreichsten Weltenvernichtern zu einem so unterschiedlichen Gebrauch der Maschine Kino führen: Steven Spielberg, das jüdische Scheidungskind aus Arizona, das die Erfahrungen von Ausschluss und Verlust bearbeitet, versuchte, das Leben in kindlichen Tagträumen und ureigenen Erfindungen fortzusetzen, um in der Welt zu bleiben. Roland Emmerich aus der protestantischen Autostadt Obertürkheim ist dagegen auf das Ethos der tüchtigen Beherrschung ausgerichtet. Hier soll man alles Mögliche produzieren, nur nicht sich selbst. Seine Entscheidung, um keinen Preis „Autorenfilmer“ zu werden (die sich für Spielberg nie gestellt hat), hängt möglicherweise mit dem Ideal zusammen, in der erfolgreichen Arbeit als Person zu verschwinden.

Während also Spielberg in beinahe allem, was er tut, eine magische Autobiografie schreibt, ist Roland Emmerich, wie es scheint, immer bestrebt, in seinen Filmen zwar zu zeigen, was er kann, aber möglichst nichts von sich selbst preiszugeben. Er ist der Drehbuchautor und Regisseur, der in seinen Filmen nicht „Ich“ sagen kann und es wohl auch nicht möchte. Nicht einmal nebenbei und aus Versehen. So sprechen seine Figuren mit fremden Stimmen, sind Charaktere nur Rollenzitate, Handlungen nur Mechanismen, aktuelle Anspielungen nur Zeitungsfetzen, moralische Botschaften nur ideologischer Konsens. Bei Emmerich erleben wir Weltuntergänge ohne filmisches Subjekt. Das ist ideales globales Popcorn-Kino: Staunen, ohne berührt zu werden. Figuren, die so wenig Tiefe haben, dass man schon nicht mehr um sie trauert, wenn sie nicht mehr im Bild sind.

Schlimme Träume macht das wohl kaum jemandem. Es ist aber auch eine furchtbare Vorstellung, dass die Apokalypse über Leute kommt, die jede Ähnlichkeit mit echten Menschen leugnen.

 

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in DIE ZEIT, 12.11.2009 Nr. 47

Bild: © 2009 Sony Pictures Releasing GmbH