„In meinem Zimmer stand das Bett hier, der Schrank dort und der Tisch dazwischen. Bis mir das langweilig wurde. Ich rückte das Bett dorthin und den Schrank hierher. Eine Weile spürte ich die belebende Strömung des Neuen. Doch nach geraumer Zeit – wieder Langeweile. Ich gelangte zu dem Schluß, die Quelle der Langeweile sei der Tisch oder vielmehr seine unveränderte mittlere Stellung. Darum schob ich den Tisch dorthin und das Bett in die Mitte. Nonkonformistisch.“

So beginnt eine von Slawomir Mrozeks Satiren, und so fühle ich mich gelegentlich in Filmen wie diesem. In eine Zelle der Langeweile eingesperrt, ohne recht eigentlich den Grund für solche Strafe zu kennen, versuche ich die Innenausstattung des Films, während sich in ihm die Zeit zu verkehren scheint, umzumöblieren, hier verschiebe ich eine Perspektive, dort eine Bedeutung, und da noch, nonkonformistisch, wenn gar nichts mehr hilft, einen ästhetischen Verweis. Doch nach geraumer Zeit – wieder Langeweile.

So also frage ich mich, nachdem ich längst aufgegeben habe, mit Carl Schenkels Film ZWEI FRAUEN als etwas großem und ganzen umzugehen: Will uns dieser Film etwas über zwei Menschen erzählen, zwei junge Frauen an der Schwelle zu einem unzeitigen, unakzeptablen Tod? Aber nein, dann müßte er uns und ihnen doch die Chance lassen, in Augenblicken immerhin, die vorgeschriebenen Rollen zu durchbrechen, die Tänzerin, die soviel Leben in Kunst und Karriere investiert hat, daß ihr jetzt fast alles davon fehlt, die aber zu Kampf und Würde begabt und obendrein mit einem ungeheuer mitleidenden und verstehenden Elternpaar gesegnet ist, und die proletarische Göre, die gegen ihr Schicksal protestiert, um sich schlägt, mit schrecklicher Verwandtschaft noch zusätzlich gestraft ist. Sie beide sind krebskrank, im selben Zimmer und müssen, nach anfänglichen Konflikten und tragischen Zusammenstößen, Freundinnen werden. Solidarität über die Grenzen von Klasse, Sprache und Lebenssicht hinweg, gegen eine Institution, die stets unmenschlich bleiben muß. Will uns Schenkel über diese, über das Krankenhaus etwas sagen? Aber nein. dieses Krankenhaus, reduziert auf einen Gang, ein Zimmer, den OP und ein Glasloch, in das der Regen niedergehen kann, mit seinen Teams aus festgefügten Klischees, wo die dicke schwarze Oberschwester sogar noch mit falschem Akzent sprechen muß und der junge Doktor sich so tapfer-einfühlsam am Bett seiner Patientin einfindet, ist weiter von jeder Wirklichkeit entfernt als das von „Dr. Kildare“.

Aber da gibt es ja noch ein Problem: Die Tänzerin hilft der Göre, als sich bei der, rettungslos, neue Metastasen gezeigt haben, Selbstmord zu begehen. Hat Schenkel uns also etwas über die Widersprüche der Sterbehilfe sagen wollen? Aber nein, das Thema ist schnell abgehakt; das richtige Auftreten, und die Vorwürfe der Ärzte lösen sich – tatsächlich – in Lachen auf. Geht es also um ein Melodram, das seine eigenen Gesetze hat wie der Western oder der Detektivfilm, die ja auch die Wirklichkeit über den Umweg einer festgefügten Mythologie abbilden? Aber nein, hier geht es ja um einen authentischen Fall, um Autobiographie, um wirkliche Menschen. Es geht auch nicht um Freundschaft, es geht nicht um Liebe, die hier, an diesem Grenzort, besonders heftig, besonders in ihrem Fehlen, erlebt werden muß. Es geht nur darum, einen handwerklich akzeptablen Film herzustellen, in dem von all dem ein wenig ist: zuviel, um etwas zu verstehen, unterscheidend, liebend meinethalben, zu wenig, um etwas zu erleiden, empört gegen Schmerz und Tod.

Keine Ummöblierung des Filmes also wollte gelingen. Es blieb die Langeweile – ein unverzeihliches Gefühl angesichts von Menschen an der Schwelle zum Tod. Ich entkomme ihm, indem ich die Menschen gegen einen solchen Film in Schutz zu nehmen versuche. Er produziert ja nicht nur gelackte Genre-Stimmung, nicht nur synthetische Tränen, sondern auch handfeste Ideologie: Er handelt, in allen seinen Einzelheiten, von der Überlegenheit des Bürgertums gegenüber der Unterschicht, denunziatorisch gar im Auftreten der Schwester, der „Göre“, nur wenig subtiler in der Hierarchie des Krankenhauses. Daß das Krankenhaus sich als Institution dem Proletariermädchen gegenüber gnadenloser erweist als der Bürgertochter, diesem Gedanken geht Schenkel gar nicht erst nach. Er behandelt lieber die Überlegenheit der Männer über die Frauen, vom Vater, der mehr oder weniger das Leben seiner Tochter rettet, während die Mutter von Hysterie zur Unterwerfung gelangt, bis zu den Ärzten, denen Schenkel die patriarchalischen Unarten der deutschen wie der amerikanischen Film-Ärzte zuweist.

Um nichts anderes, denke ich, geht es Schenkel noch stets: den Gehalt eines deutschen Fernsehfilms mit dem Handwerk eines amerikanischen Genre-Films zu verknüpfen. Das Ergebnis ist das gleiche, als würde man versuchen, auf zwei Arten gleichzeitig zu lügen. Herr Schenkel, sagt man, beherrscht das Handwerk. Aber er hat nichts zu sagen. Oder doch: Richtig möbliert erkennt man, es ist immer noch die alte Zelle reaktionärer Langeweile, in der man sich befindet.

Ein Film wie ZWEI FRAUEN ist die andere Seite von Blüms Gesundheitsreform; selbst für das Mitleid muß nun nach dem billigsten Mittel gesucht werden. Im Zweifelsfall tut’s der Placebo-Effekt. Und im Krankenhaus überleben die Reichen, bleibt alles bei den alten Klassen. Zum Heulen, nicht wahr?

Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht  in epd Film 8/89