Todesbilder im Film. Band 13: Die Komödie. Kapitel XIV: Die amerikanische Mittelstandskomödie der Nach-Reagan-Ära. Das Beispiel CHECKING OUT.

Der amerikanische Mittelstandsmann will immer noch ein Kind bleiben. Zu diesem Zweck schließt er sich mit einem von seinesgleichen zusammen; eine möglichst lebenslange Bindung entsteht, die kaum mehr mit dem alten, kolonialen Begriff von „Freundschaft“ zu beschreiben ist. Zwei Männer gehen dabei eine Symbiose ein, in der jeder des anderen Krücke ist; eine perfekte Rollenverteilung verbirgt der Außenwelt, daß hier nur zwei Konzepte von Unselbständigkeit und Lebensangst einander stützen. Wie Ray und Pat. Das kann nicht immer gutgehen.

Während eines Barbecue stirbt Pat, das witzige Arschloch, bevor er die Pointe seines letzten dummen Fragejokes verraten konnte: „Warum veranstalten Italiener keine Barbecues?“ In der Eingangsszene des Films hat er diese Frage schon als Kind gestellt, und sein Freund Ray hat nicht einmal verstanden, daß das ein Scherz sein sollte. Ray ist das gestreßte Arbeitstier (bei einer Luftfahrtgesellschaft), dessen Scherze stets danebengehen. Nun hat sich Pat totgelacht, und Ray ist furchtbar allein.

Es beginnt die lange Geschichte eines eingebildeten Kranken, die eigentlich die Geschichte eines Mannes ist, der noch einmal lernen muß zu leben. Ray bewohnt eine sehr normale Welt, ist in einer Art elliptischer Bewegung um zwei Fixpunkte begriffen, das Büro, in dem alle so gestreßt sind wie Ray selbst, und das Haus in Suburbia, wo man joggt, munter ist, Nachbarschaften pflegt, die Kinder küßt und mit der Frau schläft. Bis jetzt. Nun bekommt diese Welt gewaltige Risse.

Ray entdeckt immer mehr Anzeichen tödlicher Krankheit, träumt seine Beerdigung, stürzt aus dem Fenster, löst dabei die Alarmanlage des Hauses aus und gerät, unter den Augen der sachlich neugierigen Nachbarn, vor die Pistolenläufe der üblichen Wildwest-Polizisten. Er wird untersucht in der grotesken Maschinerie der Medizin und dann, weil er partout krank sein will, zu einem schwarzen Psychotherapeuten geschickt, bei dem er den hypochondrischen Millionär Gittinger kennenlernt, der auf allerunappetitlichste Art Fast Food in sich stopft. Ray steigt in seiner Firma auf, nimmt den Platz seines Freundes ein, was ihn nur noch depressiver stimmen muß.

Nachdem man ihm immerhin leichte Herzrhythmusstörungen attestiert hat, terrorisiert er seine Familie. Als seine Tochter von einem Alptraum über ein abstürzendes Flugzeug erwacht ist und seine Frau ihn aus dem Schlafzimmer geworfen hat, geht Ray auf die übliche, immer böse endende nächtliche Odyssee. Sein Boß muß ihn danach trotz seines erbärmlichen Zustandes auf eine Mission schicken, weil es eine Bruchlandung gegeben hat; Rays Flugangst und der Traum seiner Tochter machen ihn starr vor Furcht; mit falschem Bombenalarm hindert er das Flugzeug am Start; sein Boß feuert ihn, er fällt um, wird ins Krankenhaus gebracht, wo man eine gefährliche Blinddarmentzündung diagnostiziert und sofort mit der Operation beginnt.

Bei der Operation führt Pat seinen Freund Ray in ein reichlich ödes Jenseits. Der Marsch der Toten – das ist momentlang ein unglaublich berührendes Bild: Diese geschäftige Zielstrebigkeit, mit der da Menschen jeden Alters (ein kleiner Junge in Taucherausrüstung schlappt auf seinen Flossen dazwischen), als hätten sie es eilig, als würden sie angetrieben, zu den Toren des Jenseits eilen – dieser Marsch, der in einer Schlange endet, wird von Ray kräftig durcheinandergebracht. In der Ewigkeit des Totenreiches erkennt Ray, daß Pat wirklich tot ist. Er kann zum ersten Mal Tränen über diesen Tod vergießen. Dann stürzt er aus dem Himmel zurück in sein Leben.

Diese einigermaßen banale, gleichwohl stets noch wirksame Geschichte ist Anlaß für eine zweite Geschichte, die nur in Bildern erzählt wird: das Auseinanderfallen von Ray und seiner Welt. Da taucht schon im Krankenhaus, wo der Arzt Pats Tod mitteilt, ein dicker schlafender Mann im Hintergrund auf, wie ein merkwürdiges, kegelförmiges Wesen aus einem Zeichentrickfilm; der hagere Bestattungsunternehmer Mister D’Amato erscheint immer und überall wieder und nötigt Ray seine Karte auf; die Konsumwelt steckt voller Todesmaschinen; und das Reich der Toten, so wie es sich für Ray darstellt, ist wie ein Bild der frühen Pop Art, das fröhliche, eingefrorene Entsetzen des amerikanischen Hawaiihemd-Barock; der Swimming-Pool, in den nie jemand springen wird.

Die Bilder dieses Films, die auf den ersten Blick eher konventionell wirken, offenbaren den Schrecken dieses Alltagslebens noch ein-, nein zweimal: Da ist diese unziemliche Nähe, die die Kamera oft zu den Gesichtern sucht und sie dabei ihres „Zusammenhanges“, ihres Haltes in der „Umwelt“ beraubt. Weil sie aber nicht durch die Kamerabewegung, sondern durch die Montage isoliert werden, ist uns auch nur zu bewußt, wie sehr diese Einsamkeit schon vorher da ist, nicht erst durch das Ereignis des Todes geschaffen. So aggressiv und schamlos darf eine Kamera unter keinen Umständen sein, und ganz gewiß nicht, wenn sie uns nur auf den nächsten Gag stoßen will. Sie denunziert überdies durch ihre oft extremen Positionen das Gewöhnliche der Vorgänge. Das Absurde ist ja auch eine Art Fluchtpunkt. Leland schafft durch scheinbar unbedeutende Details eine merkwürdige Tiefe, Irritationen, die der vorgeblichen „Schrillheit“ der Komödie ganz und gar widersprechen. Das Reich der Toten ist nichts anderes als eine mit greulichem Kitsch zugestellte kleine grüne Insel in einer Wüste. Das erinnert an Lelands Mitarbeit bei Monty Python und zugleich ein wenig an Giorgio de Chirico: In Ray Macklins Welt scheint es keine Luft zu geben, keine Atmosphäre. Er lebt in einer Welt, die bloß ein Bild ist. Ein geschmackloses obendrein.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 10/89