Wie soll ein Film über eine Gestalt aussehen, mit der Elend, Völkermord und Unterdrückung für einen Kontinent begann? Dieser Columbus, der koloniale Ur-Held, gefeiert noch in Schulbüchern und Kinderliedern, war, nach allem, was wir wissen, kein unschuldiger Wegbereiter für den Terror um Gold und Seelen, sondern sein erster Vertreter. Filme, die nun, mehr oder minder pünktlich zum fragwürdigen Jubiläum entstehen, müssen als erste Strategie sich aus der Klemme ziehen: Einen naiven Helden können sie uns nicht zurückgeben, aber auch die sanfte Entmythologisierung, wie sie meinethalben Richard Lester seinem Robin Hood angedeihen ließ, lässt sich gegen die historischen Fakten nicht durchsetzen.

John Glen versucht es ein bisschen in die und ein bisschen in jene Richtung. Er und seine Drehbuchautoren Mario Puzo und John Briley versuchen, eine Abenteuergeschichte mit Widerhaken zu erzählen. Der Film beginnt mit einer recht atemlosen Intrigen- und Liebesgeschichte, in der uns der Held als fröhlicher Kämpfer und besessener Tor vorgestellt wird. Nach Flucht und Demütigung am Hof gelingt es ihm mit Hilfe der spanischen Königin (Rachel Ward als eine Frau, die von einer unklaren Sehnsucht besessen ist) gegen den pragmatischen König (Auftritt Tom Seleck: Gelächter im Publikum) und den feisten Machtmenschen der Inquisition Torquemada (Marlon Brando macht sich sichtlich keinerlei Gedanken über den Gehalt seiner 5-Millionen-Dollar-Rolle) seine Expedition auszurüsten. Was auf der Fahrt geschieht, ist uns aus Kinderbüchern, Comics und einem englischen Film mit Fredric March aus dem Jahr 1949 bekannt. Aber immerhin zeigt Glen nun noch deutlicher, dass er nicht vorbehaltlos auf Seiten seines Helden steht; der ist ein ruhm- und herrschsüchtiger Fanatiker, der immer dann, wenn wir von ihm in einer Entscheidungssituation einen Widerschein kommender Aufklärung erwarten, sich als barbarischer Narr erweist, der seiner Zeit keineswegs voraus, sondern nur ihr perfekter Ausdruck war. Die Demontage wird schließlich im dritten Teil des Films, der mit der Landung auf dem neuen Kontinent beginnt, forciert. Columbus begründet ein terroristisches Regiment, und die Menschen, die er dann, um selber Gold und „bekehrte“ Wilde nach Spanien zurückzubringen, in „seinem“ Reich zurückläßt, versinken in ihrem eigenen Wahn: der Sohn ermordet den Vater, der Missionar ist ein Narr, der Nächstenliebe predigt, während die Matrosen morden und plündern, und Columbus selbst ist der erste, der den Heiden auf seiner Rückfahrt das Christentum mit Gewalt beibringt.

Am Ende ist also der naive Abenteurer – George Corraface spielt ihn als einen Mann, der nie die Eleganz, nie das Lachen eines wirklichen Abenteurers hat – als dunkler Herrscher entlarvt, und die „Entdeckung“ zeigt sich als Teil eines politischen Kalküls: Während Columbus zu seiner Fahrt aufbricht, werden die Juden aus Spanien vertrieben; die Reconquista, der Sieg des Christentums über den Islam, wird zum Beginn einer neuen Schreckensherrschaft, deren Architekt Torquemada ist. Sollen wir sein Grinsen so deuten, dass dieser so törichte wie geniale Seefahrer aus Genua auch gut war, dem Volk, das auf eine neue Form der Unterdrückung vorbereitet wurde, ein Schauspiel zu liefern? Die Gegenüberstellung von Torquemada als Vertreter der alten Ordnung und Columbus als dem Repräsentanten der „neuen“ kolonialen Ordnung, die mindestens ebenso viel verbunden wie getrennt haben muß, hätte in der Tat spannend zu werden versprochen. Aber Glen begnügt sich mit Andeutungen; er liefert Teile eines Puzzles und liebt krasse Übergänge: Torquemada zeigt Columbus die Instrumente, der Kartograph ist ebenso nah am Ruhm wie daran, als Ketzer gefoltert und getötet zu werden. Schnitt: Christopher verführt seine Geliebte. Diese Unbekümmertheit wird er nicht verlieren, auch nicht im Angesicht des Todes.

Am Ende ist Columbus wirklich zurückgekehrt in seine Zeit; er hat das Meer mit Blut gefärbt, die rote Fahne seines Landes am Strand gepflanzt; die Reise führte in der Tat nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit. Die parallele Entwicklung der Handlungen von Rückkehr und Aufnahme in Spanien und Zerfall und Massaker in der Kolonie zeigt anschaulich das, worüber wir auf der „politischen“ Ebene so wenig Informationen erhalten: die Fahrt von Christopher Columbus hat nicht der Zukunft ein Tor geöffnet, sondern sie zerstört.

Insofern hätte sich Glen, sozusagen heimlich, ganz gut aus der Affäre gezogen, indem er statt des Kompromisses das Widersprüchliche zeigt. Allerdings fehlen dem Film zuweilen Konzentration und Kraft, man spürt ihm Zeitdruck an, die Stars bleiben zu sehr Gäste und Zitate und zerstören dadurch eben den Eindruck, der Columbus erklären könnte: die innere Geschlossenheit seiner Zeit, die allen Menschen gemeinsame seelische Beschränktheit, der die Santa Maria nicht entkommen, sondern sie in die Welt tragen sollte.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd film 10/92