© Hoffmann und Campe

Das Leben ist ein Elefant, Madame!

Auch ein großes Tier hat es manchmal schwer: Der letzte Roman des Schriftstellers José Saramago liest sich manchmal wie eine Bauanleitung für die ästhetische Postmoderne.

Der Elefant war nämlich in Wahrheit ein anderes Wesen. So anders, dass er mit dieser Welt nichts gemein hatte.“ Spätestens bei diesem Stoßseufzer des Erzählers in José Saramagos letztem Roman „Die Reise des Elefanten“ denkt sich der Leser: Der titelgebende Dickhäuter kommt in diesem Werk derart symbolhaft daher, dass er doch für mehr als nur die Geschichte stehen muss, auf die Saramago zufällig stieß, als er einmal in dem Salzburger Restaurant „Der Elefant“ zu Abend aß.

Auf Holzschnitzereien wird da die wahre Geschichte eines Elefanten geschildert, den König Johann III. von Portugal 1551 auf eine Reise von Lissabon nach Wien schickte, um seinen Kollegen, Erzherzog Maximilian von Österreich, zu erfreuen. Zu allem Überfluss hat Saramago das historische Tier auch noch unter dem Namen Salomon wieder auferstehen lassen.

Der portugiesische Schriftsteller, der Mitte Juni im Alter von 87 Jahren starb, ist ein Mann nach dem Geschmack aufrechter Linker: ein Kind von Analphabeten und Landarbeitern, der es bis zum Literaturnobelpreis gebracht hat. Ein Intellektueller, der als Automechaniker begann, als Journalist gegen den portugiesischen Faschismus gekämpft hat. Und als weltberühmter Schriftsteller bis zu seinem Tod unermüdlich gegen Kirche, Kapital und Reaktion, Berlusconi und die Israelis in Gaza anschrieb.

Vor allem aber: ein Linker, der dem Kommunismus nie abschwor. „Ich muss mich nicht dafür entschuldigen, was die kommunistischen Regime angerichtet haben. Ich habe das Recht, an meinen Ideen festzuhalten. Ich habe nichts Besseres gefunden“, hatte der Mann, der 1969 in die Kommunistische Partei Portugals eintrat, noch vor ein paar Jahren einer englischen Reporterin trotzig erklärt. Sich selbst bezeichnete er als „hormonellen Kommunisten“, dem diese Idee so eingegeben sei wie der biochemische Botenstoff, der den Bartwuchs fördert.

So linkstraditionell diese Biografie gewirkt ist, so wenig gilt das für Saramagos Ästhetik. Denn ein linkes Charakteristikum wird man bei diesem Autor nicht finden: irgendeinen biederen Realismus. Es ist der große Vorzug des 1922 im armen Landstrich Ribatejo geborenen Autors, dass er ganz auf die Imagination, das Fantastische und Unerwartete setzt, um seine scharfe Gesellschaftskritik und moralischen Appelle in Szene zu setzen.
Die Romantrilogie „Stadt der Blinden“ (1995), „Alle Namen“ (1997) und „Das Zentrum“ (2000), mit denen er in Europa mehr als mit seinen frühen Werken berühmt wurde, funktionieren alle nach dem Muster einer plötzlich auftretenden Grenzerfahrung, die den Einzelnen auf eine existenzielle Probe stellt. Gleichzeitig ruft Saramago damit alle zivilisatorischen Krisenphänomene der Gegenwart auf: den Notstandsstaat, den Moloch der Bürokratie, die Globalisierung, den Fetisch des Konsums.

In „Die Reise des Elefanten“ greift Saramago wieder auf einen historischen Stoff zurück. Damit gelang ihm 1982 der Durchbruch. In seinem Roman „Das Memorial“ erzählt er die Geschichte eines monumentalen Klosterbaus zu Zeiten der Inquisition. Doch wie um von Anbeginn jeden Verdacht auf die literarische Wiedervorlage eines verstaubten Geschichtsstücks zu zerstreuen, lässt Saramago einen Erzähler ironische Distanz zum Geschehen stiften.

Wenn der angesichts der unterschiedlichen Maße damals und heute lässig über „zwei sich niemals treffende Paralleldiskurse“ räsoniert und erklärt, „die größte Missachtung der Realität liegt darin, den Versuch zu unternehmen, eine Landschaft zu beschreiben“, klingt das wie eine Bauanleitung für die ästhetische Postmoderne, mit der der Propagandist einer solidarischen Moderne eher wenig zu tun haben wollte.

Auf die Dauer wird das etwas ermüdend. Vor allem, weil dieser Erzähler weder mit allgemeinen Lebensweisheiten noch mit kulturpessimistischen Bemerkungen zur Gegenwart geizt. Immerhin nimmt man dadurch die Sache historisch nicht allzu genau. Und begibt sich stattdessen in dechiffrierungsbereite Lauerstellung.

Gut möglich, dass Saramago mit seinem Roman eine Metapher auf das Leben kreieren wollte. Das trotz aller Mühe so traurig endet wie Salomon in Wien. Aber natürlich sind Salomon und sein indischer Wärter Subhro eine Metapher auf die Migration. Einst aus Goa verschleppt, sind die beiden nun Spielball der Mächtigen. Vor dem gutmütigen Tier, Symbol der Weisheit und der unaggressiv in sich ruhenden Stärke, geben auch Saramagos Lieblingsgegner Adel, Militär und Klerus die erwartbar schlechte Figur ab. Letzterer versucht, Salomon als Faustpfand gegen die aufkommende Reformation zu nutzen. Auf Druck eines Priesters muss Suhbro den Elefanten zu dem „Wunder“ bringen, sich vor der Kathedrale in Padua niederzuknien.

Doch auch, wenn Saramago seine Charaktere stark stilisiert, letztlich schlingert der Roman zwischen einer Parabel und einer Geschichte, wie sie vielleicht sein Großvater Jerónimo Melrinho erzählt hätte. Dem geliebten „Schweinehirten und Geschichtenerzähler“ widmete er bei der Entgegennahme des Literaturnobelpreises 1998 in Stockholm seine Dankesrede.

Für eine Parabel ist Salomon nicht abstrakt genug; für eine verrückte Geschichte zu abstrakt. Und so wie Saramago das stumme Tier als moralische Hilfskonstruktion gegen die verderbte Zivilisation ins Feld führt, ist er nun wirklich kein ganz anderes Wesen mehr.

Text: Ingo Arend



José Saramago: „Die Reise des Elefanten“

Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis
Hoffmann und Campe, Hamburg 2010, 240 S.
19,95 Euro


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