Art Forum: Der Berliner Kunstherbst hat sich zu einem zivilgesellschaftlichen Projekt ausgewachsen
Wann genau begann das eigentlich mit diesen Nebenmessen? Waren sie zuerst in Basel da? In Miami? Oder doch in Köln? Als der Galerist Christian Nagel 1992 mit der „Unfair“ zum ersten Mal eine Aufsehen erregende Sezession der damals noch unangefochtenen Art Cologne ins Leben rief und schließlich den Weg für das erste Art Forum Berlin 1995 ebnete? Jedenfalls sind diese side-events des Kunstmarktes geradezu zu seinen Markenzeichen avanciert: Miami hat fast 15 von ihnen, Berlin nur vier. Aber zu seinem „Kunstherbst“ gehören sie inzwischen wie der Kürbis zu Halloween. Wie Pilotfischchen versuchen sie, aus dem zupackenden Gebiss ihres Wirtstieres für sich und ihre Klientel auch ein paar lukrative Brocken herauszulösen.
Ihre immer zahlreicheren Varianten haben den Vorteil, dass sie selbst Einheimischen unbekannte Räume in der Stadt erschließen. In diesem Jahr logierte die „Berliner Liste“ in der Staatlichen Münze am Molkenmarkt, die noch ein bisschen ruinösen DDR- und Nachwendecharme versprühte. Dass diese Messen nicht zwangsläufig zum gefürchteten Gentrifizierungsmotor werden müssen, bewies Daniel Daoudis großartige neue „Schnell&Schmutzig“, die ihre Ready Mades in einer heruntergekommenen Markthalle in Kreuzberg 36 präsentierte – ein Objekt, an dessen Revitalisierung kritische Urbanisten und Stadtteilstrategen seit Jahren in schöner Regelmäßigkeit scheitern. In die „Koje“ eines ehemaligen Verkaufsstandes hatte der Künstler Ralf Hoedt eine Fotografie des Covers des 70er-Jahre-Klassikers „Kapitalistischer Städtebau“ von Hans G. Helms und Jörn Janssen gehängt. Und jeder Besucher konnte sich kostenlos die handsignierte Kopie einer Original-Bleistiftzeichnung der Markthalle von Matthias Beckmann mitnehmen.
Meist stehen die salopperen Nebenmessen in dem penetranten Ruch, dass hier der Exklusivanspruch und das Deutungsmonopol der großen Galerien angekratzt und eine zu Unrecht übersehene Avantgarde die verdiente Aufmerksamkeit findet. Das stimmte sicher nicht für die „Berliner Liste“ und den „Kunstsalon“, dem Tummelplatz der Sonntagsmaler und Trivialavantgarden. Zwar traf man hier schon mal auf so überraschende Einzelpositionen wie die deutsch-iranische Künstlerin Mona Hakimi-Schüler, die in Öl-Bild-Collagen ihre Migrationsexistenz zwischen Orient und Okzident überzeugend zum Thema machte. Doch ansonsten kam hier, vor allem, wer bei Informel vom Fließband, Passepartout-Skulpturen für den öffentlichen Raum und Neo-Rauch-Plagiaten schwach wird, billig auf seine Kosten. Am Stand der philippinischen Galerie Pablo hatten drei Künstlerinnen über ein temporäres Wandgemälde, eine Orgie in puerilem Expressionismus, das Motto dieser piktorialen Flohmärkte geschrieben: Lack of Originality is made up for by craftmanship. Besser als manche Kritik erklärt wahrscheinlich dieses, der deutschen Heimwerker-Mentalität auf Anhieb geläufige Motto, ihren erstaunlichen Zulauf bei einem breiten Publikum.
Die erhoffte Korrekturfunktion stimmte aber schon für die Preview-Messe, die in diesem Jahr wieder in einem Hangar des Tempelhofer Flughafens logierte. Keine andere Messeleitung versucht so konsequent, dem Ominosum der young emerging art auf der Spur zu bleiben – eigentlich das Markenzeichen des Art Forum. Immer wieder finden Kristian Jarmuschek, Rüdiger Lange und Ralf Schmitt von der Preview jedenfalls eine Galerie wie die von Charlie Smith aus London, die mit neuen Formaten den routinierten Kunstbetrieb aufmischen. Schönheit, Tod, Horror und Sex haben sich die ambitionierten Briten auf’s Panier geschrieben.
Und so selbstreflexiv, wie die Preview-Macher mit ihrem Projekt umgehen, lässt sich da die tendenzielle Transformation eines ganz normalen Kommerz- zum aufregenden Non-Profit-Projekt beobachten. Ein Evaluierungs-Workshop mit Master-Studenten des Faches „Szenischer Raum und Bühnenbild“ der TU Berlin hat sie ermutigt, ihren Laden „radikal zu verändern“. Wenn die Veranstalter ihre Ankündigung wahr machen, im nächsten Jahr „keine Messe mehr„ zu veranstalten, sondern eine „Plattform, die ohne diesen massiven Einsatz von Geldern funktioniert und trotzdem die akkumulativen Aufgaben einer Messe erfüllt und diese spielerisch in ein anderes System transformiert“, dürfte das nicht ohne Auswirkung auf die Messe am Funkturm bleiben.
Darin ähnelt die Preview den Kollegen von der abc-art berlin contemporary. Seit drei Jahren hat die von Esther Schipper, Alexander Schröder, Joanna Kamm ins Leben gerufene Messe mit Präsentationen zu Skulptur und Kunst im Öffentlichen Raum Aufsehen erregt. Diesmal war der Film an der Reihe. Die von dem Schweizer Kurator Marc Gloede mit frühen Arbeiten Hanne Darbovens bis zu jüngsten Videos von Wolfgang Tillmans erstklassig kuratierte Schau hat die Messe direkt gegenüber nicht nur um schwer verkäufliche Formate erweitert. Sondern auch einen hybriden Messezwitter etabliert – irgendwo zwischen hochrangiger Ausstellung und Verkaufsmesse. In ihrer konzentrierten Qualitätswirkung hat abc auch das Art Forum in den Schatten gestellt.
Selbst schuld, kann man da nur sagen: Je etablierter und mainstreamiger das Art-Forum wird, desto mehr kommen die Innovationen von der Peripherie. Dort entwickelt sich auch ein dichtes Netz von alternativen Ausstellungsorten, denen Verkaufsmessen so was von egal sind: „Glamour und Improvisation“ beschrieb Markus Draper, zusammen mit Renate Kaminska Betreiber des „non regular exhibition project“ Bel Etage am Berliner Alexanderplatz, deren Interessen bei einer Diskussion auf dem Art Forum kurz und präzise. Dass die Messe zu ihrem Abschluss pflichtgemäß wieder gute Verkäufe meldete, ändert nichts an einer überraschenden Erkenntnis. Wer in der inspirierend kuratierten, neuen Galerie des spanischen Szenetreffs „Hotel“ am Kreuzberger Kanalufer stand, – zehn Kilometer entfernt vom Funkturm – und sich auf dem Faltblatt mit über 50 Off-Spaces das nächste Ziel der langen Kunstnacht herauspickte, dem war plötzlich klar: Der Berliner Kunstherbst, an dessen Wiege einst eine arrogante Elitemesse von „Europe’s leading galleries“ stand, hat sich zu einem großen zivilgesellschaftlichen Projekt von unten ausgewachsen. Und das ist auch gut so.
Text: Ingo Arend
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