Die Welt ist ein Saustall

Zwei Männer treffen sich nach den Golfkriegen, um Buße für ihre Gräueltaten zu tun. Mit ihrer Geschichte ist Najem Wali Prosa von Weltrang gelungen.

„Wir leben in der Hölle. Alles, was wir tun können, ist, unsere Hölle nicht schlimmer zu machen.“ An diesen Satz des italienischen Schriftstellers Italo Calvino erinnert ein irakischer Schriftsteller einen Landsmann, nachdem der ihm die dramatische Geschichte seines Lebens erzählt hat. Er hätte auch als Motto über dem neuen Roman Najem Walis stehen können. Denn wenn der 1956 im irakischen Basra geborene Autor darin einen Erzähler sein Leben im Irak seit Beginn der 1980er Jahre Revue passieren lässt, beschreibt das gleichsam eine Hölle auf Erden.

Krieg, Mord, Chaos – in seinen fünf bislang in Deutschland erschienenen Werken arbeitet sich der 1980 aus seinem Land geflüchtete Autor immer wieder an diesen Traumata ab.

In „Die Reise nach Tell al-Lahm“ (2004) kleidet er Saddam Husseins Schreckensherrschaft in eine surrealistische Parabel. In „Jussifs Gesichter“ (2008) demonstrierte Wali an der Geschichte zweier verfeindeter Brüder, wie die Iraker einander zu Schlächtern werden. In „Engel des Südens“ (2011) zeichnet er die Vertreibung der irakischen Juden aus dem Land nach. „Bagdad Marlboro“ nun ist, auch wenn es der Titel suggerieren könnte, mehr als eine politische Abrechnung mit den USA. Schließlich charakterisiert der desillusionierte Ich-Erzähler seine Heimat einmal mit dem Satz „Die Welt ist ein Saustall, der Irak ihr Zentrum“.

Das Existenzialistische, das Walis düster-fantastische Prosa auszeichnet, lässt sich in dem neuen Werk schon am Personal ablesen. Wir schreiben das Jahr 2011. Der ehemalige US-Leutnant Daniel Brooks kehrt nach dem Golfkrieg und der US-Invasion 2003 zurück nach Bagdad, um dem Ich-Erzähler ein Tagebuch zu übergeben, das dessen Freund, der Dichter Salman Madi, einst an der kuwaitisch-irakischen Front verlor. In diesem „Traumbuch der Soldaten“ hatte der Poet die Wünsche seiner Kameraden für ihr Leben nach dem Krieg notiert.

„Eine Geschichte von Mord und Totschlag“

Brooks lässt die Erinnerung daran nicht los, wie er irakische Kriegsgefangene im ersten Golfkrieg mit einem Bulldozer lebendig verscharren musste. Madi ist in eine abgrundtiefe Depression verfallen, weil er im Tumult einer Nacht das Feuer auf amerikanische Kriegsgefangene eröffnen musste, darunter einer, mit dem er auf Patrouillengängen gemeinsam den Poeten Walt Whitman zitierte. Seinen Titel hat der Roman von den Schachteln der Zigarettenmarken, die die beiden damals austauschten. Das Namenspaar steht als die Metapher für das Leiden daran, wie die Umstände, aber auch Angst und Feigheit die Menschen mitschuldig an den Gräueln des Krieges werden lassen.

„Die Geschichte der Menschheit ist nichts anderes als eine Geschichte von Mord und Totschlag. Man muss wählen, ob man Totschläger oder Totgeschlagener sein will“, erinnert er seinen Erzählerfreund an dieses Dilemma, als sie sich nach vielen Jahren in einer Bar in Bagdad wieder sehen. In das „bagdadische Sodom und Gomorrha“ haben sich beide geflüchtet, nachdem sie ihre Familien verlassen haben.

Als Gefangene ihrer unerzählten Traumata sind sie nicht mehr gesellschaftsfähig. Und können die Zukunft nicht mehr in den Blick nehmen. Das Dickicht undurchdringlich verschlungener Perspektiven und Zeiten, mit dem Wali arbeitet, macht sinnfällig, wie alle gleichermaßen in diesem Knäuel schuldhaft verstrickt sind. Bewältigen kann Walis Protagonist es nur, indem er es erzählend aufrollt.

Mit „furioser Kriegsroman“, wie es hier und da zu lesen war, ist dieses Buch nur unzureichend beschrieben. Wali ist auch weit mehr als nur der Chronist unvorstellbarer Kriegsverbrechen. Auch wenn er seinen Roman dem US-Whistleblower Bradley Manning widmet. Der Roman endet bei der Verhandlung gegen den Mann, der heute eine Frau ist, im US-Garnisonsstädtchen Fort Meade in Florida. Denn so großartig wie Najem Wali in diesem bedrückenden Epos die großen Themen der Literatur behandelt: Liebe und Einsamkeit, Freundschaft und Verrat, Schuld und Sühne, Leben und Tod, zeigt sich erneut, was er im Kern ist: Autor einer Prosa von Weltrang.

Ingo Arend, taz 05-06-2014

 

bagdadNajem Wali: Bagdad Marlboro. Roman für Bradley Manning

Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich

Hanser Verlag, München 2014,

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