Baumeister fiktionaler Irrgärten
Das Erfinden als Spiel, die Konstruktion von Erzählungen in der Erzählung und die Etablierung eines Schriftstellers als fiktivem Autor – all diese erprobten Stilmittel verwendet Paul Auster auch in seinem neuen, 13. Roman.
Paul Auster ist ein Baumeister fiktionaler Irrgärten. Eine spannende Geschichte zu erzählen, genügt ihm nicht. Er ist erst zufrieden, wenn er der Fiktion dann auch wieder den Boden unter den Füßen weggezogen und sie als Fiktion kenntlich gemacht hat.
Das Erfinden als Spiel, die Konstruktion von Erzählungen in der Erzählung und die Etablierung eines Schriftstellers als fiktivem Autor, der mit seiner Geschichte ringt, das alles sind erprobte Stilmittel, die auch im neuen, seinem 13. Roman zur Anwendung kommen. Dieses postmoderne Verfahren dient vor allem dazu, die Frage nach der Wahrheit immer wieder neu zu stellen. Die Motive und Strategien des Erzählers sind dabei mindestens so wichtig wie das, was erzählt wird.
Der Roman beginnt als konventionelle Ich-Erzählung. Adam Walker erinnert sich an Ereignisse im weit zurückliegenden Frühjahr 1967 in New York, die sein Leben veränderten. Der 20-jährige Student der Columbia University (so alt, wie Paul Auster damals war), möchte gerne Schriftsteller werden. Da begegnet er auf einer Party dem faszinierenden, sinistren Franzosen Born, der ihm nicht nur viel Geld anbietet, um eine neue Literaturzeitschrift zu gründen, sondern dazu gleich auch noch seine schöne, geheimnisvolle, schweigsame Freundin.
Tatsächlich kommt es, noch bevor das Konzept für die Zeitschrift steht, zu einer heftigen Romanze. Doch dann erlebt Walker, wie Born einen Mord begeht und bricht, völlig verstört, die Geschäftsbeziehung zu ihm ab.
Im zweiten Kapitel schaltet sich dann ein New Yorker Erfolgsautor ein. Er hat Walkers Manuskript per Post bekommen. Walker ist ein ehemaliger Kommilitone, doch der Kontakt ist vor 40 Jahren abgebrochen. Jetzt sucht Walker beim Profi Rat, denn er weiß nicht, wie er sein Buch weiterschreiben soll. Außerdem ist er an Krebs erkrankt und hat nicht mehr viel Zeit.
Wenig später trifft dann das zweite Kapitel zusammen mit heftigen Selbstanklagen und Ekelbekundungen Walkers ein: die in der Du-Form erzählte Geschichte einer leidenschaftlichen inzestuösen Beziehung, die sich chronologisch an den ersten Teil anschließt, inhaltlich aber nicht zwingend damit verbunden ist.
Teil drei spielt dann in Paris und handelt von Walkers scheiternder Rache an Born, dessen Heiratspläne er verhindern will. Dieser Teil basiert auf letzten Notizen, die erst der Schriftsteller in eine druckbare Form bringt, denn da ist Walker bereits tot. Stellvertretend beginnt der Autor zu recherchieren, trifft eine Pariser Bekanntschaft Walkers, deren Tagebuch-Aufzeichnungen von einem Besuch beim gealterten Born den Roman beschließen.
Dass Auster erzählen kann, belegen vor allem die ersten beiden, spannenden Kapitel. Dass er es nicht will, oder sich damit langweilt, beweist er in den letzten beiden. So kommt dort Walkers Schwester zu Wort, die behauptet, die Inzestgeschichte sei frei erfunden. Doch wozu sollte Walker sie erfunden haben, wenn die Mordgeschichte offenbar authentisch ist? Oder ist auch sie nur Fantasie eines Sterbenden, der seinem Leben noch ein paar aufregende Erlebnisse abzutrotzen versucht? Und was würde sich ändern, wenn alles nur „erfunden“ wäre? „Unsichtbar“ ist so gut wie alles: Von Walkers Leben bleibt nicht mehr als eine Reihe fragwürdiger Erfindungen.
Am Ende triumphieren nicht seine Geschichten, sondern die ausgeklügelte Konstruktion eines Buches im Buch. Allerdings scheint Auster auch daran unterwegs die Lust verloren zu haben: Allzu ähnlich ist sich die Sprache in den verschiedenen Kapiteln, die doch drei verschiedenen Autoren zugeschrieben werden müssten.
Auster wollte wieder einmal bewiesen, was für ein trickreicher Erzähler er ist. Aber das wussten wir ja schon. Sein postmodernes Vexierspiel ist nicht erst in diesem Roman zur bloßen Manier geworden, zum Spiel um des Spieles willen. Aus diesen Zwängen konnte er sich noch nicht befreien.
Text: Jörg Magenau
aus: Radiofeuilleton, Kritik, © 2010 Deutschlandradio, (17.06.2010)
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