Schwarz, schwärzer, Hollywood

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DETOUR (© Koch Media)

Er wäre sicher einer der vielen vergessenen Regisseure amerikanischer B-Movies, wenn nicht die Cahiers du Cinéma seinen Film DETOUR (Umleitung; 1945) als Meisterwerk des Film noir entdeckt hätten und wenn nicht François Truffaut eine Hymne auf seinen Western THE NAKED DAWN (Santiago, der Verdammte; 1955) verfasst hätte. Um einiges später begannen auch amerikanische Filmverrückte sich mit Edgar G. Ulmer auseinanderzusetzen. Martin Scorsese oder Peter Bogdanovich, der mit dem Regisseur ein langes Interview führte, abrupt unterbrochen durch den ersten Schlaganfall Ulmers.

Ulmer war ein Kind des deutschen Expressionismus. Nach seiner endgültigen Emigration nach Hollywood legte er 1934 mit THE BLACK CAT einen waschechten Horrorfilm vor. Bela Lugosi und Boris Karloff spielten hier zum ersten Mal zusammen. Es machte offensichtlich Spaß, es brannte. Und das ist es, was die meisten Arbeiten von Edgar G. Ulmer auszeichnet. Leidenschaft, Spaß und eine wahnwitzige Lust am Filmen.

DETOUR ist einer der noirsten aller Noir-Filme, gedreht in sechs Tagen! Ein unglücklicher New Yorker Barpianist, dessen Geliebte sich eine Karriere als Sängerin in Los Angeles verspricht, reist per Anhalter durch die Vereinigten Staaten. Dass schon der Anruf, der ihn auf diese Reise brachte, eine faustdicke Lüge beinhaltete, wird er vielleicht nie erfahren. Unterwegs wird er von einem windigen Millionärssohn mitgenommen, der das Zeitliche segnet. Um sich dem Mordverdacht zu entziehen, schlüpft der Mann in die Identität des anderen und nimmt den Wagen gleich mit. Dann gerät er an eine Frau, die sein Spiel durchschaut und ihn erpresst. Erst geht es nur um den Erlös für den Wagen, aber dann erfährt sie, dass der Vater des Opfers im Sterben liegt. Nun soll der Mann das Spiel bis zum Ende spielen.

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THE NAKED DAWN (© Koch Media)

Das Schönste an diesem Film ist, dass man das alles glaubt, dass man mittendrin ist in dieser Welt von Schwarz, Regen und Spiegeln. Genauso inbrünstig glaubt der Western THE NAKED DAWN an das Drama seiner Personen. Im Übrigen ist die Bezeichnung Western für diesen Film noir in Technicolor irreführend. Er ist eher ein gewalttätiges Melodrama unter Mexikanern, und am Ende macht uns die Erscheinung von zeitgenössischen Automobilen in einer genialen Zeitbruch-Volte klar: Das ist nicht der mythische alte Westen, nein, alles passiert hier und heute: Dass ein Räuber an einen Bauern gerät, der, vom Geld geblendet, zum größeren Schurken wird, während seine schöne Frau den Räuber anfleht, sie aus der Ehehölle zu befreien. Das kann natürlich nicht gut ausgehen für den Räuber, weil die Beziehungen dieser drei Menschen zueinander viel komplizierter sind, als sie sich selbst klarmachen können.

Georg Seeßlen,  DIE ZEIT Nº 08/2014; 13. Februar 2014 

Edgar G. Ulmer:

THE NAKED DAWN (Santiago, der Verdammte; 1955)

DETOUR (Umleitung; 1945)          DVDs bei Koch Media