Die Ernte einfahren, in der Scheune unterbringen und dann gerecht auf Alle verteilen, das ist billig wiederaufgewärmter sowjetisch-ukrainischer Agrar-Staatskommunismus. Naive Nostalgie.

Allein die auf brutalste Weise durchgezogene Digitalisierung der ganzen Welt, dazu noch die mitlaufende Ideologisierung und Militarisierung, müßte jedem einigermaßen klar denkenden homo faber / sapiens / ludens – welcher Hautfarbenschattierung, welcher Selbstbespiegelungsklasse und welchen definierbaren oder undefinierbaren Geschlechts auch immer – längst klar gemacht haben, d!aß es eine Rückkehr in die Scheune und zum Scheunendenken nicht mehr geben wird.

Die einst natürliche Feld-Wald-Wiesen-Ernte wird kontinuierlich durch künstliche Freßmittel ersetzt. (Lebens-Mittel sind das keine mehr.) So wie das Denken durch künstliche Intelligenz ersetzt wird und der biologische Körper durch künstliche Austauschteile. Was also gibt es in der Kategorie „gerecht-für-Alle“ noch zu verteilen? Der Oberklasse-Cyborg wird mit goldenen Schräubchen zusammengehalten, die Mittelklasse mit verzinkten, und der Unterklasse stehen nur solche aus rohem, schnell rostendem Eisen zu. Aber alle Schräubchen wurden vorher ganz analog-traditionell i!n der kollektiv verwalteten Scheune gelagert und gezählt. Ist es das?

Solche Areale – als Kulturphänomen oder auch schon als Endzeitsymptom – zu durchdringen, wäre eine durchaus angemessene Aufgabe / Herausforderung für zeitgenössische* Künstlerinnen und Künstler, aber das ist auf dieser Documenta zuviel verlangt. Die Einfalt dominiert, und Einfalt hat nunmal eine geringe Reichweite. Oder so gesagt: in Kassel künstlern, klappern und klimpern die gut erzogenen Opfer der globalen Waffenbruderschaft aus Kapitalismus, Kolonialismus, Militarismus, Rassismus und Digitalismus, und diese Opfer präsentieren sich als eine Community, die sich willenlos in ihr Opferdasein eingefügt hat. Die Täter werden nicht angegriffen, nicht mal beim Namen genannt. Stattdessen arbeitet man völlig unkritisch mit deren Gerätschaften und Technologien. Das Guterzogene an und in den Künstlernden führt nicht etwa dazu, bessere Bilder zu malen als bloße kabarettistische Monumentalschinken, sondern begnügt sich mit einer diffusen Kolonialismuskritik bzw. Kapitalismuskritik, wie sie im jugendlichen Westen üblich ist. Um bessere Ausführungen kennenzulernen, wie man Kapitalismuskritik personalisiert und Kapitalisten- Karrikatur daraus macht, hätte man, nur als Beispiel, die Bilder von George Grosz studieren oder diese gleich selbst aufhängen können, tausenfach vergrößert, wie sich das heute gehört. Was auf dem zensierten und deshalb entfernten Bild der Documenta zu sehen war, kann man nur als klischeehaft, denkfaul und abgedroschen bezeichnen. Künstlerisch dürftig und beschränkt. Die Urheber dieses Bildes gehören zu jener weltweit agierenden Spezies von Unterbelichteten, die sich b!eim Reinigen und Handhaben ihrer Waffen regelmäßig selbst ins Knie schießen.

Damit es keine Mißverständnisse gibt. All das hier Aufgezählte ist erlaubt. Kein handwerkliches Manko und keine geistige Unzulänglichkeit ist der Kunst fremd. Kunst ist so gut oder so schlecht, wie sie eben ist, und auch politische Dummheit und Nichtdummheit sind ziemlich gleichmäßig

verteilt in der Welt der Kunst. Das hier inkriminierte Bild und die dafür verwendeten küntlerischen Mittel beweisen eigentlich nur, wie wenig es hier um Kunst geht, sondern lediglich darum, fest in der ganz normalen dümmlichen und gleichgeschalteten internationalen Pop-Kultur verankert zu sein, während „Documenta“ doch eher für die Überwindung von Manko und Dürftigkeit stehen s!ollte.

Nicht zuletzt hat die Künstlergruppe mit einem so schwachen Bild das ursprüngliche und berechtigte Anliegen einer Kolonialismus- und Kapitalismuskritik selber boykottiert. Der Anbiederungsversuch an den westlichen Begriff von Kunst und das westliche Selbstbild in der Welt ist gründlich schiefgegangen. Zu diesem westlichen Selbstbild zählt sich auch der spezielle deutsche Anti-Antisemitismus. Und der ist eine durch und durch heikle Angelegenheit. Den öffentlichen Umgang damit muß man können. Wenn nicht, prasseln die ganz großen Haudraufkeulen auf einen h!erunter, begleitet von einem auf volle Lautstärke hochgeregeltenen Zensurgekreische.

(* Das Adjektiv „zeitgenössisch / contemporary“ steht hier, weil es zur Selbstdefinition der Documenta gehört(e). Diese Kunst-Schau hatte immer den Anspruch, mindestens auf der Höhe der Zeit, wenn möglich ihr als Avantgarde voraus zu sein. Das Gegenteil ist diesmal der Fall. Was hier als Ereignis und Erlebnis aufgefahren und vorgeführt wird, ist Volksfest und Kirmes für Kinder und Kind gebliebene Erwachsene. [Jemand, den ich unterwegs in der Stadt reden hörte, sagte Ringelpiez mit Anfassen.] Wer sich angesichts des Zustands der Welt nach wie vor damit begnügt, aus den vergangenen Greueltaten der Menschheit gegen sich selber bloß empörte Mahnungen und Warnungen abzuleiten, geht automatisch den Weg in die Infantilisierung. Nichts gegen Kinder und nur wenig gegen kindliche Erwachsene – mit Documenta allerdings hat dieser „state of mind“ n!ichts zu tun.)

Noch was nebenbei: kein Land, keine Bevölkerungsgruppe, keine Sonderidentität hat ein Recht, mit Kunst bzw. Künstlern auf der Documenta vertreten zu sein. Weder die Kolonisatoren noch die Kolonisierten, weder die Unterdrücker noch die Unterdrückten dieser Erde. Wer Forderungen solcher Art aufstellt, ist nicht ganz richtig im Kopf. Soll man aufzählen, welche Industrievölker und welche Naturvölker hier nicht vertreten sind? Soll man daraus Diskriminierungsvorwürfe ableiten? Und wird nicht das gesamte Fleischerhandwerk gerade von Vegetariern und Veganern (inklusive aller Sonder-Varianten) diskriminiert? Warum also fehlt die Metzgerei-Kunst?

Was für ein erbärmliches Argumentationsniveau. *

Die 13. Documenta war eine der besten, und hat übrigens alle auf der jetzigen vorkommenden Themen bereits bearbeitet, und weit darüber hinaus, und weitaus intelligenter. Bei der vorigen, der 14., die eine Fake-Documenta war, zeigte alles darauf hin, daß es zu Ende geht; es gab einfach zu viele Symptome in diese Richtung, als daß eine andere Diagnose noch für möglich gehalten werden konnte. Diese Nummer 15 jetzt ist der bestätigende Beleg für das bevorstehende Ableben.

Ein Kunstkollektiv aus irgendeinem weit entfernten Teil der Welt gerät in die Hinterhalte und Fallen der komplizierten europäischen Polit-Kultur bzw. Kulturpolitik. Speziell der (doppelt komplizierten) deutschen. Das war zu erwarten, da niemand aus solchem Abstand heraus in drei, vier Jahren Vorbereitungszeit die Beschaffenheit dieser Hinterhalte und Fallen erlernen, verstehen und verinnerlichen kann. Einige der richtig üblen Dinge haben in vielen Teilen Europas mitunter eine Vorgeschichte über hunderte von Jahren, zum Beispiel der besondere deutsche Antisemitismus und seine unzähligen labyrinthischen frühen bis heutigen Instrumentalisierungsstrategien, die auf a!llen gegeneinander stehenden Seiten gleichermaßen praktiziert werden.

Damit soll nicht unterschlagen werden, was die exotisch-bunte Kunstgruppe an selbsterzeugter Instrumentalisierungsenergie auffährt, um die eigenen Feindbilder unters Volk zu bringen, denn diese Eigeninitiative trägt erheblich dazu bei, die deutschen Hinterhalte und Fallen noch zu bekräftigen. Aber auch das könnte und sollte man in ganz anderer Weise öffentlich thematisieren, indem man auf den weltweit größten Antisemiten und Judenhasser aller Zeiten hinweist, einen ganz unexotischen Deutschen mit Namen Martin Luther. Mit so einem Anführer, der bis heute in der deutschländischen Selbstdefinition eine zentrale Machtposition einnimmt, wird der sogenannte „importierte Judenhass“ als invasive Pflanzenart geradezu sehnsüchtig willkommen geheißen, um das seit Jahrhunderten wachsende und gedeihende Eigengewächs aus dem Blick zu nehmen. Nichts entlastet mehr und lenkt besser davon ab, nun endlich doch ernsthaft und ohne Relativierungen über diesen gefeierten Deutschen und die von ihm etablierte hauseigene deutsche Religiosität zu diskutieren, als geheucheltes Entsetzen aufzufahren angesichts des Umstands, das jetzt sogar im Bereich der Kunst eine Konterbande wie diese unbemerkt über die Grenze eingeschmuggelt werden konnte. Solche Verschiebung der Debatte zurück auf die deutschen Ursprünge – auch das ist offensichtlich zu viel verlangt im heutigen Kunst-Betrieb. Eine auf Exotik fixierte Documenta ist davon selbstverständlich überfordert. Der wahre Grund für die unsägliche Orchestrierung des Themas mit all seinen Variationen aber ist der geistige Zuschnitt der deutschen Polit- und Medien- Öffentlichkeit. Vor Antisemitismus-Beschuldigungen und -Verleumdungen gehen hierzulande ALLE in die Knie. Die deutsche ist eine Jammerlappen-Gesellschaft.

Zur politischen Instrumentalisierung der Documenta …

Angesichts der Documenta-Antiantisemitismus-Idiotie bleibt einem nur der Hinweis auf die schlichte Feststellung, daß nicht der angebliche oder tatsächliche Antisemitismus der Documenta bzw. der diesjährigen Verantwortlichen für die Documenta das Problem dieser Veranstaltung ist, sondern der seit Jahrzehnten virulente Antisemitismus der Alt-Grünen wie der Neo-Grünen. Diese Leute pflegen ein tiefsitzenden pro-islamistischen Antisemitismus, der jetzt, wo sie den Staat zu repräsentieren haben, immer offener zu Tage tritt.

Bei der Documenta haben diese Neo-Grünen einen schweren Fehler gemacht, der darin bestand, sich selber in eine Situation zu manövrieren, die es schon nach wenigen Tagen nicht mehr erlaubte,

den eigenen Antisemitismus im Hintergrund weiterlaufen zu lassen. Stattdessen mußte man, aus Staatsraison und wegen der eklatanten Widersprüche in der eigenen Weltanschauungs-Ideologie den neuen Kumpanen, den Eingewanderten aus der israelhassenden Welt, vor den Kopf stoßen. Ein Schaden, der nun repariert werden muß, etwa durch hektische Beschwichtigungsgespräche unter erzürnten Freunden.

Der typisch deutsche Fundamental-Krach zwischen Antisemitismus und Anti-Antisemitismus ist nicht das einzige Problem dieser Documenta, vielleicht sogar nur vorgeschoben. Es geht um die Zukunft der Finanzierung von Kunstereignissen generell. Hier kann man erkennen, daß die sich selbst für liberal haltenden Westdemokratien inzwischen massiv zur Zensur zurückkehren. Die Staaten legen mehr und mehr ihre kulturelle Zurückhaltung beiseite und bestimmen wieder von oben, was förderungswürdige Kultur ist, vor allem: welchen anderen Positionen (ambivalenten und abweichenden) die Existenzberechtigung entzogen wird.

Und – zur Erinnerung – so wird der weltweit vernehmbare Krach, den es vor Jahren wegen der europäischen Mohammed-Karikaturen in weiten Teilen der arabischen Welt gegeben hat und der als unzulässiger Eingriff von Außen in die Kunstfreiheit angesehen wurde, nachträglich legitimiert.

Auch hierzulande gilt inzwischen wieder: der Staat kauft die Kultur, die er haben will. Klar ist, was dabei herauskommt: politisch korrekte Selbstverbarrikadierung. Wobei die Definitionshoheit von „Korrektheit“ beim Staat liegt, und nur beim Staat. Alle staatsfinanzierten Kunst- und Kultur- Ereignisse werden sich mit ihrer Korrumpierbarkeit oder eben Nicht-Korrumpierbarkeit wieder sehr viel ernster befassen müssen als in den letzten Jahrzehnten, in denen sie sich von ihren eher sympathisch auftretenden Staaten haben einlullen lassen. Der Staat schminkt sich seinen Liebreiz in Sachen Kunst gerade ab. Wer von jetzt an noch Geld will, wird staatstragende Kunstwerke m!achen müssen. Oder auch völlig belanglosen Quatsch. Was dasselbe ist.

Daß der finanzierende Staat in die Kunst eingreifen soll, die er finanziert, ist auch in den Groß- Medien schon wieder breiter Konsens. Mal sehen, wer sich von einem obrigkeitsgesteuerten Kunstbetrieb zum Sympathisanten machen läßt. Der kaputte Zustand der Kunst sagt mir, daß es viele sein werden. (Gilt auch fürs Kuratorische und Organisatorische.) Deutlicher ausgedrückt: von jetzt an unterstelle ich jeder Kunst, die sich von öffentlichem Geld (in Deutschland) schmieren läßt, daß sie jederzeit zum Arschkriechen bereit ist. An der beispiellosen Unterwürfigkeit der mit öffentlichem Geld geschmierten deutschen Theaterbühnen gegenüber der totalitären Coronapolitik des Staates kann man ablesen, wie die zukünftige Beziehung zwischen den gegenseitig Abhängigen a!ussehen wird.

Die Kunst ist rückständig und leicht handhabbar geworden, hoffnungslos hinter ihrer eigenen Zeit zurück. Solche Kunst hat keine Zukunft. Eine Documenta ist folglich nicht mehr nötig.

Auf dieser Documenta, wie derzeit überall, geht es um Verteilungskämpfe, die selbstverständlich nicht so genannt werden, damit man sie besser ideologisch instrumentalisieren kann. Da es um

öffentliches Geld geht, braucht es öffentliche Legitimationen, um in der kommenden Verteilung Privilegien und Vorteile zu gewähren. Eine dieser Legitimationen ist zum Beispiel, in Sachen Anti- Antisemitismus auf der „richtigen“ Seite zu sein. Das läßt sich dadurch signalisieren, indem man die jetzige Veranstaltung (d.h. in ihrem jetzigen Zustand) verläßt. Man kann sicher sein, daß so eine Geste als Garantie funktioniert, bei den nächsten Großkunstveranstaltungen des Staates B!erücksichtigung zu finden.

Es wird nicht mehr um Kunst gehen, und ganz gewiß nicht mehr um die „Freiheit“ der Kunst, die sowieso nicht zur Disposition steht, da jeder Künstler und jede Künstlerin über diese Freiheit verfügt. Niemand kann ihnen die Freiheit ihrer Kunst nehmen, nur sie selber als Akteure von Selbstzensur. Es wird um die gekaufte und weiterhin kaufbare Kunst gehen. Als Künstlerin und Künstler wird man sich Argumente und Argumentationsketten vorfabrizieren müssen, um den eigenen Kaufbarkeitsrang zu halten oder zu erhöhen. Diese Arbeit wird angesichts der steigenden Kompliziertheit der Lage und ihrer Sachzwänge 90% der Arbeitsleistung der sogenannten K!unstschaffenden verschlingen. Zehn-Prozent-Kunstwerke – das ist die Zukunft

Right or wrong: Hätte die künstlerische Leitung der Documenta 15 beide Aspekte ihrer Arbeit, die kunstorientierten wie auch die politisch-aktivistisch orientierten Teile, ernst genommen, wäre also bei der indonesischen Veranstaltergruppe ein Mindestmaß an Selbstachtung vorhanden, hätte sie sich die Vorwürfe nicht bieten lassen und ihre Arbeit gegen jede Einmischung verteidigt und die Documenta innerhalb weniger Tage nach Beginn abgebrochen.

Was jetzt – stattdessen – passiert, kann man mit einem Satz benennen: Die Schleimscheißer und Sykophanten verlassen das sinkende Schiff. Das ist das schlimmste Ende, das man sich für die Documenta vorstellen konnte und eigentlich nicht vorstellen wollte. Jetzt ist es eingetreten.

Aber – wie gesagt – schon bei der Nr. 14 war die Kombination aus Dummheit und Inkompetenz (im Kunstbereich) und Dummheit und Inkompetenz (bei den Finanzen) unerträglich und hätte die Documenta-Geschichte beenden müssen. Jetzt läuft das ab, was nach nicht vollendeten Tragödien i!mmer kommt: die finale Farce.

 

© Felix Hofmann, Mitte Juli 2022