Bedankt Euch bei Marc Okrand. Dieser Sprachwissenschaftler begann Mitte der 80er für das expandierende „Star Trek“ – Universum Klingonisch zu entwickeln. Anfang der 90er lag dann sein „Wörterbuch für Klingonisch“ in trendigen Läden. Falls es tatsächlich eines Tages doch gelingen sollte, den „Krieg der Kulturen“ herbeizureden, und irgendwann die Hirne aller kritischen Menschen durch Selbstzweifel verleimt sind, ob sie zu stark oder zu wenig an politische Korrektheit glauben, ob sie abgekartete Medienhypes zu ernst oder zu leicht nehmen, wissen wir wenigstens, wie alles angefangen hat: Mit Spock, Pille und Scotty.

Klingonisch, die Sprache der Klingonen ist eine sorgfältig ausgearbeitete fiktionale Sprache mit sehr wenigen Wörtern, einer verdrehten Grammatik (Objekt-Prädikat-Subjekt) und möglichst vielen Knack-  und Kehllauten. Bei ihrer Konstruktion wurde darauf geachtet, in jedem Aspekt das Lebensgefühl echter Klingonen abzubilden: Sie werden als autoritätshörige Krieger geboren und dann in eine strenge, grausame und korrupte Hierarchie mit archaischen Werten hinein erzogen.

Ihren ersten Auftritt (korrigierende Hinweise über Produktionsreihenfolge usw. bitte nicht an getidan) hatten die Klingonen in der Star Trek-Folge „A private little war“. In dieser Episode versuchte sich Star Trek-Erfinder Gene Rodenberry höchstpersönlich an einer Parabel über den damals (1967) akuten Vietnamkrieg. Rodenberry, ein ehemaliger Soldat mit schüchternen progressiven Idealen, lässt die Geschichte über die Vertreter zweier verfeindeter Großmächte (grob: die Enterprise und ein paar Klingonen), die sich in einen überflüssigen Machtkampf um einen kleinen Planeten verstricken, mit Kirks totaler Ratlosigkeit und seinem matt gemurmelten Wunsch enden, dass sich beide Seiten aus diesem Teil der Galaxis zurückziehen sollten. Die Klingonen in dieser Folge sind ziemlich böse und haben, dank des verspielten Ausstatters, alberne Uniformen an und seltsame Stirnen, aber sie sind menschliche und glaubwürdige Antagonisten, die mit der Situation genau so unzufrieden sind wie Cpt. Kirk. Geschichten über summende Fellknäuel gelangen „Star Trek“ einfach besser, aber seit dieser reichlich unbefriedigenden Fabel gibt es Klingonen.

Zwei Jahrzehnte und viele Einrichtungen von ethnologischen Lehrstühlen später wollten die Konstrukteure einer neuen Serie über eine neue Enterprise diesmal alles richtig machen und dachten sich die klingonische Kultur aus. Klingonen sollten nicht mehr die Bösen sein, sondern nunmehr als mögliche Verbündete akzeptiert werden. In langatmigen Drehbüchern wurde nach Gründen dafür gesucht und Verständnis dafür gefordert, dass sie nun einmal solche kriegswütigen, todesbesessenen, primitiven, vertrauensunwürdigen, in eine moderne Gesellschaft faktisch nicht integrierbaren Barbaren auf einem dunklen Planeten mit Fackelbeleuchtung waren, und dem wurde ein spezieller Charme zuerkannt. Und als besonderen Bonus bekamen sie kunstvolle wulstige Stirnen verpasst, die den Maskenbildnern Überstunden abnötigten, handgearbeitete mittelalterliche Uniformen, und eben Klingonisch. Parallel zu regelrechten Fantasyepisoden in den diversen „Star Trek“ – Ablegern über diese anheimelnd blutige Unterwelt wurden allerdings immer wieder offenkundige Auseinandersetzungen mit dem real existierenden Russland in „Star Trek“ – Episoden verpackt, die dann doch meist mit klingonischen Ritualen endeten. Den Klingonen folgten Horden vergleichbar zusammengedrechselter „Völker“ in unseren Fiktionen, und in vielen Erzählungen innerhalb und außerhalb von „Star Trek“ wurde immer wieder eine Gemütslage des missmutigen, faszinierten und aus beiden Gründen schuldbewussten Interesses an anderen kulturellen Werten eingeschleift, häufig anhand unfassbarer Bräuche.

Der alte Trick, den Sarrazin einmal mehr aufwärmt, und der immer brisanter wird, je schlechter diese Gesellschaft irgendwen im klassischen Sinne „integrieren“ kann, besteht darin, angetäuschte kulturalistische und universalistische Fragestellungen als Alibi zu benutzen.

Die Macher von „Star Trek“ hatten sicher J.R.R. Tolkien im Hinterkopf, als sie Marc Okrand auf die Klingonen ansetzten. Der Schöpfer des „Herrn der Ringe“ hatte diese erste kohärent und detailreich ausgearbeitete bewusste Phantasiewelt bekanntlich zunächst aus erfundenen Sprachen entwickelt. Tolkien war Sprachwissenschaftler und ein in Bezug auf seine literarische Begabung sehr unsicherer Autor. Germanophil und urbritisch, bekennender Christ und entzückt von Heidnischem, wertkonservativ und tolerant, von Gewalt fasziniert und erschrocken, tief verstört durch den zweiten Weltkrieg. Vielleicht waren seine Freude an Sprache und sein Spaß an früheren Kulturen der (sicher nicht beliebige) Anker, den Tolkien brauchte, um seine Phantasie, seine Sensibilität und sein hochambivalentes Wissen über die Welt im Kern ungefiltert aus sich herausbrechen lassen zu können (vermutlich gäbe es kein klingonisches Wörterbuch und keine klingonischen Rituale, wenn Tolkien Koch gewesen wäre). Okrand und die in der Folge mit den Klingonen beschäftigten Autoren tappten dagegen in die Falle, die sich auftut, wenn sich ein Plädoyer für Toleranz, ein Interesse an anderen Lebensmöglichkeiten, eine vermutete weltanschauliche Gegnerschaft, eine politische Metapher und eine schwärmerische Metapher für Andersartigkeit bis zum Katzenjammer vermischen.

Ein Moment, das bei Tolkien vollständig fehlt und das bei „Star Trek“ seit Marc Okrand so mustergültig ausgespielt wird, ist der Ausdruck des skeptischen, angeekelten Genervtseins, den wir bei Mc Coy und Picard und derzeit auf den Gesichtern vieler netter Bekannter beobachten können, gerade derer, die mit Sarrazin so wenig gemein haben wie Mc Coy und Picard (und ihn in der Regel verabscheuen): Vielleicht sind Klingonen doch so. Das ist die harte Wahrheit, der wir uns alle irgendwann stellen müssen.

Der mit Abstand gefährlichste Eskapismus bleiben aufpeitschende Hypes, das Crack fürs Volk, die umso verheerender nachwirken, je offener sie inszeniert und überzogen sind.

Niemand hat jemals behauptet, dass der Umgang mit anderen Kulturen einfach wäre. Ethnologie und Kulturalismus haben lange und hart darum kämpfen müssen, Modelle des verstehbaren anderen und des kritischen Respekts überhaupt durchzusetzen. Der alte Positivismus, gerade der linke, sah darin lange Zeit nicht viel mehr als das Wühlen in Mottenkisten und verschämte Drückebergerei, während doch eigentlich die Verwirklichung der neuen Welt objektiv anstand. Es gab ein paar handliche Allzweckwaffen wie „die Moderne“, „die Wissenschaft“, oder je nach Wahl Marx oder Freud und die dazugehörigen Verfeinerungen und Häresien, und für skeptischere Geister gab es die negative Dialektik, die ausführte, warum die nie und nimmer ausreichen konnten, aber es gäbe eben trotzdem nichts anderes. Der Kulturalismus war sicher, nicht nur(!) ein Versuch, damit umzugehen, dass die Welt rein empirisch trotzdem so viel anderes bot. Und auf der anderen Seite ein romantischer und häufig konservativer Ausweg aus der marktgeprägten Moderne. Der einzige salonfähige Großdenker, der immer wieder betont hat, dass diese beiden Seiten der Medaille überhaupt kein Widerspruch sein müssen, war Ernst Bloch, der genau in der Spannung zwischen dem Traum vom edlen Wilden, dem Erkennen von Unterschieden und einem universalistischen Anspruch jede Menge Potential für kluge Utopien sah. Der scheinbar wunde Punkt, den Sarrazin treffen will, und den seine Opponenten unter Schmerzen vermeiden wollen, ist gar keiner. Dass mir mein Nachbar fremd vorkommen kann, ob anziehend oder gefährlich, dass mir vertraut vorkommen kann, was mir fremd erscheinen müsste, dass ich in beiden Fällen wie verrückt projiziere und darüber erschrecke, ist überhaupt kein Problem. Genau in dem Moment, in dem ich den edlen Wilden nicht mehr für edel und nicht mehr für wild halte, kann ich mich konstruktiv mit dem Eigenen und dem Anderen, Vergangenheit und Zukunft, Träumen und Reibungen beschäftigen. Bloch propagiert, sehr verkürzt und neben vielem anderen, das sympathisierende Weiterdenken in genau dem Moment, in dem Picard missmutig seufzt (und das bedeutet keine Verharmlosung fiktiver und realer Verbrechen). Aber Bloch lässt sich genau so wenig auf eine handliche Formel bringen, wie er ahnen konnte, dass seine Vorstellungen von „Ungleichzeitigkeit“ verschiedener Kulturen in der industrialisierten Welt einmal ganze Wissenschaftszweige hervorbringen würde, deren sperrige Ergebnisse über seine Kategorien hinausgehen. Dass es so viele verschiedene kulturelle Stimmen geben könnte, die dringend Gehör verdienen, und dass es so schwierig sein könnte, dafür einen angemessenen diskursiven Rahmen zu schaffen. So nötig neuere revisionistische Einsprüche (u.a. immer wieder Zizek) gegen die Flucht in das Konstrukt von Fremdartigkeit derzeit vermutlich sind, sie wollen etwas entzaubern, was nie verschleiert war. Es gibt andere Kulturen, und es gibt kein Entrinnen vor dem Spiel, das die westlichen Industrienationen begonnen haben, und das auch diese verändert. Es gibt kein draußen, aber jede Menge drinnen, das sich in dieses Spiel nicht vollständig integrieren oder daraus erklären lässt, trotzdem damit zusammenhängt und permanent die Spielregeln mit umdeutet, im Guten wie im Bösen. Unser Land besteht aus verschiedensten Formen von Parallelgesellschaften, und die eigentümlichste bleibt Rheinland – Pfalz. Das kann nie einen Ehrenmord entschuldigen. Und das alles hat absolut nichts mit der derzeitigen Debatte zu tun.

Sarrazin ist ein synthetisiertes Medienprodukt wie Heidi Klum, nur schlechter frisiert.

Es heißt, Khomeini, der im Westen geprägt wurde, sei der erste politische Machthaber gewesen, der seinen Erfolg der intelligenten Nutzung von privat kopierbaren Kassetten mit Reden verdankt hat, die zum Zeitpunkt seines Propagandafeldzugs gerade erst ein paar Jahre auf dem Markt waren. Die Vorliebe von noch weitaus aggressiveren Gegnern der Moderne für Massenmedien und technische Neuerungen ist allgemein bekannt. Fundamentalisten sind ein Ausdruck konservativer Rebellion und kein Überbleibsel aus mythischer Vorzeit, und dies umso weniger, je mehr sie das selber für sich in Anspruch nehmen. Sarrazin ist ein synthetisiertes Medienprodukt wie Heidi Klum, nur schlechter frisiert. Der mit Abstand gefährlichste Eskapismus bleiben aufpeitschende Hypes wie dieser, das Crack fürs Volk, die umso verheerender nachwirken, je offener sie inszeniert und überzogen sind. Wie kürzlich im Georg-Seeßlen-Blog ausgeführt, liegt die Gefahr solcher Phänomene vielleicht nicht einmal darin, dass unnötigerweise hier ein paar gewaltbereite Rechte und dort ein paar gewaltbereite angebliche Außenseiter produziert werden,  sondern in der Blockierung und Kontaminierung wichtigerer Fragen und schönerer Gedanken. Scheindebatten können keine vielleicht notwendigen Diskussionen provozieren, sie untergraben ihre Grundbedingungen.

Der alte Trick, den Sarrazin einmal mehr aufwärmt, und der immer brisanter wird, je schlechter diese Gesellschaft irgendwen im klassischen Sinne „integrieren“ kann, bis hin zu Angela Merkel, besteht darin, angetäuschte kulturalistische und universalistische Fragestellungen als Alibi dafür zu benutzen, weder die kulturalistische, noch die universalistische Diskussion führen zu müssen. Klingonen sind anders, wir können mit ihnen nicht über menschliche Werte diskutieren. Wir können nicht über menschliche Werte diskutieren, solange Klingonen sie nicht begreifen. Wir können nicht differenziert über Klingonen nachdenken, solange menschliche Werte auf dem Spiel stehen. Wenn wir nicht in einer uns alle verbindenden Kultur leben würden, könnten die Klingonen nicht herausfallen. Wenn sie nicht herausfallen würden, müssten sie sich nicht anpassen oder abgrenzen. Kultur und Werte sind etwas für Schöngeister, denn wir haben ein Klingonenproblem.

Ein entfremdeter Freund dieses Autors kam als schwer traumatisierter Flüchtling aus dem Iran in dieses Land. Entzückt von Sprache und Kultur, tatsächlich Christ. Vor einigen Jahren redete er sich in einem Gespräch über die alltäglichen Demütigungen und permanenten Verdächtigungen aufgrund von Aussehen, Namen und leichtem Akzent in seinem fehlerfreien Deutsch in Rage und verlor sich in Hasstiraden gegen alles und jeden. Mittlerweile ist er Deutschdozent in Teheran und angeblich endlich glücklich.

„Er passt da einfach viel besser hin.“, meint ein ehemaliger Mentor.

Es gibt keine Klingonen.


Text: Florian Schwebel