Drei Jahrzehnte RAF im Film

Über die Schwierigkeit, Kino, Mythos und Wirklichkeit zusammenzubringen

Was da geschah, im deutschen Herbst, was politische Geste und was  persönliche Pathologie war, dafür gibt es in der kollektiven Erinnerung  weder Bild, noch Begriff, noch Erzählung. Wir erinnern uns, welchen  Schock die Bluttaten und die Bilder der Bürgerkinder, die dahinter  steckten, auslösten. Wir erinnern uns aber auch, welche Jagd- und  Mordlust mitten in der Gesellschaft aufkam, und mit welchem Elan der  angegriffene Staat zum Kampf gegen den „Sumpf“ rüstete. Was aber  lag dazwischen? Eine grotesk gescheiterte Revolte? Ein Amoklauf?  Verbrechen? Wahnsinnstaten? Jedenfalls etwas, das Erinnerung,  womöglich Trauer, schwer macht: Eine wahrhaft ungeheure Faszination  auf allen Seiten.

Trauer, das wäre die Erinnerung an Menschen, die leiden und die  sterben mussten, es wäre aber auch die Erinnerung an öffentliche  Inszenierungen der Barbarei. Wer erinnert sich noch daran, dass der  Vater von Holger Meins das Grab seines Sohnes mit Beton schützen  musste, weil damit gedroht wurde, dass der Leichnam ausgegraben  und aufgehängt werden sollte, von den guten Bürgern dieses Staates?  Der Terror gehört zu jenen Aspekten der Geschichte, die den Aufklärer  verzweifeln und den Zyniker triumphieren lassen. Alles, was der Terror  sagt, sagt er körperlich und visuell. Je „gelungener“ die Tat, desto  grotesker die Worte, die sie begleiten. Die Verwirrung des Textes ist  nicht nur eine Begleiterscheinung des Terrors, sondern sein Ziel. So  erzwingt sich der Terror seine Bildergeschichte. „Genug geredet“ ist  seine Geste, nun erzeugen wir unwiderlegbare Bilder.  Aufklärung des Terrors also kann sich nicht mit einer diskursiven  Widerlegung zufrieden geben, sie muss in die Bilder und Gegenbilder  reichen. Was also hat die deutsche Bilderkultur mit dem Terror  gemacht, und was könnte sie heute, in dreißig Jahren Abstand und  Nicht-Abstand, tun?

Noch ist die RAF nicht Guido-Knopp-kompatibel; noch wird wohl kein  Degeto-Eventfernsehen daraus. Aber Bernd Eichinger hat schon seit  einem Jahr seine Pläne für einen „großen“ RAF-Film unters Volk  gestreut, für den als Grundlage das Buch Der Baader-Meinhof-Komplex dienen soll, das Stefan Aust 1985 veröffentlichte. Man will sich da, so  heißt es, konzentrieren auf die Entführung und Ermordung Schleyers  und die Entführung der „Landshut“ sowie den Selbstmord von Gudrun  Ensslin und Jan-Carl Raspe. Wir müssen auf das Schlimmste gefasst  sein: Stirb langsam – Jetzt erst recht an deutscher Geschichte, mit  Stars und echt geilen pyrotechnischen Effekten.

Dass umgekehrt nur die Mittel der Kunst den Mythos aufbrechen  würden, und das genau daran kein gesellschaftliches Interesse besteht,  das zeigte die Ausstellung Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF, die im  Januar 2005 in Berlin eröffnet wurde. Der Kurator Klaus Biesenbach  konnte die vorhersehbar aufgeregte Diskussion auch mit seiner  Feststellung nicht beruhigen, die Ausstellung zeige nicht die RAF,  sondern „die Wahrnehmung und die Bilder der RAF“. Die Kritiker  beharrten darauf, der Mythos werde durch seine museale und  ikonografische Sammlung erst recht eigentlich geschaffen, und in  dieser Schaffung des Mythos vergesse man, der Opfer zu gedenken.  Bei der Ausstellung konnte beobachtet werden, wie eine konzertierte  Aktion von Medien, Politik und Kulturbetrieb in der Inszenierung  vorauseilender Skandalisierung einen gesellschaftlichen  Verständigungsprozess verhindern kann.

Die Auseinandersetzung um die Begnadigung von Christian Klar wirkt  dabei ein bisschen wie eine Neuauflage der Streitereien um einen Satz,  der 2003 vom „Unreinen“ des ursprünglichen Ausstellungskonzepts an  die Öffentlichkeit gelangte: „Welche Ideen, Ideale haben ihren Wert  durch die Zeit beibehalten und können nicht als naiv abgetan werden?“  Eine panische Furcht vor einem Rest von Legitimierung und Kontinuität  scheint da am Werk; allein die Frage nach einem politischen  diskursiven Kern wird als obszön betrachtet. Hinterbliebene der Opfer  protestierten in einem Brief an den Kanzler gegen mögliche  „Legendenbildung und Glorifizierung“. Letztlich liefe das freilich auf ein  Verbot der Abbildung hinaus, denn von der RAF ist nicht zu erzählen  ohne die Legende und auch nicht ohne die, wenn auch bizarre,  Glorifizierung, die von ganz unerwarteter Seite kam.

Das Scheitern eines größeren Projekts der gesellschaftlichen  Erinnerung bei gleichzeitiger unübersehbarer Virulenz des Themas in  den Jahren nach dem Jahrtausendwechsel machte den Film zum  wichtigsten Medium der Erinnerung. Das Kino hat überdies vielleicht  eine besondere Verantwortung gegenüber der RAF-Geschichte, weil  die RAF selber so viel Kino enthielt. Filmbilder wirkten im Inneren der  „Terror-Szene“. Das amerikanische und italienische Gewaltkino, das  „vietnamisierte“ Kino der Zeit spukte in den Selbstvergewisserungen im  Untergrund, und in den Erinnerungen taucht immer wieder die  Vorstellung auf, man habe das alles erlebt, „wie im Kino“. Halb in der  Welt und halb im Traum. Eine radikale Distanzierung wollten und  konnten die Filme, die als direkter Reflex auf die Geschehnisse  entstanden, nicht vornehmen. Sie offenbarten Zerrissenheit wie etwa  Deutschland im Herbst, eine Gemeinschaftsarbeit unter anderem von  Volker Schlöndorff, Rainer Werner Fassbinder und Alexander Kluge.  Der Selbstmord der Häftlinge von Stammheim bot später eine andere,  radikale Lesart an. Unwichtig, was davon „geplant“, was „erzeugt“  wurde; die Dialektik von Attentat und Selbstmord funktionierte. Nun war  jedenfalls auch der Staat als Mörder aus dem Bereich der abstrakten  Zahlen getreten. Die Filme, die das wiedergaben, Reinhard Hauffs  Stammheim (1985) etwa, skandalös noch auf den Festivals, nahm den  Gestus der Anklage und der Verteidigung auf. In der Form eines  Kammerspiels rollt der Film die Gerichtsverhandlung auf, und schon  darin ist angelegt, dass er die politische Dimension des Terrors ernst und noch nicht den späteren Konsens übernimmt, nach dem das  Politische der Terroristen nur Deckmantel, Form für die Psychose,  rhetorisches Beiwerk war.

Der von Stefan Aust geschriebene und von Reinhard Hauff inszenierte  Film zeichnet die Geschichte des Stammheimer Prozesses als  Verdichtung eines Kampfes zwischen einem Staat und seinen  entschiedensten Gegnern; eine tragische Eskalation, bei der auf beiden  Seiten versäumt wird, die Möglichkeiten zur Umkehr zu erkennen. Und  er akzeptiert die Widersprüchlichkeit beider Seiten: Der Staat, der seine  Rechte verändert, um sich gegen den Angriff zu wappnen, und die  Gegner, die den bürgerlichen Staat ablehnen und sich zugleich auf  seinen Schutz berufen. Es war ein Versuch, vermittels klassischer  Formen „klaren Kopf“ zu behalten. Bis zu einem gewissen Grad gilt das  auch von Margarethe von Trottas von mehr Einfühlung geleiteten Film  Die bleierne Zeit (1981).

Danach schien die Möglichkeit, Gegen-Bilder zu erzeugen, ohne selber  dabei in den „Sumpf“ zu geraten, erschöpft. Als eine neue Generation  von Filmemachern das Thema wieder aufgreifen konnte, waren  überdies strenge Regeln der Abbildung etabliert. Die  Distanzierungsrhetorik gehört ebenso dazu wie das Gebot, kein Bild der  Täter ohne das der Opfer zu entwerfen. Die Verhältnisse zeigten sich  gänzlich verändert; die Generation der verlorenen Kinder hatte sich  aufgelöst und spukte in unseren Erzählmaschinen wie Tatort-Krimis  und Endlos-Serien wahlweise als komisches Relikt, als „verbitterter Alt-  68er“ oder als dunkle Vergangenheit, die zum Beispiel Maria  Furtwänglers TV-Kommissarin bei ihrem Tatort-Einstand einholte.  Heinrich Breloers Fernseh-Arbeit Das Todesspiel (1997) bezeichnet  wohl am deutlichsten den Perspektivwechsel – nicht nur weil er sein  Mitgefühl dem Opfer, Hans Martin Schleyer, widmet, sondern auch weil  er Identifikation mit den Vertretern des Staates schafft. Er verknüpft in  mittlerweile gängiger Manier Dokumentarisches und Spielfilm,  beginnend mit dem Überfall auf den Wagen von Schleyer und endend  mit dem Tod von Baader, Ensslin und Raspe, und er gibt alledem die  denkbar strengste Chronologie, so dass es am Ende so wirkt, als sei  es ein in sich logisches strategisches System: ein Spiel, bei dem  Regeln und Teilnehmer bekannt sind.

Aus der Entschlossenheit des Staates entstand schließlich mit der GSG  9 ein neues Bild: zusammen mit den Männern im Krisenstab ergibt das  Väter (kenntlich in der Mehrzahl als ehemalige Offiziere des Weltkriegs)  und Söhne (schwarz vermummte und hoch technologisierte Helden der  Aktion). Heute wird die GSG 9 in einer TV-Serie gefeiert, die den Titel  mit ausdrücklicher Genehmigung des Bundesinnenministers Schäuble  trägt. Der Kampf gegen den Terror, nicht mehr als eine historische  Tragödie, sondern als die gewohnte serielle Seifenoper-Wirklichkeit:  Privates Chaos wird durch öffentliche Gewalt geregelt, das ist das  elende Ende des deutschen Herbsts im Fernsehen.

Es folgten neue Versuche der fiktionalen Bearbeitungen, nun als  Rückblick auf die Täter aus neu gewonnener Perspektive. Diese neue  Welle der RAF-Filme begann im Jahr 2000 mit Schlöndorffs Die Stille nach dem Schuss, der die Bemühungen der Terroristen zeigt, in der  DDR ein „normales“ Leben zu führen. Der radikalen Geste der  Distanzierung bei Breloer steht hier eine fast schon väterliche Geste  der Anteilnahme gegenüber – vielleicht auch deswegen hat sich das  wirkliche Modell, Inge Viett, gegen diese fürsorgliche Übernahme ihres  Lebens gewehrt, die nach ihrer Biographie Nie war ich furchtloser entstanden war. Schlöndorff scheint, vereinfacht gesagt, den Menschen  um den Preis seiner politischen Souveränität zu retten.

Christopher Roth versuchte sich in Baader (2001) dagegen an einem  Mytho-Porträt. Der Protagonist ist hier nach dem Outlaw-Modell zu  fassen, in dem Lebensgier und Todessehnsucht verknüpft sind, ein  radikaler Anderer, dessen Lebensentwurf mehr mit dem Marquis de  Sade als mit Karl Marx zu tun hat: Das radikale Subjekt, das das  System gar nicht wegen seiner Ungerechtigkeit, sondern als Widerpart  seines Selbstgenusses angreift – der Filmheld par excellance. Der Film  wiederum versucht dieses Konzept des Menschen in der Revolte zu  psychologisieren, was misslingen muss, denn der authentische  DeSadeismus setzt sich nicht nur gegen alle Rücksicht, sondern auch  gegen Psyche selbst in Szene.

Die Faszination, wie bei allem, was nicht zu Ende erklärt ist und sich  um Bild- und Begriffsverbote rankt, war nun der historischen Legende  zugewandt. Aber auch die neuen RAF-Filme entstanden, 25 bis 30  Jahre danach, in einer hysterisch durchwirkten Atmosphäre, voller  merkwürdiger Maskierungen und noch merkwürdigerer Allianzen.  Es ist eine Wiederholung. Die deutsche Öffentlichkeit nämlich,  gleichgültig ob rechts oder links, Kultur oder Pop, war in die RAF  verliebt. So wie in Django, in Bonnie and Clyde, in die Droogs der  Clockwork Orange und dann in Dirty Harry oder Bruce Lee. Ein Zorn  musste da heraus, ein Bruch bezeichnet werden, durch die  Gesellschaft, durch die Familie, durch die Seele, einerseits, und  andrerseits musste ein anderes Leben erprobt werden, ein sozusagen  futuristisches Leben im außerhalb: das radikale Subjekt, das über die  Welt der „Gemütlichkeitsrepublik“, des Kleinbürgerkapitalismus, der  öffentlich-rechtlichen Langeweile triumphierte. Die Filme und die Taten  der Terroristen waren unter anderem eine Antwort auf die Frage, die  Georg Lukács 1948 stellte: „Wozu braucht die Bourgeoisie die  Verzweiflung?“. Sie ist das Gegenmittel gegen die Langeweile, und  was das eine mit dem anderen verbindet ist „Faszination“. Auch wer  zum Kampf gegen die RAF rüstete, so oder so, übernahm Elemente  dieses Outlaw- und Verzweiflungs-Mythos.

Eine seltsame Geilheit steckte in der Medienbearbeitung und im  alltäglichen Austausch von Worten und Bildern. Die RAF war nicht die  böse Kraft, die Ruhe und Ordnung störte, sie lieferte das Bild zum  Verlust von Ruhe und Ordnung. Der deutsche Herbst war, wenn man  so will, die gemeinsame Realisierung eines Entzivilisierungsprozesses,  einer Archaisierung, Vereinfachung und Verkörperlichung durch die  Gewalt. Die „klammheimliche Freude“ war keineswegs ein Privileg von  „Sympathisanten“; an vielen deutschen Stammtischen phantasierte man  sich in die Rolle von Terroristen, wenn man auch andere Ziele ins  Visier zu nehmen pflegte.

Umgekehrt mag es wohl sein, dass gerade dieses fatale Moment der  „Faszination“ die Sache so unverfilmbar macht. Das Bild bleibt immer  zwiespältig – so wie man vom Krieg kein Bild machen kann, ohne die  „Faszination“, die von ihm ausgeht, mit zu zeigen, einschließlich der  Möglichkeit, auf sie hereinzufallen.

Wenn der RAF-Film in den Jahren nach 2000 zu einem „Genre“ wurde,  wie man hier und da argwöhnte, dann fehlt ihm jedoch die gemeinsame  Ikonografie: Geschichte wird eher zersplittert als zusammengefügt.  Christopher Roth geht es in Baader nicht allein darum, hinter den  Taten und Mythen die Menschen kenntlich zu machen, sondern Mythos  und Legende bewusst ins Bild zu setzen, bis hin zu einem Punkt, wo  sich die Phantasie von den historischen Vorlagen mehr oder weniger  loslöst, wie es der Regisseur in dankenswerter Offenheit beschreibt:  „Ich habe mich schon mit Leuten getroffen und recherchiert. Aber  irgendwann habe ich das einfach über den Haufen geworfen, mir ein  eigenes Bild gemacht und eine eigene Geschichte erzählt, weil ich die  Realität nicht mehr so interessant fand“.

Darin dreht Baader gleichsam Fassbinders Die dritte Generation auf  den Kopf, indem er dem mörderischen Pop-Outlaw mit dem BKA-Chef  Krone (Vadim Glowna) einen „Linken“ entgegensetzt, der sie „versteht“  bei seiner Verfolgung (wie alle Verfolger im Kino ja auch „Väter“ sind,  die ihre Kinder verstehend jagen), und so findet er zu einem  Höhepunkt, als Baader und Krone sich eines Nachts gegenüberstehen,  wie die Vater-Sohn-Gestalten eines melancholischen Gangsterfilms  von Jean-Pierre Melville. Statt auf die Wirklichkeit jenseits des  „Kinematografischen“ zu gelangen, macht Baader mit dem Kino ernst.  Baader und Ensslin schauen sich im Kino Klaus Lemkes Film 48 Stunden bis Acapulco an, und der Todestanz ist eine direkte Variation  von Bonnie & Clyde.

Der kinematografische, der politische, der psychologische und der  mythische Aspekt des Geschehens sind offensichtlich mit den Mitteln  der herkömmlichen Dramaturgien nicht miteinander in Einklang zu  bringen. Christian Petzolds Die innere Sicherheit (2001) allerdings  findet zu einer Klarheit und Genauigkeit, die es vordem bei dem Thema  nicht geben konnte, vor allem weil er dem Drama keine  melodramatische Sinn-Struktur unterstellt. Der Film beschreibt, sehr  einfach gesagt, den Zustand einer deutschen Familie Jahre nach den  Tagen des Terrors. Die RAF wird so wenig benannt wie einzelne  Biografien von Tätern und Opfern. Der Film ist ein Versuch den  Nachklang festzuhalten. Wie in Andres Veiels Black Box BRD (2001)  geht es in erster Linie um Ernüchterung, aber ganz anders als bei  Schlöndorffs Die Stille nach dem Schuss geht es auch darum, dass  dies alles nicht „irgendwie vorbei“ ist.

Die Familie in Die innere Sicherheit findet anders als Schlöndorffs Inge  Viett keine wirklich neue Existenz. Die terroristische Vergangenheit und  die Sphäre der Revolte ist ihnen selbst fremd geworden, doch so wenig  sie sprechen, so viel verraten sie in ihren Gesten und Blicken. Mit der  klassischen „Verinnerlichung“ wie es in den biografischen Versuchen  Die bleierne Zeit oder in den metaphorischen wie Hauffs Messer im Kopf betrieben wurde, hat das weniger zu tun als mit der Erforschung  eines inneren Universums: Die Fremdheit zwischen den Menschen und  der Gesellschaft. Sie ist weder „privat“ noch ist sie „politisch“; das  Private ist das Gespenst des Politischen, das Politische ist das  Gespenst des Privaten. Der Nachklang des Terrors liegt darin, dass die  Täter sich als Menschen nicht retten lassen wollen, wenn man ihnen  das Politische abspricht, und darin, dass die Erinnerung umgekehrt auf  der strikten Trennung besteht.

Die Vergangenheit des Terrorismus steht den Darstellungen des „Unmöglichen“ der Revolte in der Gegenwart gegenüber. Und das betrifft nicht nur eine äußere Unmöglichkeit, sondern vor allem eine innere: Es gibt keinen Menschen mehr, der einen solchen Mythos  entwickeln könnte. Die Geschichte der verlorenen Kinder wird sich nicht  wiederholen. Glücklicherweise. Deshalb sehen wir Filme wie Bungalow oder Falscher Bekenner, wo eine terroristische Tat und ein Subjekt nur  eine vage Beziehung miteinander eingehen. Oder Die fetten Jahre sind vorbei, wo die Selbstaufklärung dazu führt, dass eine wirklich  terroristische Tat nicht ausgeführt werden kann. Nun gibt es keinen  Kurzschluss zwischen Politik und Biographie mehr, keine „große  Erzählung“. Eine Gruppe Jugendlicher bricht in Berliner Villen ein, nicht  um zu stehlen, sondern um das Mobiliar zu verrücken und Nachrichten  zu hinterlassen: „Sie haben zu viel Geld“ oder eben „Die fetten Jahre  sind vorbei“. Und sie „unterzeichnen“ ihre Aktionen mit „Die  Erziehungsberechtigten“. Eine Art von öffentlichem Kunstprojekt mit,  eben, „erzieherischer“ Nebenabsicht – eine humanistische  Selbstbefragung des Menschen in der Revolte.

Autor: Georg Seesslen