Antisemitische Sprechweise, Glaubenssache und metaphysische Verlockung des postfaschistischen Geistes: Die Holocaustleugnung ist die wohl radikalste Form, die Rollen von Opfer und Täter zu vertauschen.

Auf den ersten Blick scheint die Leugnung des Holocaust nichts anderes zu sein als ein Kurzschluss zwischen Ideologie und Wahn, beides in den denkbar scheußlichsten Formen. Der Leugner oder die Leugnerin benutzt die Techniken der Verschwörungsphantasie, der esoterischen Pseudo-Wissen­schaft und der Propaganda, um die Schuld zu verschieben, von den Tätern, die ja nun keine mehr sein sollen, auf die Opfer, die nun nicht nur diesen Status verlieren, sondern ihrerseits Täter sind: Betrüger, die sich Wiedergutmachungen erschleichen und Schuldgefühle erzeugen wollen. Je nach dem, ob die Mischung mehr Ideo­logie oder mehr Wahn enthält, mag man unterstellen, dass der Holocaustleugner an seine Konstruktionen selber glaubt oder sie nur propagandistisch und strategisch benutzt.

Holocaustleugnung ist in Deutschland ein gesetzlich definiertes Delikt, so dass der Leugner einen Outlaw-Status genießt und die entsprechenden Texte und Bücher nur als heiße Ware auf dem Markt sind. Er erscheint deshalb seiner Klientel immer schon einmal als »tapfer«. Zu den Widersprüchen dieser Rhetorik gehört es überdies, dass diesem militanten Versuch der Säuberung des Geschichtsbildes etwas offenkundig Schmutziges anhaftet, von dem eine bizarre Faszination für die mediale Öffentlichkeit ausgeht. Der britische Bischof, der die nächste Besetzung für die Rolle des Holocaustleugners übernommen hat, wird ob dieser obszönen Faszination gar nicht mehr weiter daraufhin untersucht, ob dies nicht Teil eines geschlossenen faschistischen Weltbildes ist, von dem er und seine Mitstreiter angetrieben sind und das sie mit uns nur allzu bekannten Mitteln in eine Praxis umsetzen wollen – nun mit dem Segen eines deutschen Papstes.

Es ist die schlichte Perfidie dieses rhetorischen Modells, die der kritischen Replik die Sprache raubt. Offensichtlich kann man weder mit einem Holocaustleugner vernünftig reden noch seine »Ideen« einer kritischen Untersuchung unterziehen. Das ratlose Verstummen vor diesem Wahn, der zur Ideologie, vor dieser Ideologie, die zum Wahn wurde, folgt wohl dem deutlichen Rollenspiel darin: Sowohl der Holocaustleugner als auch sein Gegenüber wissen, dass es um etwas ganz anderes geht als um die, wie auch immer gefärbte, Sichtung und Bewertung historischer Quellen. Die Holocaustleugnung ist eine Falle, eine rhetorische Inszenierung, deren Produzenten und Empfänger sehr genau wissen, dass sie mehrfach lesbar ist. Die Konvention einer Reaktion der Anständigen reduziert sich darauf, die Holocaustleugnung »einfach unerträglich« zu nennen. Sie ist unerträglich, aber »einfach« ist sie nicht.

Die Holocaustleugnung ist vielmehr eine der kompliziertesten und widersprüchlichsten Konstruktionen des postfaschistischen Denkens. Denn es ist weder ein Ausblenden noch ein Vergessen, weder ein Rechtfertigen noch ein Erklären, weder entspricht es einem Verschieben in den Hintergrund noch einem Übermalen, Abdecken oder Zum-Verschwinden-Bringen. Wer den Holocaust leugnet, will ihn gerade nicht vergessen und will gerade nicht das Sprechen über ihn unterdrücken. Er will im Gegenteil davon sprechen, wenngleich in Form einer Negation. Darin entfaltet sich bereits eine obszöne Lust, sich außerhalb der Diskurse von Zivilisationsbruch und Schuld zu stellen. In der Rhetorik der Holocaustleugnung kann man vom Massenmord sprechen, ohne berührt, entsetzt oder verzweifelt zu sein. Es ist eine Erlaubnis, der Opfer zu spotten.

Dabei unterstellt der Holocaustleugner ja einem imaginären (und dann doch nicht so imaginären) Gegner eine heimtückische Verschwörung zur Erzeugung einer Illusion, eines Milliardenbetrugs, genauer gesagt, der Illusion einer Schuld. Dass der Holocaustleugner nicht unbedingt aus der Kontinuität des deutschen Faschismus stammen muss, erklärt sich daraus, dass es nicht nur um eine nationale Schuld, sondern auch um den Zivilisationsbruch schlechthin geht: Was nicht sein soll, das ist, dass man nach Auschwitz anders denken, anders fühlen, anders handeln müsste. Den Holocaust zu leugnen, bedeutet also nicht nur, das Opfer gleichsam noch einmal zu töten, sondern auch die nächste Runde antisemitischer Gewalt einzuleiten. Nimmt man die Rationalisierungen, die »Erzählungen« der Holocaustleugner fort, so bleibt als rhetorische Struktur nichts anderes als die Vertauschung der Rollen von Tätern und Opfern auf der einen Seite und der radikale Bruch mit der (verhassten) »Erinnerungskultur« auf der anderen Seite. Im Grunde wird hier schon deutlich, dass es eine Beziehung zwischen dem Holocaustleugnen (mag es sich auch »wissenschaftlich« geben) und der Religion gibt.

Es geht um die Wiederherstellung eines Weltbildes, und man ist darin nur durch den Grad seiner Unmenschlichkeit unterschieden von ähnlichen Akten des religiös motivierten »Leugnens« von Erkenntnis, Geschichte und Subjekt, vom Kreationismus bis zum »Gottesstaat«.

Und so ergibt das einen Sinn: Die Welt soll wieder sein, was sie vor dem Zivilisationsbruch war, so wie sie andernorts wieder so sein soll, wie sie vor dem II. Vatikanischen Konzil war, wie sie vor der Öffnung der Kirche zur Welt und zu ihrer historischen Verantwortung war, und wie sie andernorts wiederum so sein soll, wie sie vor der Entstehung des ketzerischen Wissens war.

Offensichtlich gibt es drei Grundformen des »Holocaustleugners«. Der erste ist ein offensiver Faschist, der das Modell strategisch einsetzt als ein spezielles propagandistisches Angebot an die Mitte der Gesellschaft. Der zweite ist der geltungssüchtige Narziss, der den Antisemitismus, zu dem er sich direkt nicht bekennen mag, auf indirekte Weise konstruiert. Er ist in gewisser Weise neidisch auf die Aufmerksamkeit und das Mitgefühl, das den Opfern entgegengebracht wird, so muss er eine Form finden, diese Opfer zu verhöhnen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und der dritte Holocaustleugner ist der imperiale, gottesstaatliche Anti-Modernist, der einerseits keinen Zivilisationsbruch und also keine Mitschuld akzeptieren will und der andererseits immer noch und schon wieder im Juden den zersetzenden, verseuchenden, emotionalisierenden Feind sieht. Ein Wunder ist es also gewiss nicht, dass sich katholische Kampfbünde und iranische Glaubenspolitiker, was die Holocaustleugnung anbelangt, bis in einzelne Formulierungen hinein gleichen.

Die postfaschistische »Bearbeitung« der Geschichte des Massenmordes als System (und ihre Fortschreibung aus dem Untergrund von Wahrnehmung und Begriff) ist ein Netz der Relativierungen: Wir haben nichts oder doch nicht alles gewusst. Ein klein bisschen oder doch schon mehr waren die Juden an ihrer Ermordung selber schuld. Einmal muss doch Schluss sein mit der Vergangenheit, oder sie soll doch endlich normale Geschichte werden. Wir (die relativierten Täter) haben doch auch Schreckliches erleiden müssen. Andere Völker haben auch Verbrechen begangen. Der »Totalitarismus« des »Regimes«, einer kleinen brutalen Clique, hat uns gezwungen (Ihr könnt euch ja gar nicht vorstellen, wie das damals war).

Die Überlebenden und ihre Nachkommen wollen nur unser Geld und, schlimmer, sie weiden sich an »unserer« Demütigung. Die ganze »Erinnerungskultur« und Mahnmalarchitektur ist ein hohles Ritual. So werden wir an einem »gesunden Nationalgefühl« gehindert. Die Juden selber kritisieren doch schon die »Holocaust-Industrie«. Man kann nicht die Geschichte immer nur von diesem »Zivilisationsbruch« aus sehen. Übrigens war es kein Zivilisationsbruch, sondern nur eine historische Katastrophe. Sie hätte überall passieren können. Sie war ein Nebenereignis im Jahrhundertkampf gegen den barbarischen Osten. Und schließlich: Ganz so viele Opfer waren es nicht. Vielleicht waren es sogar viel weniger. Beinahe keine …

Die Holocaustleugnung also ist einerseits eine genau berechnete Rhetorik im harten Kern des neuen Faschismus, sie ist andererseits aber auch ein metaphysisches Lockmittel für den »ganz normalen« postfaschistischen Kopf und seines Systems der Bannungen und Relativierungen. Dieses System, dem wir, ungenügenderweise, den Begriff der »Verdrängung« zugeordnet haben, funktioniert so perfekt, weil seine einzelnen Elemente (mögen sie für sich genommen noch so falsch oder offenkundig »böse« sein) miteinander wirken. Wird eines für den Augenblick durch Vernunft oder Anschauung entkräftet, so weicht man sogleich auf das andere aus. Und wird man bei solcher postfaschistischen Faschisierung der Vergangenheit von Argumenten – oder auch von »Verboten« oder wenigstens von Konventionen (also Holocaustleugnen, das geht gar nicht, nicht einmal im Privatfernsehen!) verfolgt, so lernt man sehr rasch, sich in immer schnelleren Kreisbewegungen von ihnen zu befreien, bis man zum Gegenschlag ausholen kann: Man wird doch in diesem Land noch sagen dürfen … , wir leben schließlich in einer Demokratie … , wir wollen ja nur »Tabus« knacken.

Das System funktioniert aber auch, weil jedes einzelne dieser Elemente eine Brücke bietet, die von einer »harmlosen«, fast noch vernünftigen, fast noch belegbaren Relativierung zum post­faschistischen Wahnsystem führt. Man kann ohne weiteres mit »ein bisschen« Holocaustleugnung beginnen, oder mit anderen Relativierungen zum postfaschistischen Gutfühlen, meinetwegen im Kino »Der Vorleser« sehen, Guido Knopp im ZDF beim Hitlerisieren zuschauen – nein, nein, das ist nicht faschismusverdächtig. Es sind lose Enden inmitten des Mainstreams zum Netz der postfaschistischen Bearbeitung der Erinnerung. Williamson ist das andere Ende: »Die Juden erfanden den Holocaust, damit wir demütig auf Knien ihren neuen Staat Israel genehmigen. Die Protestanten bekommen ihre Befehle direkt vom Teufel. Der Vatikan hat seine Seele an den Liberalismus verkauft.«

Wenn wir das Denken des in Gnaden wieder aufgenommenen Bischofs näher ansehen, dann ist wiederum der Skandal der »Holocaustleugnung« nichts anderes als ein Element eines Denk­systems, das die gesamte Pius-Bruderschaft, nicht als einzelne, sondern als Organisation prägt, in dem neben dem Antisemitismus, der (Religions-)Kriegsbereitschaft, dem autoritären Machtanspruch, dem Führer-Prinzip, also allen Elementen einer konsequent klerikalfaschistischen Ideologie, die beständige »Bearbeitung« der Vergangenheit nach dem postfaschistischen Rhetorik-Netz zu finden ist. Das Entsetzen über das einzelne Element (das man gar noch eine »Entgleisung« nennt) ist pure Heuchelei. Die Holocaustleugnung ist im Gegenteil ein propagandistischer Köder (und hat im übrigen noch ihren Zweck in der allgemeinen Empörungsgeilheit vollständig erfüllt). Sagen wir es also so, wie es ist: Der deutsche Papst hat eine offen faschistische Organisation in die katholische Kirche integriert, die ihrerseits keinen Abstrich im (öffentlichen) Denken, keinen Verzicht auf die Macht- und Erziehungsziele vornimmt, die sie in dankenswerter Klarheit als ihr Missionsziel formuliert hat.

Die Frage nun: Ist das ein Teil (vielleicht sogar ein Schlüssel) zu einem von diesem deutschen Papst lange gehegten Projekt der Rückkehr der katholischen Kirche in die Vor-Moderne? Oder bricht umgekehrt trotz der »Integrationsbemühungen« dieses Papstes der Pakt zwischen Kirche und moderner Gesellschaft unter der Basis- und Rhetorik-Arbeit klerikalfaschistischer Gruppierungen zusammen? Hat uns dieser Papst blamiert, wie der Spiegel titelt, oder legt er uns, pardon, gerade fundamental aufs Kreuz? Die Scharnier-Stelle für beides ist die Inszenierung der »Holocaustleugnung«. Mit öffentlicher Empörung war zu rechnen. Mit privater Zustimmung auch. Die katholische Kirche, so scheint es, wird gerade neu erfunden.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in Jungle World Nr. 7, 12. Februar 2009