Bescheidene Vorschläge, die Wahlbeteiligung in Deutschland zu heben

Seit wir ein Fünf-Parteien-System haben, ist in Deutschland zumindest das Interesse an taktischen Aspekten bei Wahlen gestiegen: Wer kann mit wem und wenn ja, warum nicht? Seien wir ehrlich: Hätten wir vor ein paar Jahren ahnen können, dass sich hierzulande noch einmal so etwas Interessantes wie eine „Ypsilanti-Falle“ auftun könnte? Weil aber die Politiker diese neue Aufgeregtheit in der deutschen Politik damit beantworten, dass sie absolut nichts Relevantes mehr von sich geben, ist die reale wie die innere Beteiligung der Bevölkerung an der Wahl-Veranstaltung immer noch beklagenswert niedrig. Dagegen muss etwas getan werden, sonst heißt es eines Tages: Es ist Wahl, und keiner geht hin.

Wahl-Abstinenz betreiben, neben den Leuten, die an dem Tag was besseres vorhaben oder jenen, die leider schon zu besoffen sind, wenn sie sich endlich entschlossen haben, zur Wahl zu gehen, vor allem drei Gruppen:

Erstens. Die Insassen eines intellektuellen Prekariats . Der Verzicht auf das Wahlrecht fällt dieser (kleinen) Gruppe nicht leicht, so dass sie ihn entweder mit der Publikation von mindestens zwei Grundsatzartikeln begleiten, oder aus dem Wahlvorgang ein klein-situationistisches Happening machen müssen, und Donald Duck, Che Guevara oder, wenn es an Phantasie fehlt, eine der im Angebot befindlichen Spaßparteien wählen.

Die zweite, wesentlich größere Gruppe ist die jener, welche den Wahlkampf für eine ziemlich bescheuerte Show halten, weil man da ja gar nichts gewinnen kann, nicht einmal ein Superhandy mit 50 Frei-SMSen oder einen kleinen Opel, nichts. Bloß Kandidaten können gewinnen und freuen sich wie Bolle, wenn sie gecastet worden sind. Warum soll ich, fragt Herr M. aus K., zu so einer Wahl gehen, wenn ich zuhause auf meinem neuen Flachbildschirm voluminösen Damen bei der Gruppenmasturbation zuschauen kann. „Ach Mike,“ sagt seine Frau (Herr M. heißt nämlich mit Vornamen Mike), „da kämst du wenigstens mal wieder unter Leute.“ Herr M. aus K. lässt sich aber von der Wahl den Tag nicht verderben.

Drittens: Die größte Gruppe. Der Teil der Bevölkerung, der sich von den Arschlöchern da oben sowieso nichts verspricht, egal wie die jetzt heißen.

Fast genau so unangenehm für das Selbstbildnis der Demokratie wie die Nichtwähler sind die schlecht gelaunten Wähler, die hingehen, nur weil es eben sein muss, damit das Schlimmste verhindert wird, die das kleinere Übel wählen, und die nachher sagen, es hätte ja mal wieder sowieso nichts genutzt. Dann docken die schlecht gelaunten „Demokratie-verteidigen-auch-wenn-sie-nichts-taugt“-Wähler an der ersten Gruppe an, und alle jammern über die Zustände in einer Postdemokratie. So geht es nicht weiter.

Das Wählen muss also wieder lustiger werden. Und dazu meine bescheidenen Vorschläge:

1.) Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, das ist, dass unsere Politiker in der direkten Konfrontation im Medium immer noch die Leute vom Fernsehen überfordern. Selbst Profis des Politainment wie Angela Merkel reagieren noch erstaunt, wenn sie bemerken, dass ihre mehr oder weniger journalistischen Gegenüber bei jedem Versuch, einen Zusammenhang zu erklären, und sei es auch noch so falsch, sofort bemerken, das wäre jetzt in diesem Zusammenhang viel zu kompliziert. Dann schauen Angela, Steini oder Westerwelle immer so leer in die Kamera, so: So viel Blödheit, Unterwürfigkeit und vorauseilende Verschleierung! Womit haben wir das verdient? Daher unsere erste Forderung: Die deutsche Politik muss endlich auf das Niveau heruntergebracht werden, auf dem das deutsche Fernsehen schon ist!

2.) Nicht nur Arbeit, Herr Westerwelle, die schon gar nicht, sondern die Wahl muss sich wieder lohnen. Da wir ja keine Wahlpflicht mehr einführen können, das passt einfach nicht, müssen wir umgekehrt Anreize schaffen. Ich schlage also vor, die Teilnahme an einer Wahl pro Wähler mit einer Prämie von 100.- € zu belohnen. Was Banken und Automobilindustrie ihr wert sind, das müsste doch der kapitalistischen Demokratie die Selbsterhaltung wert sein! Und außerdem stärkt es den Einzelhandel, das allgemeine Wohlbefinden und stellt das soziale Gleichgewicht wieder her: Der Banker kriegt genau so seine hundert Euro wie der Hartz IV-Empfänger.

3.) Der Mensch unserer Zeit muss die Einsamkeit in der Wahlkabine besonders drückend empfinden. Um also mit den Worten des großen Harald Juhnke zu sprechen: Da muss Musike rinn! Mein Vorschlag: Musikgestütztes Wählen. Auf das Wählen kann sich der Wähler schon durch die Wahl seines Musik-Programms in der Kabine vorbereiten: a) Hansi Hinterseers volkstümliches Hit House, b) Classic Light (Die schönsten Militärmärsche gespielt vom Orchester James Last) und c) Kuschelrock, unplugged. So fühlt sich der Wähler wohl und will seine Kabine gar nicht mehr verlassen. Deshalb

4.) Das Wahllokal muss endlich seinem Namen gerecht werden. Für Speis und Trank muss gesorgt werden: Kaffee und Kuchen, wahlweise Freibier und Schnittchen (für die Kinder des Wahlvolks gibt es eine Hüpfburg und der Magier Waldi macht ganz lustige Luftballon-Skulpturen). Natürlich muss die Regel gelten: Erst wählen, dann saufen. Eben dies bringt uns auf den nächsten Vorschlag:

5.) Der bunte Wahl-Shuttle-Zug fährt durch die Stadt und holt die Wähler und Wählerinnen ab und bringt sie sicher wieder nach hause. Für Stimmung unterwegs sorgen Willy & Die Wahlmänner mit Schunkelmusik nach Ihrer Wahl. Der bunte Wahl-Shuttle-Zug fährt die ganze Nacht durch, denn es gibt ja auch

6.) Die Wahlparty! Wahrscheinlich ist es Ihnen schon aufgefallen: Kaum ist die Wahl zu ende, da schalten sie im Fernsehen zu den so genannten Wahlparties. Bislang waren die immer nur für die Mitglieder einer Partei. Haben sie gewonnen, dann haben sie auf ihrer Wahlpartei getanzt und geklatscht und geschunkelt und gejohlt, haben sie verloren, dann lagen sie sich weinend in den Armen, was emotional auch sehr schön ist. Beim Umschneiden des Fernsehens auf die Wahlparties ist das Wahlvolk immer sehr neidisch geworden und wäre am liebsten gleich sofort in eine Partei eingetreten, damit man bei einer Wahlparty dabei sein darf. Daher meine Forderung: Wahlparties für alle! Sobald das Wahllokal vorne geschlossen hat, geht hinten die Wahlparty los.

7.) Wie aber kann man die attraktiv gestalten? Auch da heißt es vom Fernsehen lernen. Jedes Wahllokal bekommt einen Überraschungsgast. Der bedankt sich dann recht recht herzlich für die wahnsinnige Mühe, die sich die Wähler gemacht haben, und sagt, dass wir immer noch alle zusammen gehören und eine Demokratie haben in unserem schönen Land. Auf der regionalen Ebene ist da an Apfelmostköniginnen zu denken, das Faschingsprinzenpaar von 1999, oder den Meister im Traktor-Pulling. In größeren Städten schicken die Agenturen Prominenz: Gina Wild zeigt ihre Berufskleidung, Horst Schlämmer repariert Wahlkabinen und Alfred Biolek kocht mit Livio-Öl. Natürlich reicht das noch nicht für eine gelungene Wahlparty, man muss ja auch über irgendwas jubeln oder sich weinend in die Arme nehmen können. Daher

8.) Das Wahl-Bingo. Jeder Wähler gibt nicht nur seine Stimmen ab, sondern darf anschließend auch auf den Wahl-Ausgang in seinem Stimmbezirk und, wenn er in die Endrunde kommt, in ganz Deutschland wetten. Damit vermeiden wir die Stärkung extremistischer Parteien rechts und links, denn wer ist schon so blöd, seine Stimme einer Partei zu geben, die nachher nicht gewinnt und man hat sich seine Chance auf eine zweiwöchige All-Inclusive-Reise nach Thailand versaut! Großzügig könnte man nach der Einführung des Wahl-Bingo auch auf die Fünf-Prozent-Klausel verzichten. Unser Slogan: Mehr Democratainment wagen! Zwanglos wird dazwischen auch ein Polit-Quiz abgehalten, der dem Verfassungsauftrag der politischen Bildung genügt: Wie heißt die arme aber sexy Hauptstadt Deutschlands?  Was macht der junge Mann mit den geölten Haaren und dem teuren Anzug und mit den vielen Namen im Hauptberuf? Darf man Asylantenheime gleich anzünden oder muss man vorher fragen?

9.) Mit alledem wird man vielleicht immer noch keine Wahlbeteiligung von hundert Prozent erreichen, was eigentlich nicht weiter schlimm ist, weil wir ja eine Freiheit haben in der Demokratie. Dennoch schlage ich vor, die anti-demokratischen Elemente, die sich von unseren großzügigen Angeboten nicht überzeugen lassen, einmal etwas genauer in ihrem privaten Lebensfeld  und beim E-Mail-Verkehr zu überwachen. Da wir nämlich eine wehrhafte Demokratie sind, dürfen wir anti-demokratische Haltungen keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen. Nachforschungen auch beim Arbeitgeber und bei den Nachbarn sollten kein Tabu sein. Auch das perfekteste Democratainment kann auf einen Schäuble nicht verzichten!

10.) Die Realisierung meiner bescheidenen Vorschläge übernimmt gerne meine Firma Democratainment GmbH & Co KG. Ausführungen ohne Lizenzrechts-Vereinbarungen werden mit Abmahnungen und zivilrechtlichen Konsequenzen geahndet. Die Begriffe „Democratainment“, „Lustig-bunter Wahl-Shuttle-Zug“ und „Wahl-Bingo“ sind urheberrechtlich geschützt, der Rechtsweg ist von vorneherein total ausgeschlossen.

Und jetzt können Sie wählen gehen.


Autor: Georg Seeßlen

Text geschrieben im September 2009