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TV-Duell Merkel gegen Steinbrück am 01.09.2013 (screenshot zdf.de)

Da geht die Postdemokratie ab!

TV-Duell Medien und Politik lieferten am Sonntag eine große Realityshow. Angela Merkel und Peer Steinbrück waren ganz ordentliche Protagonisten, oder?

Unsere Printed Critic Show

Meine Damen und Herren, willkommen zu unserer Printed Critic Show anlässlich des Höhepunktes im Wahlkampf 2013, dem TV-Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Peer Steinbrück. Unter dem Motto „Macht mediale Postdemo-kratie wenigstens Spaß?“ streiten sich zum Thema Pop und Politik in diesem Artikel: auf der rechten Seite das PRO – pragmatisch, tolerant, menschenfreundlich. Und auf der linken Seite das CONTRA – unbestechlich, kritisch, konsequent.

Bevor wir nun, sozusagen, das Match beginnen lassen, ein kleiner Rückblick unseres Medienexperten auf die Ereignisse vom vergangenen Sonntag:

EXPERTE: Ja, das war schon eine gelungene Dramaturgie um ein Geschehen, von dem man von vornherein wissen musste, dass der Diskursgewinn eher bescheiden ausfallen würde. Vorher mit Günther Jauch und Gästen wie Edmund Stoiber, der bei dieser Gelegenheit ein wundervolles Wortgebilde von der interessanten Gegenwart erzeugte, hintendrein mit Talkshow, Zuschauerbefragung, Interviews, Aftershow Partys, Ratings, „Kommunikationswissenschaftler“ und Public Viewing. Es ging ja, wie Sie wissen, darum, insbesondere die „Politikfernen“ und die Jugend in diesem unserem Land zu erreichen und für die erzdemokratische Disziplin des Wählens zu begeistern. Und das geschieht immer noch am besten durch eine möglichst ausgedehnte Reality Show.

Von Anfang an wurde die Analogie mit einem Fußballspiel herausgestellt, einschließlich der Dauer (wenn auch so etwas wie eine „Halbzeit“ erst nachträglich, durch das Zuschauervoting, eingeführt wurde), das Setting war ganz nach dem Muster einer Quizshow gewählt, und bei den Kommentaren wurde immer wieder in die Fußballsprache oder in den Jargon des Showbusiness gewechselt. Außerdem wurde Stefan Raab als „Vertreter der Unterhaltungssektion“ eingesetzt, der sich Mühe geben sollte, zwischen den zwei politischen und den drei journalistischen Langweilern den einen oder anderen kleinen Temperamentsausbruch zu simulieren.

Natürlich geht die Attraktion nicht von einem „verbalen Schlagabtausch“ aus, sondern einerseits vom Rating und Ranking hinterher, die den Mitmachfaktor einer Castingshow bieten sollen, und zum anderen von den „Haltungsnoten“. Insbesondere für diese haben wir Experten wie etwa, laut Die Welt, „den Berliner Mimikexperten Dirk W. Eilert“, der „in den Gesichtern der beiden Kontrahenten noch viel mehr ablesen“ kann und uns zum Beispiel lehrt, bei Angela Merkel „zwischen echtem und sozialem Lächeln zu unterscheiden“ (was dieExpertenkollegen nach dem Event denn auch dankbar aufgreifen).

Das Publikum war also perfekt eingestimmt, um auf echtes und falsches Lächeln, Handbewegungen, Satzlängen oder auf eine Halskette in Schwarzrotgold zu achten. Es wurde schließlich nicht umsonst immer wieder darauf hingewiesen, dass es ganz besonders auf die Noten in „Sympathie“ und „Glaubwürdigkeit“ ankomme. „Aussagen“ sind demnach die Fehler, die bei allzu lässiger Handhabe der Standardsituationen unterlaufen können und vom Gegner ausgenutzt werden, um, nun eben: „zu punkten“.

Der größte Erfolg einer geschickten Meinungserpressung war denn auch das klare „Nein“ der Kanzlerin zur Autobahnmaut für Pkws, dessen Wirksamkeit freilich noch einmal durch ein Schiedsgericht geprüft werden muss, da ein verstecktes Foul nicht auszuschließen ist, ebenso wie das absichtliche Missverstehen von Peer Steinbrücks Pen-sionsundeutlichkeiten durch Angela Merkel, wo es sich möglicherweise um ein klares Abseits handelt. Die Einwürfe von der Seitenlinie der Metaebene …

Ja, vielen Dank. Ich sehe gerade, dass sich die beiden Argumente satzfertig gemacht haben. Nach unserem Reglement steht dem PRO der Anfang zu. Bitte!

PRO: In einer Gesellschaft, in der sich Sinn und Form mehrheitlich durch Genres der populären Kultur, durch Entertainment, Event, Spektakel vermittelt, ist es ebenso konsequent wie nutzbringend, dass sich auch die demokratische Meinungs- und Willensbildung in der Sprache der Unterhaltung realisiert. Nur in dieser zeitgemäßen Weise wird noch eine Teilhabe der Bevölkerung erreicht. Würde man sich auf die klassischen Diskursformen, die Rede, das Textplakat, den Zeitungsartikel, beschränken, wäre Demokratie rasch die Sache einer schrumpfenden Minderheit.

Vielen Dank, so weit also das PRO-Argument. Und jetzt bitte das CONTRA. Und denken Sie an das Zeilenlimit.

CONTRA: Durch die Verschmelzung von Politik und Unterhaltung kommt es zu einer Beschleunigung der Spirale von Komplexitätsreduzierung und Fiktionalisierung; man fragt nicht mehr nach Inhalten, sondern nur noch nach Performances. In den medialen Echoräumen wird das politische Subjekt als Figur einer ewig laufenden Soap Opera bewertet, nicht mehr als Teil von Entscheidungen, sondern als Teil von Widerspiegelungen. Man sieht das unter anderem daran, dass größte Zustimmung bei inbrünstig vorgetragenen, vollkommen leeren Pathosformeln – Angela Merkels „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person“ etwa – erzeugt wird.

Ja, danke schön, bevor wir ins Einzelne gehen, bitte eine Replik von PRO, aber bitte ganz kurz.

PRO: Das kann ich ganz kurz machen: Das deutsche Fernsehvolk hat diesen linken Kulturpessimismus gründlich satt. Es konnte doch sehen, dass sich die beiden Kontrahenten um Fairness und Sachlichkeit bemühten. Ein Muster für die politische Kultur in un-serem Land!

Sehen Sie, da kommt doch Pfeffer ins Duell! Und nun wieder das CONTRA.

CONTRA: Vielleicht hat ja auch das Wahlvolk Politik satt, die sich verkauft, als wären die Protagonisten nur noch Testimonials für Marktanteile von Produktlinien oder Sendeformate. Dieser Imagepopulismus wird ja nicht mehr von Ideen, sondern von Spin Doktoren, Leadagenturen und Medienberatern getrieben. Kein Wunder, dass sich die Produkte kaum noch unterscheiden. Sie wollen ja alle den gleichen Kunden nach dem Mund reden, und wir sehen der Lüge …

Ja, vielen Dank. Da wurden doch schon ein paar Zeilen zu viel verbraucht. So können wir, vor einer ersten Auswertung, den Kontrahenten nur noch eine Zeile als Schlusswort geben. Das PRO zuerst:

PRO: Es ist notwendig, die Demokratie in Unterhaltung zu verwandeln, um sie zu retten.

Danke, und noch das CONTRA:

CONTRA: Die Verwandlung in Unterhaltung ist das Ende der Demokratie.

Wenigstens in unserer Printed Critic Show ließen es die Kontrahenten nicht an deutlichen Aussagen fehlen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, zeigen die ersten – noch nicht repräsentativen – Umfragen, dass von den meisten Lesern unserer Kritikschau dann doch eine Koalition gefordert wird. Am PRO wird am meisten die abgeklärte Coolness und der Realitätssinn geschätzt, weniger gut kommt der Verzicht an, eine Geschmacks- oder Blödheitsgrenze vorzusehen. Das CONTRA ist naturgemäß bei Traditionalisten der Aufklärung und des Humanismus, allerdings auch bei konservativen Bildungsbürgern beliebt, negativ zu Buche schlägt die Gefahr einer intellektuellen Überforderung und der kritischen Rechthaberei.

Der Unterhaltungswert von Events wie dem TV-Duell wird übrigens von beiden Fraktionen als überschätzt angegeben. Das deutsche Fernsehen ist einmal mehr in seinen Hauptfehler verfallen, nämlich vor allem sich selbst zu feiern und sich selbst unglaublich toll zu finden. Eine Annäherung der beiden Haltungen zur Verknüpfung von populärer Kultur und Politik jedenfalls scheint jenseits der Printed Critic Show denkbar. Vielleicht im Zeichen eines Dialektikrevivals. Und nach der Wahl fangen wir wieder zu denken an, versprochen.

 

Geoerg Seeßlen, der Freitag # 36/13 vom 05.09.2013