350-Maximilian_SchellDer Schönste der Untergeher

Er wirkte wie von Anton Tschechow erfunden. Dunkle, schöne, zukunftslose Melancholie. Wenn Maximilian Schell die Bühne oder die Leinwand betrat, wurde alles langsamer und leiser. Aber das war immer eine Ruhe vor dem Sturm. Manchmal kam er, manchmal auch nicht.

Das BRD-Kino der Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderzeit handelte von unfertigen jungen Menschen, die es nicht schafften, zu leben. Und von vollkommen fertigen Menschen, die es nicht schafften, zu sterben. Maximilian Schell, Spross einer österreichisch-schweizerischen Künstler- und Intellektuellenfamilie, gehörte weder zu der einen noch zu der anderen  Kategorie. Erst in seinen achtziger Jahren hat Schell es entspannt zugeben können, dass er das Schauspielen eigentlich nicht besonders mochte. Es war ein Beruf, kein Leben. Das unterschied ihn von den grandiosen Narzisten von „Papas Kino“, O.W Fischer, Curd Jürgens, auch Schells Schwester Maria, das „Seelchen“, die sich selbst mit ihren Leinwand-Bildern verwechselten. Maximilian Schell war dagegen ganz Bewusstheit, Kontrolle, Vertrauen in eine durchaus würdevolle Ausstrahlung und eine wohlklingende literarische Sprache. Er war der Bildungsbürger in falscher Zeit.

Dieser Mann, dessen Familie aus Wien vor den Nazis geflohen war, wurde dann über zwei Jahrzehnte das perfekte, „abgekühlte“ Bild des deutschen Mannes in Faschismus und Krieg. Kein Verrückter, kein Monster, keine Karikatur. In Schells Rollen in dieser Zeit löste sich deutsche Schuld in abendländischer Endzeitstimmung auf. Er ist ein Soldat, der nicht mehr mitmachen will, in KINDER, MÜTTER UND EIN GENERAL (1955), ein Apologet des Durchhaltens in YOUNG LIONS (1958) – da hat Marlon Brando, erblondet, die Rolle des Rebellen inne; in JUDGEMENT IN NURENBERG (1961) ist er der deutsche Verteidiger, dem der Film mit Respekt begegnet, wenn er die Verbrechen der Angeklagten als Teil tragischer Menschheitsgeschichte relativiert, und dann, in THE ODESSA FILE (1974) ein KZ-Kommandant. Am eindringlichsten und bösesten in dieser Reihe ist der Hauptmann von Stransky in Sam Peckinpahs STEINER (1977), der nichts anderes im Kopf hat als ein Eisernes Kreuz, um in seinen Kreisen etwas zu gelten, und der seine ganze, hinterlistige Intelligenz dazu aufwendet, einen Soldaten der Homosexualität zu überführen. Peckinpah, dessen wüsten Weltkriegswestern man damals schmähte, war der einzige, der die Maske des eleganten Untergehers zertrümmerte. Um dahinter Bosheit, Wahn und Feigheit sichtbar zu machen.

Allen diesen Rollen ist eines gemeinsam: Schell spielt den in den Faschismus verstrickten Bürger als Protagonisten in einem bürgerlichen Trauerspiel. Die Wahrheit ist nie konkret in seinen Filmen (von besagter Rolle abgesehen), der Faschismus kein Ineinander von Verbrechen, sondern ein Menschheitsdrama. Nur wenig musste sich daher ändern an der Endzeit-Melancholie des Bürgers, als Maximilian Schell entgegengesetzten Rollen übernahm. So ist er der Vater der Protagonistin in DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK (1980) und er ist ein Jude in New York in THE MAN IN THE GLASS BOOTH (1975), der unter Anklage von Kriegsverbrechen gestellt wird. Schuldig oder nicht – Maximilian Schell war niemals vulgär. Auch sein Lenin in Ivan Passers Biopic STALIN (1995) ist weniger Handlung als Erläuterung. Schell war immer ein Schauspieler des Blicks und der präzisen Gesten von Armen und Händen, ein Schauspieler des ganzen Körpers war er eher weniger. Mit einer ganz ähnlichen Geste machte er dann im Fernsehen eine dritte Karriere als eleganter Erzähler in kulturellen und historischen Features, der genau so die Welt erklärte. Als bürgerliches Trauerspiel. Oder in distanzierter Ironie. Die personifizierte, reife Abklärung. Ein großer Abgang für den Bildungsbürger.

680Schell.„Das Urteil von Nürnberg“ 1961

Das Urteil von Nürnberg (1961; R: Stanley Kramer)

Bei Schell siegte immer die Form über den Inhalt. Die Sprache ist Literatur, das Bild ist Komposition, die Bewegung ist Choreographie. Das war ein Deutscher, mehr oder weniger, der sich rückhaltlos zur Romantik bekannte, als Schauspieler und als Mensch. Und vielleicht deswegen war Maximilian Schell ein begehrter Deutschen-Darsteller im internationalen Film, aber nie ein großer Star im deutschen Kino. Er konnte nicht wirklich „volkstümlich“ sein. Aber zum Rebellen taugte er noch viel weniger.

Das war auch Stärke und Schwäche seiner Regie-Arbeiten, beginnend 1970 mit der Turgenjew-Verfilmung ERSTE LIEBE. Alle diese Filme sind „gepflegt“ aber ohne Dringlichkeit. Nur bei genauem Hinsehen erkennt man, wie abenteuerlich die Produktionsgeschichten, wie unsicher die Finanzierungen waren. Es wurde aber kein cineastischer Zorn darau. DER FUSSGÄNGER (1973), eine weitere Erkundung zur deutschen Vergangenheit als Tragödie, die Zusammenarbeit mit Friedrich Dürrenmatt bei DER RICHTER UND SEIN HENKER (1975), die Ensemble-Leistung von GESCHICHTEN AUS DEM WIENERWALD (1979), der genau so nah an Ödön von Horvath war, im Schauspiel, im Script, in der Anordnung der Figuren im Raum – nur eben nicht als Film.

Fast bekannter wurde Schell für seine beiden Portrait-Dokumentationen über Marlene Dietrich (1984) und über seine an Demenz erkrankte Schwester Maria Schell (2002). Es geht in beiden Filmen um Frauen, die einst einen übergroßen Schatten warfen, deren Leinwandbilder einst „Weiblichkeit“ definierten, und die nun verschwanden. MARLENE und MEINE SCHWESTER MARIA SCHELL, diese Dramen der verschwindenden Frauen, die den Filmemacher Maximilian Schell auf der Höhe seiner Kunst zeigen (vielleicht, weil es keine Literatur gab, hinter der man sich verstecken, unter der man sich ducken musste) scheinen auf den ersten Blick das genaue Gegenteil zu seiner fortlaufenden Chronik des Faschismus als tragische Dekadenz des bürgerlichen Mannes. Die Zärtlichkeit dieser Filme liegt in der Erkenntnis, dass man die Bilder zerstören müsste, um die Menschen zu retten. Und dass das gar nicht geht. Denn Marlene und Maria waren nur glücklich und behaust in ihren Filmen und Auftritten. So schließt sich ein Tschechow-Kreis vom Bleiben und vom Verschwinden.

In diesen Portraits zeigte sich Maximilian Schell als so höflicher wie hartnäckiger Ladies’ Man. Wie im Leben, ein sanfter, dunkler Verführer, der seinen Schal trug wie eine erotisch-kulturelle Verpflichtung. Zum Zögern, vielleicht.

Es gab ein letztes, schönes Projekt, einen Film über einen 80jährigen Schauspieler, der noch einmal den Hamlet spielen will. Eine Figur, die Maximilian Schell sein Leben lang beschäftigt hat. Eigentlich hat er immer Hamlet mitgespielt, sogar in den miserablen Filmen, in denen er, der Wahrheit die Ehre, auch ab und an zu sehen war. Vielleicht hätte Maximilian Schell hier endlich sein können, was er als Schauspieler und Regisseur nie war: autobiographisch. Dazu ist es nicht mehr gekommen.

Georg Seeßlen, Die Zeit 06.02.2014

Bilder:

Schell CC BY-SA 3.0 Udo Grimberg

Das Urteil von Nürnberg, © Twentieth Century Fox Home Entertainment Germany