Der überfüllte Himmel

Kino-Mythos und Neurose: »Star Wars« wird nach dreißig Jahren mit Teil 6 vollendet

Erzählen, sagt man, sei eine Funktion der Neurose und andererseits das beste Mittel gegen sie. Die Neurose wiederum wird gern beschrieben als »Entwicklungshemmung«: Man schafft es nicht recht, von etwas oder jemandem loszukommen. Erzählen soll einem dabei helfen und hebt zugleich auf, wovon man sich so schwer trennt. So wird eine symbolische Ordnung geschaffen, durchs Einkreisen ihrer Störungen. Eine prekäre Medizin: Was Heilung und Neubeginn verspricht, kann leicht die Krankheit verschärfen und in neue Gefangenschaft führen. Nach der Neurose können wir uns auch in ihrer Erzählung verstricken. Insbesondere wenn sie multimedial verbreitet, allgegenwärtig und von einer treuen Gemeinde als »Kult« gegen Blasphemie und Ketzerei geschützt wird.

So geschieht es mit einer Erzählmaschine wie Star Wars. Die hat nie ein Hehl aus ihrer Geburt in der Neurose gemacht und ist über dreißig Jahre lang bei ihrer Bearbeitung nicht weitergekommen. Dafür hat sie unzählige Menschen verschiedener Kulturen und Generationen in Bann geschlagen und nebenbei ein paar Milliarden Dollar gemacht. Jetzt, mit dem sechsten großen Film, nach zahllosen Seitenlinien in Trickserien, Romanen, Comics, Computer- und Hinterhofspielen, ist die Geschichte zu Ende erzählt. Sie hat sich in eine mythische Endlosschleife verwandelt, in der es einem weder gelingen will, noch einmal Kind zu werden, noch gar, »erwachsen« zu werden. 

Von »Star Wars« nicht berührt zu werden ist unmöglich

Der Neurotiker, wir können ihn auch den Helden nennen, rumort in der Weltgeschichte, weil ihn sein Familienroman verrückt macht. Ob er Revolutionär oder Tyrann oder gleich beides wird, bleibt einerlei. Er möchte der Welt eine symbolische Ordnung aufzwingen, er muss das »große Andere« werden oder bezwingen, und er muss das tiefste Geheimnis lösen, um das zu heilen, was nicht stimmt zwischen Vater, Mutter und Kind. Wir müssen uns Hänsel und Gretel als glückliche Menschen vorstellen; sie sind entschieden der Neurose entkommen.

Es gibt nur zwei Neurotiker, erklärt Sigmund Freud, der eine passt ins Bild von Ödipus, der andere in das von Hamlet. Der eine bringt den Vater um, weil er mit der Mutter vereint bleiben will, der andere ist in Schuld mit dem Geist des Vaters vereint, gegen die tödliche Verführung der Mutter. Beiden gemeinsam ist, dass sie nicht genau wissen, was sie tun, und dass alles, was sie versuchen, um dem Unglück aus dem Weg zu gehen, dieses nur umso unabwendbarer macht. Star Wars ist die Geschichte von Hänsel, der einmal Ödipus und einmal Hamlet wurde und in dieser Dreiheit stirbt und ewig wiederkehrt. Drumherum gibt es Raumschlachten, Machtintrigen, Technologie und Traum-Architektur, Freundschaft, Verrat und Heldenreisen, Schurken und Monster, sehr symbolische Verletzungen und sogar ein bisschen Politik. Und Gretel-Ophelia-Jokaste hat eine Neigung zu merkwürdigen Frisuren.

Wie jeder große Pop-Mythos hat auch der von Star Wars eine innere und eine äußere Gestalt. Die innere ist dieses gewaltige Weltraummärchen, das mit den Worten eingeleitet wird: »Es war einmal in ferner Zukunft.« Zwei verlorene Kinder, Luke Skywalker und Prinzessin Leia, finden sich wiedervereint im Kampf gegen ein finsteres Imperium und seinen furchtbarsten Vertreter, den schwarzen Rüstungsmenschen Darth Vader. Den beiden zur Seite stehen ein Gespann lustiger »Droiden«, ein Weltraum-Cowboy namens Han Solo und die Überlebenden eines einst mächtigen, der »Republik« dienenden Ordens, der Jedi-Ritter. Darth Vader, man ahnt es schon im Namen, ist in Wahrheit der Vater der Zwillinge, ein einstiger Jedi, der auf die dunkle Seite der Macht gewechselt ist. Und zum Ende müssen sich Luke Skywalker und sein Vater Anakin zum Todeskampf gegenüber stehen, wobei noch einmal das verschüttete Gute im dunklen Vater zum Vorschein kommen darf.

Dies ist der Inhalt der ersten Trilogie, des Ödipus-Teils. In der zweiten wird der Frage nachgegangen, wie und warum Anakin Skywalker vom Jedi-Ritter zum bösen Darth Vader wurde. Dem letzten Film dieser Hamletistischen Trilogie nun kommt die Aufgabe zu, aus vielen Andeutungen die Frage zu beantworten: Wie wird aus einem Helden ein Schurke? Und wie verhält es sich mit einer hellen und einer dunklen Seite der Macht?

Die äußere Gestalt des Mythos Star Wars ist die Erfolgsgeschichte von George Lucas, einem Regisseur der ersten Filmhochschulgeneration in den Zeiten von Kino-Krise und New-Hollywood-Hoffnungen. Statt das Angebot seines Freundes Francis Coppola anzunehmen, die Regie bei Apocalypse Now zu übernehmen, verbiss er sich in ein fantastisches Sujet, das ihn seit seiner Kindheit beschäftigte und immer wieder neue Formen annahm. Im Kern aber blieb es das große Science-Fiction-Western-Ritter-Musketier-Abenteuer, die Quintessenz aller Heldengeschichten, die wir nun als »größte Kino-Saga aller Zeiten« kennen. In der Geschichte Hollywoods hat George Lucas die Rolle eines konservativen Erneuerers, der in der größten Krise das Hollywood-Kino neu erfunden hat, obwohl ihm die Mächtigen der Traumfabrik so misstrauisch und überheblich gegenübertraten, wie alte Männer das nur gegenüber jungen Genies tun. Lucas trat einen beherzten Schritt zurück, mit einem neuen, eklektischen Erzählkonzept und unter Einsatz neuer digitaler Technologien in einer Zeit, in der der C-64 die Kinderzimmer eroberte. Für die Vertreter des anderen New Hollywood aber war Lucas der große Verräter. Ein Rebell, der zum Mogul wurde. Weil er mutiger und rücksichtsloser war als die Väter der alten Traumfabrik und der alten Wirtschaft. Ödipus-Hamlet für die New Economy.

Der Mythos Star Wars entsteht nicht zuletzt aus der Spannung zwischen seiner inneren und seiner äußeren Gestalt. Man darf als Fan Luke und Anakin Skywalker in George Lucas sehen und umgekehrt. Darum sind Star Wars-Trivia, Gerüchte und Statements von der »Skywalker-Ranch«, Umsatzzahlen und die Namen von Computerprogrammen und Kameraverfahren keine Desillusionierung, sondern Teil der Erzählung. Daraus entsteht eine dritte Geschichte, die der biografischen Auflösung. Für viele Menschen begann 1976 mit dem ersten Star Wars-Film die Entdeckung des Kinos, für andere wurde dieser eigentlich lächerliche Kinderfilm, in dem aber eben doch eine enorme innovative Energie steckte, zum Totenlied auf die Kino-Moderne. Der postmoderne Blockbuster war geboren, der als Zentrum einer gewaltigen Vermarktungsmaschine funktionierte. Von Star Wars nicht berührt zu werden war und ist unmöglich, und sei es durch das Zeug in der Cornflakes-Packung, die Baseballkappen der Kids oder diesen blöden Spruch der Kollegen: Möge die Macht mit dir sein! Fast genauso unmöglich ist es, über diesen Mythos zu sprechen, ohne die Gefühle einer »Gemeinde« zu verletzen, die aus der Kino-Erzählung die Mutter aller Kult-Phänomene zu machen verstand. Womit wir wieder bei der Neurose wären.

Warum eigentlich muss Anakin Skywalker vom »auserwählten« Helden zum Inbild des Bösen werden? Weil er nach dem Tod der Mutter auch den Tod der Ehefrau träumt? Weil Bösewerden die einzige Möglichkeit ist, dem Schicksal des Erwachsenwerdens zu entgehen? Weil Anakin-Hamlet sich als seinen Vater eben nicht den freundlichen Kenobi aussucht, der ihn zur Selbstständigkeit erzieht, sondern den finsteren Imperator, der vollständige Hingabe verlangt? Weil dieser Held-Schurke nicht Vater werden will? Weil er narzisstisch gekränkt wurde, weil Macht eine ansteckende Krankheit ist, weil das Töten zur finsteren Lust wird oder weil Anakin Skywalker glaubte, nur durch das Böse seine Liebe retten zu können? George Lucas’ Antwort ist großzügig: Von allem ein bisschen was. Und neben der neurotischen löst der unglückliche Schöpfergott der Star Wars damit auch gleich die politische Struktur seiner Kosmologie im Unverbindlichen auf. Die Verwandlung der Republik ins Imperium, die eigentliche Intrige hinter dem gewaltigen Krieg, bleibt eine rhetorische Geste. Alltag, Ökonomie und Interesse kommen ebenso wenig vor wie das eigentliche Subjekt einer Demokratie, der einfache Mensch (oder Wookie, Ewok, was auch immer). Hamlet erklärt Ödipus und umgekehrt; das Böse der Diktatur erklärt das Gute der Republik und umgekehrt. Alles andere löst sich im Krieg.

Der Erfinder, George Lucas, ist ein begnadeter Müllmann der Träume

Filme funktionieren indes nicht nur als »Erzählungen in Bildern«; es sind auch Schulen der Empfindung von Raum und Zeit. Mit der allerersten Raumschlacht des ersten Filmes war ein neues Bewegungsgefühl geboren, eine Egoshooter-Grammatik und das stürzende Mittendrin in Mehrfachbewegungen. Im sechsten, letzten Teil, Die Rache der Sith, der mit einer solchen Raumschlacht und Leistungsschau digitaler Effekte beginnt, ist die Gleichzeitigkeit von Unübersichtlichkeit und Kontrolle ins Absurde gesteigert. Alles stürzt, gleitet, fliegt, immer ist der Himmel total überfüllt. Im Star Wars-Weltraum gibt es keine Einsamkeit, nicht Schwerelosigkeit noch Stille. Ein zweiter, semiotischer Urknall hat stattgefunden und gewaltige Mengen Design-Partikel ins All geschleudert. In Star Wars ist es passiert: Wir haben das Universum zugemüllt!

Das entspricht ganz dem Wesen des Schöpfers: George Lucas, Inhaber der Effekt-Firma Industrial Light & Magic, kann einfach nichts wegwerfen, nichts aus- und hinter sich lassen. Er ist ein begnadeter Messie, der seinen Spleen kapital und kosmisch ausgedehnt hat. Er ist aber auch ein unglücklicher Schöpfer, der nie zufrieden mit seinem Werk ist. So ist auch für ihn der einzige Ausweg ein endloses Kreisen im Mythen-Müll. Nach wie vor ist dies das Faszinierende an Star Wars: dass die Filme entstehen wie eine Wundertüte. Drinnen tanzen die Zeichen: Leni Riefenstahl mit Fritz Lang, Spätromantik mit Präraffaeliten. Jede Sequenz wartet mit neuen Maschinen, neuen Lebewesen, neuen absurden Landschaften auf, und auf Grandioses folgt Verkorkstes, der eine Schauspieler gibt Shakespeare, der andere Pulp Fiction, und Hayden Christensen verdient sich als Anakin Skywalker einen Ehrenpreis als Erfinder eines neuen Schauspielstils, nennen wir ihn Comic-Kabuki. Man muss es lieben oder lassen. Aber, ach, melancholisch kann man trotzdem werden. Nicht weil man sich von einem Traum verabschieden müsste. Sondern weil einem bei all dem digitalen Wundertüten-Aufwand etwas erschreckend deutlich wird: dass man auf dem Weltmarkt der Pop-Kultur von nichts anderem erzählen kann als von alten Neurosen und von neuen Kriegen.

Georg Seeßlen

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Die Zeit