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Soldaten der Bundeswehr während des ISAF-Auslandseinsatzes in Afghanistan

In Cormack McCarthys Roman The Road kämpfen sich ein Mann und sein etwa zwölfjähriger Sohn durch eine kaputte, postapokalyptische Welt voller Kannibalen, Wahnsinniger und Mörder. Und es gibt an einer besonders erschreckenden Stelle die Frage des Jungen an seinen Vater: „Sind wir noch die Guten?“

Stellen wir uns ein zwölfjähriges Kind vor, das diese Frage an uns stellt, vielleicht vor dem laufenden Fernseher mit seinen Nachrichten aus der kaputten, kannibalischen Welt: „Sind wir noch die Guten?“. Manche von uns müssen sich dieses Kind gar nicht vorstellen, weil es solche Fragen wirklich gibt. Weil auch Zwölfjährige trotz iPads, Barbie-Kosmetik und World of Warcraft in dieser Welt leben und sich Gedanken machen. „Wer sind die Guten und wer die Bösen? Sind wir auf der Seite der Guten? Sind wir die Guten?“

Das Fernsehen ist dazu da, diese Frage zu beantworten. Nicht direkt, vielleicht, aber im Grunde hat diese Maschine nur eine große Botschaft zu verkünden: Die Welt ist chaotisch, voller Böser, gewalttätig und schwer zu verstehen. Aber wir sind immer noch die Guten.

Es ist notwendig zu glauben, dass wir die Guten sind.

Sonst geht ja gar nichts mehr.

Das ist jetzt besonders wichtig zu wissen, weil sich so vieles ändert, auch wenn man es nicht gleich merkt. An einem Tag zum Beispiel sprechen nacheinander der Bundespräsident, die Verteidigungsministerin und der Außenminister von der neuen Rolle Deutschlands in der Welt, von der „fundamentalen Neuausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“. Irgendwie beunruhigt das schon; was mag das heißen? Dass wir öfter und mehr Soldaten schicken, und nach noch mehr Ländern. Etwas anderes kann es gar nicht heißen. Aber Soldaten darf man doch nur schicken, wenn man sehr genau weiß, dass man zu den Guten gehört, oder? Und dass man damit den Guten hilft. Damit uns das nicht zu sehr beunruhigt, hat der Bundespräsident zuerst kategorisch erklärt, dass wir die Guten sind. „Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir kennen“, hat er gesagt, und: „Es ist eine stabile Demokratie, frei und friedliebend, wohlhabend und offen“. Sind die, die ein anderes Deutschland sehen als der Bundespräsident die Bösen? Was soll man anfangen mit Leuten, die nicht glauben, dass wir die Guten sind? Nein, es ist notwendig zu glauben, dass wir die Guten sind. Sonst geht ja gar nichts mehr.

Und deswegen haben die Politiker das sagen können, was ihnen die Experten von der Stiftung Wissenschaft und Politik diktiert haben, die ansonsten die Welt in die „Mitstreiter“, die „Herausforderer“ und die „Störer“ einteilen. Russland ist zum Beispiel ein Herausforderer, Syrien aber ein Störer. Dazu kommt eine Einteilung in „prioritär“ und „sekundär“, also wichtig und nicht so wichtig. Kuba und Venezuela zum Beispiel sind dermaßen unwichtige Störer, und die USA und die EU sind die superwichtigen Mitstreiter. Die wichtigen Störer bzw. Herausforderer soll man „einbinden“, die unwichtigen dagegen „einhegen“, man könnte auch sagen: isolieren, vergessen. Das Weltbild der Stiftung Wissenschaft und Politik ist so einfach, dass es jeder Bundespräsident, jede Verteidigungsministerin und jedes zwölfjährige Kind versteht. Die Frage, ob wir noch zu den Guten gehören, beantwortet man damit aber eher nicht. Weil Menschen in einem solchen „Strategiepapier“ völlig gleichgültig sind. Und weil auch die Behauptungen unseres Bundespräsidenten, ob man ihnen glaubt oder nicht, genau diese Frage nicht beantwortet: Gehören wir noch zu den Guten? Genauer gesagt meint er, dass wir die Frage gar nicht mehr stellen sollen.

Weil wir natürlich auch das „Wir“ nicht bestimmen können. Gehören die Demonstranten, die keinen überflüssigen unterirdischen Bahnhof haben wollen, zu den Guten, oder sind die Polizeibeamten die Guten, die, wenn es sein muss, mit Pfefferspray und Gummiknüppeln dafür sorgen, dass die Störer wegkommen? Ist der Uli Hoeness ein Guter, weil er ja Bayern München so groß gemacht hat? Sind die Reichen, die was spenden, die Guten, und die Armen, die was kaputtmachen, die Bösen? Schmeissen die Politiker immer die Kollegen und Kolleginnen raus, die nicht mehr zu den Guten gehören? Am Ende ist man allein mit der Frage: Sind wir die Guten? So allein wie in The Road.

Was man aber sehen kann: Es gibt sehr viele Leute bei uns, die gar nicht mehr zu den Guten gehören wollen. Sie wollen die Besseren sein, und vielleicht sogar die Besten. Aber niemand kann zugleich ein Guter und ein Besserer sein. Deshalb müssen die Vertreter des Besserseins, die Sarrazins usw., auch behaupten, dass Gutsein was für Weicheier und Gleichmacher ist. So deutlich sagen es natürlich nicht alle, aber wenn man es genau nimmt, dann ist die Frage, ob wir die Guten sind, schon eine Störer-Frage. Es geht um Wettbewerb, nicht wahr, und den hat noch niemand mit Zu-den-Guten-gehören gewonnen. Unsere Verteidigungsministerin sagt, dass wir die Menschen in Afrika nicht im Stich lassen. Aber wenn sie zu uns kommen, weil sie es dort nicht mehr aushalten, dann schmeissen wir sie zurück, und wenn sie doch da sind, dann behandeln wir sie echt scheiße, damit nicht noch mehr auf eine solche Idee kommen. So etwas täten keine Guten, aber die Besseren, die machen das ohne weiteres.

Wer die Guten, die Bösen und die Superbösen (die Störer, die sich nicht einmal an die Regeln der Konkurrenz halten) sind, das hat mit dem System zu tun, das bei ihnen herrscht. Die Superbösen haben keine Freiheit und keine Marktwirtschaft. Die Herausforderer haben einen Kapitalismus, aber einen anderen als wir. Dort nämlich ist der Staat die größte Macht; der Kapitalismus darf machen was er will, nur nichts gegen den Staat. Bei uns, also bei den Guten, ist es genau umgekehrt. Bei den Bösen setzt der Staat einen Kapitalismus ein, um sich Vorteile gegenüber den anderen Staaten zu verschaffen. Bei den Guten setzt der Kapitalismus einen Staat ein, um sich Vorteile gegenüber anderen Kapitalisten zu verschaffen. Da hat man eben eine Freiheit.

In der Ukraine zum Beispiel. Die Bösen wollen das Land für ihren Staat, und die Guten wollen den Markt für ihre Wirtschaft und für ihre Medien. Die Bösen drohen mit Soldaten, und die Guten locken mit Geld. Ihre Soldaten schicken die Guten woanders hin. Vor allem nach Afrika, weil das ist, wie der CSU-Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller im ZDF Morgenmagazin sagt, schließlich ein „Chancen- und Wachstumskontinent“. Das heißt, da ist noch was zu holen. Und dafür bringen wir eben eine Freiheit. Die Frage, ob wir noch zu den Guten gehören, beantworten wir mit Bildern der Bösen. Wer dann immer noch nicht glaubt, dass wir die Guten sind, der ist ja wohl schon auf der Seite der Bösen.

Wie sieht es denn da in der Ukraine aus? Da ist ein mieser Despot, den keiner mag und der sich genau so goldene Badewannen bauen lässt wie bei uns ein Bischof. Das war jetzt aber bestimmt keiner von den Guten, das ist einmal eindeutig. Die Guten wollen, dass der weg kommt und sie wollen nach Europa. Und das gute Europa will auch die Ukraine. Die Bösen wollen nach Russland und nennen die Guten Faschisten. Das kommt wahrscheinlich alles wegen der Propaganda. Die Bösen haben Propaganda und die Guten haben eine Freiheit. Deshalb ist das Moskauer Kind, das seine Eltern fragt: Sind wir die Guten? Etwas ganz anderes als das Berliner Kind, das seine Eltern fragt: Sind wir die Guten?

Die Antwort ist fast immer ja. Und sie ist immer gelogen. Erwachsenwerden beginnt mit der Erkenntnis, dass es auf die Frage „Sind wir die Guten?“ keine ehrliche Antwort gibt.

Georg Seeßlen, taz

Bild: CC BY 2.0 – originally posted to Flickr as 090722-N-1175T-090ISAF Headquarters Public Affairs Office; MAZAR-E-SHARIF, Afghanistan –German Army Soldiers, based out of Camp Marmal, conduct a surveillance of a nearby village, during a daily security patrol, where they met with elders. The patrols ensure safety, security and foster good relations with the Afghans. Official Photo by Petty Officer First Class Ryan Tabios, ISAF HQ Public Affairs