Wenn zehn kluge Köpfe etwas sagen, dann gilt es im Mainstream als ausgemachte Dummheit. Wenn ein öffentlicher Dummkopf es auch sagt, dann gilt es als große Klugheit. Der öffentliche Dummkopf aber, das ist seine Aufgabe, sagt immer erst etwas Kluges nach, wenn es zu spät ist, daraus noch sinnvolle Schlussfolgerungen zu ziehen. So verwandelt der öffentliche Dummkopf noch das Klügste in eine Dummheit. (Und auch die klügsten Köpfe dieser Welt wissen nicht, wie sie dem begegnen sollten.)

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Aber wer ist schon ein „kluger Kopf“? Niemand stellt sich hin und sagt: Leute, ich bin ein kluger Kopf. Naja, fast niemand.

Deswegen sollte man das mit den klugen Köpfen nicht allzu sehr ans Charismatische binden. Es gibt nun eben brillante Darsteller des Prinzips „kluger Kopf“. Andere, vielleicht noch klügere, zweifeln überhaupt an dem Prinzip.

Irgendwo gibt es einen Club der anonymen klugen Köpfe. Mein Name ist Heinz, und ich bin ein kluger Kopf. Schön, dass du dich so offen dazu bekannt hast. Jetzt beginnt die lange Arbeit, die Klugköpfigkeit zu überwinden. Ganz los wird man sie, wie den Alkoholismus, nie im Leben.

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Ein kluger Kopf ist einer, der weiß was er sagt. Das ist lebenstechnisch gesehen, reichlich dumm. Er ist nicht einer, der „nicht auf andere hört“ (manche, die lieber weise als klug sein wollen, machen es so), sondern einer, der anders auf andere hört. Weder im Wettbewerb noch in der Unterwerfung.

Da sind wir bei der Autonomie; das musste ja kommen.

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Im Club der klugen Köpfe wird hauptsächlich herumgealbert. Kindisch, sowas.

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Kluger Kopf. Das ist so wundervoll altmodisch, so weit weg, so arrogant und deplatziert. Eine Schnittmenge von Rock’n’Roll und Staubsüchtigkeit.

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Im Übrigen befinden sich keineswegs nur kluge Köpfe im Club der klugen Köpfe. Das wäre ja auch furchtbar langweilig. Die Voraussetzung für die Aufnahme ist das Vergnügen daran, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Die Selbstermächtigung des klugen Kopfes – denken wir an das Wissen vom Sprechen, von dem weiter oben die Rede war – setzt sich die eigenen Grenzen. Der kluge Kopf lacht über seinen eigenen Größenwahn. Aber nicht immer.

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Niemand unter den Lebenden ist nachweisbar ein kluger Kopf. Für die Gegenwart genügt es, ganz gern mal einem zu begegnen und von diesem freudig wahrgenommen zu werden.

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Ist es nebensächlich, ob ein kluger Kopf auf einem männlichen, einem weiblichen oder einem queeren Körper sitzt? Falsche Frage. Der kluge Kopf ist nur eine Metapher. Gedacht wird immer mit allem, was man hat und was man ist. Den eigenen Körper denkt man sich, während man von ihm gedacht wird. Und der Körper ist nicht nur eine Erscheinung, sondern auch ein Archiv der Erfahrungen.

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Zweifellos leben wir in einer Gesellschaft, in der, neben der puren Terrorherrschaft, die klugen Köpfe am geringsten geschätzt werden. Hilft es, darüber zu lamentieren? Das feixende „Früher war alles besser“ stammt selten von einem klugen Kopf. Aber wehe! Was, wenn der kluge Kopf immer mehr Dinge der Welt „anderen überlassen“ muss, bis er nur noch sich selbst und seinesgleichen hat, und die Welt ohne klugen Kopf dasteht!

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Eine Kultur der klugen Köpfe ist keine Lösung. Aber vielleicht machte sie die Lösungslosigkeit erträglicher?

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Natürlich gibt es keine klugen Köpfe. Und ich und du, wir sind schon lange keine. Das ist auch gut so. Denn kluge Köpfe tendieren dazu, abgeschlagen zu werden. (Nicht, dass nicht auch eine Reihe von Dummköpfen unters Beil geraten wären.) Der kluge Kopf ist ein letzter Traum der verwehten Aufklärung. Hey, wer sagt, dass nicht auch wir unsere Helden bräuchten? In unserem Traum sind kluge Köpfe sexy. Äh, oder etwas in der Art.

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Wer im deutschen Feuilleton als „kluger Kopf“ bezeichnet wird, sollte das Recht auf eine Verleumdungsklage haben. Denn hier ist die Bezeichnung „kluger Kopf“ eine Umschreibung für „harmlos“.

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Wir könnten natürlich übereinkommen, die Bezeichnung „Kluger Kopf“ ins Museum zu bannen, oder auf dem Friedhof des freien Geistes zu begraben. Aber alles, was nachkäme, würde uns als semantisches Gespenst dafür verfolgen.

Kluge Köpfe sollten dagegen lernen, sich selber hoch zu halten. Das wäre schon einmal etwas.

Georg Seeßlen

Groteske Köpfe von Leonardo da Vinci (Josef Lehmkuhl )

 

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