Juden, Christen, Kommunisten

Es gab ihn nicht. Es gab keinen strukturellen Antisemitismus in der späteren DDR, wenigstens nicht in ihren letzten 20 Jahren. Wer anderes behauptet, verfolgt entweder politische Interessen und missbraucht das sensible Thema als Mittel zum Zweck oder er hat das Grundprinzip nicht verstanden, nach dem in diesem Land regiert wurde.

Der Umstand, als Jude geboren zu sein, war für eine Karriere in der DDR, darin unterschied sie sich deutlich vom anhaltenden Antisemitismus der UdSSR, vollkommen irrelevant. Jüdischkeit als solche hat eine berufliche Entwicklung weder gehemmt noch befördert. Und die allgemeine Religionsfeindlichkeit der DDR kam hier nicht zum Tragen, weil Judentum eher als ethnische Zuschreibung wahrgenommen wurde, weniger als gelebte Religion, zumal ein religiös praktiziertes Judentum eine eher marginale Erscheinung war.

Dem grundhaft religionsfeindlichen Staat kam hier entgegen, dass das Judentum eine nach außen hin abgeschlossene Kultur ist, die, anders als die christlichen Kirchen, in ihrem Selbstverständnis kein Sammelbecken sein kann und will für gesellschaftliche Bewegungen, die eigentlich außerhalb des Judentums stehen. Das Judentum kennt keine Mission.

So muss die DDR als ein Staat gelten, dem, aus rein pragmatischen Gründen, die Kirche missliebiger war als die Synagoge. Es war in der DDR deutlich leichter, ein Jude zu sein als ein bekennender Christ.

Denn in der DDR wurde, in der Perspektive der politischen Führung, ausschließlich in ideologischen Kategorien gedacht. Eine religiöse Zuschreibung wurde erst dann zum Politikum, wenn daraus ideologische Konsequenzen erwuchsen.

So hatte die Politik gegenüber dem westlich orientierten Israel kaum einen antisemitischen Kontext, das war eine politisch-ideologische Konsequenz: Die Feinde meiner Freunde, hier: der arabischen Staaten, sind meine Feinde, so wie die Freunde meiner Feinde, hier: der Westen, meine Feinde sind.

Nicht Antisemitismus ist der DDR in diesem Zusammenhang vorzuwerfen, sondern Geschichtsvergessenheit. Nicht weil Israel der Staat der Juden ist, wurde es gebrandmarkt, sondern: obwohl. Die Geschichte des Judentums, der Holocaust , wurde dabei weitgehend ausgeklammert. Differenzierung in politischen Angelegenheiten war der DDR nicht gegeben, also kam Auschwitz im Nachdenken über Israel nicht vor. Und eine historische Verantwortung für die ungeteilte deutsche Geschichte hat die DDR nie empfunden, sie sah sich ausschließlich in der Tradition des kommunistischen Widerstandes.

Nein, die spätere DDR war in keiner Hinsicht antisemitisch. Sie war nur in jeder Hinsicht ignorant.

© Henryk Goldberg

Thüringer Allgemeine, 11.07.2011